„Wie zufrieden fühlen Sie sich in Ihrer Beziehung? Auf einer Skala von eins bis zehn.“(zehn ist sehr zufrieden). Diese Frage stellte ich Lena (40) und Alexander (42), als Sie mir als Paar in der ersten Sitzung der Paarberatung gegenübersaßen. Lena“: „drei“. Alexander: „sechs“. Nicht überraschend, vorerst.

Oft erlebe ich, dass Frauen die Zufriedenheit niedriger einstufen als Männer. Zumindest wenn beide in die Beratung kommen. Ist es so, dass Männer eine höhere Frustrationstoleranz haben? Oder realisieren wir Männer einfach erst später, dass in der Beziehung der Wurm drin ist?

Lena erzählt: „Ich hab mir unser Leben als Paar anders vorgestellt: gemeinsames unternehmen, auch mal was Verrücktes; mehr Zeit für Zärtlichkeit; Spaß haben. Am Anfang war das alles da, aber inzwischen – wir sind jetzt seit 12 Jahren ein Paar – vermisse ich das alles.“

Alexander, sichtlich betroffen: „Ich hab mich in den letzten drei Jahren so in meine Arbeit hineinknien müssen (zumindest glaubte ich es zu müssen), dass ich einfach nur noch Ruhe wollte zuhause. Ausspannen, Kraft schöpfen für die neue Woche. Ich brauchte Lena´s Verständnis und Unterstützung. Sie hat mir wirklich den Rücken frei gehalten. Ich hab schon  gemerkt an ihrem Kritisieren und Nörgeln, dass ihr irgendwas nicht gepasst hat. Aber statt nachfragen hab ich mich lieber distanziert.

Ein Punkt, an dem heute viele Paare anlangen: der überfrachtete Alltag, Stress, Überforderung. Jeder schaut auf´s eigene „Überleben“, die Empathie (Einfühlungsvermögen) und Aufmerksamkeit für den anderen geht verloren. Die Frau neigt dann eher zum Nörgeln, um ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. Männer reagieren meist mit Rückzug und (noch) weniger reden. Die Abwärtsspirale dreht sich.

Der erste Schritt aus dem Dilemma kann sein, eben zu einer Paarberatung zu gehen. Die Augen öffnen für das was es ist. Veränderungsbereitschaft zeigen. Dann ist konkrete  Umsetzung im Alltag angesagt:

  • Miteinander reden. Zuhören
  • Interesse am anderen zeigen
  • Gegenseitige Unterstützung
  • Gemeinsame Aktivitäten. Vertrautes wieder- oder Neues entdecken
  • Liebevollen und zärtlichen Umgang pflegen
  • Farbpunkte im Alltag setzen
  • Zeit zu zweit sich nehmen

Die Liste könnte beliebig erweitert werden. Im Grund geht es darum, einander zu zeigen: Du bist mir wichtig! Dazu sind spürbare Zeichen und Gesten im Alltag nötig.

Zufriedenheit stellt sich (wieder) ein, wenn unsere wichtigsten Bedürfnisse einigermaßen befriedigt sind. Wenn wir uns geborgen und getragen fühlen dürfen in der Beziehung. Wenn wir nichts für selbstverständlich sehen, was der andere tut, stellt sich Dankbarkeit ein. Und dankbar sein macht zufrieden.

Ein halbes Jahr später: Alexander hat inzwischen seine Arbeitsstelle gewechselt. Er wird nicht mehr auf Reisen gehen, hat fixe Arbeitszeiten. Er wirkt sichtlich entspannter – und Lena auch.

Alexander: „Ich merke erst jetzt, dass mir ein Steinbrocken abgefallen ist. Die frühere berufliche Situation hat mich doch ziemlich mitgenommen. Jetzt komme ich nicht mehr ausgepowert heim, sondern hab wieder Lust mit Lena was zu unternehmen. Vor allem haben wir eine alte Leidenschaft wieder entdeckt: das Reiten. Mindestens einmal pro Woche reiten wir zusammen aus. Mir geht es gut mit Lena“.

Lena: „Seit er die neue Arbeitsstelle hat, ist Alex wie ausgewechselt. Er kommt früher nach Hause und unterstützt mich in Haus- und Gartenarbeit.  Er ist aufmerksam und liebevoll.  Dass wir wieder mit dem Reiten angefangen haben, freut mich besonders. Wir genießen diese Ausritte in der Natur zusammen. Es tut mir so gut, ihn wieder mehr an meiner Seite zu haben, ich merke wie Alex mir gefehlt hat.

Lena und Alexander haben aktiv etwas verändert in Ihrem Leben und spüren unmittelbar die Auswirkung auf Ihre Beziehung, auf die Zufriedenheit.

Mir fällt gerade ein altes Kinderlied ein:“...froh zu sein bedarf es wenig, doch wer froh ist, ist ein König“.

Albert A. Feldkircher,
in der Paarberatung des Ehe- und Familienzentums tätig.

Juni 2015