Herausforderungen für eine Beziehung auf Augenhöhe

Claudia und Markus haben sich wieder einmal über ihr leidiges Thema gestritten. Claudia ist nach der Mutterkarenz wieder  in ihren Beruf eingestiegen. Markus hatte dem auch zugestimmt, war aber nicht bereit, zur Kinderbetreuung und Hausarbeit mehr als vorher beizutragen. Er hatte ja schließlich einen Vollzeitjob im Betrieb zu bewältigen. Claudia ist mit der Doppelbelastung überfordert und fühlt sich von Markus im Stich gelassen.

Eine Situation, in der so manche Paare sich wiederfinden.

Zugrunde liegen  unterschiedliche Rollenverständnisse und die Auswirklungen des Wertewandels auf Paarbeziehungen und Familie. Noch vor fünfzig Jahren galt die traditionelle Ehe als Standard-Lebensform für Paare: Geld verdienende Väter und Kinder erziehende Mütter. Innerhalb unserer postmodernen Gesellschaft existieren unterschiedliche Ehemodelle nebeneinander, ja auch unterschiedliche Ehekulturen. Während zum Beispiel – aber nicht nur – in Zuwandererfamilien noch ein patriarchalisches Familienbild herrscht, hat sich in unserem Kulturkreis ein partnerschaftliches Rollenverständnis bei Paaren etabliert. Wie sich herausstellt eine Beziehungsform, die eine Herausforderung an unsere Kommunikationsfähigkeit bedeutet.

We can work it out *)
Wir können es ausreden
Wenn du bereit bist, es auf meine Weise zu sehen
Und ich es auf deine Weise sehe,
sonst könnte passieren, dass die Liebe uns verlässt……

Aus dem Song „We can work it out“, Beatles 1965

 

In der patriarchalisch geprägten Ehe waren die Rollen klar verteilt und die Aufgabenteilung stand nicht zur Diskussion. Außerdem war das gesellschaftliche Umfeld klar strukturiert: vorgegebene Ladenöffnungs- und Arbeitszeiten, eine starre Feiertagsordnung. Heute können wir fast rund um die Uhr an Projekten arbeiten – teilweise auch von zuhause aus - , einkaufen, im Internet surfen, Post versenden und vieles mehr. Was früher „richtig“ war, zur jeweiligen Rolle gehörte, ist in partnerschaftlich geführten Ehen/Paarbeziehungen Aufgabe individueller  Gestaltung: Das eigene Zeitmanagement zwischen Arbeit und Freizeit zu finden, sich Bildung und Weiterbildung zu organisieren, zwischen Konsum und Verzicht zu wählen, sich für eine weltanschauliche/religiöse  Ausrichtung zu entscheiden. Wir können überdies selbst entscheiden über die Lebensform als Single, für eine Ehe mit oder ohne Kinder, für eine Lebensgemeinschaft, für eine gleichgeschlechtliche Beziehung, für eine Fernbeziehung……

Man möchte sagen, eine ökologische Ausrichtung: stimmig leben gemäß den eigenen Bedürfnissen, aber in Übereinstimmung mit der Umgebung und seinen Bezugssystemen.

Wenn ich von Beziehung auf Augenhöhe spreche, meine ich symmetrische Beziehungen. Sie streben nach Gleichheit, jeder der Partner verfolgt eigene berufliche Ziele und beteiligt sich ebenso an der Familien- und Hausarbeit. Wir sprechen auch von „komplementären Formen“, wo meist ein Partner vorwiegend für Berufsarbeit und Gelderwerb zuständig ist, während der/die andere die Berufsarbeit einschränkt und die Hauptverantwortung für Kinderbetreuung Familien- und Hausarbeit übernimmt und damit dem berufstätigen Teil den Rücken freihält.

Als Doppelkarriere-Paare bezeichnet man solche, bei denen beide Partner hochqualifiziert sind und eigene Berufslaufbahnvorstellungen verfolgen ohne auf Kinder und ein befriedigendes Familienleben verzichten wollen. Sie sehen ihre Berufsarbeit in hohem Maße als sinnstiftenden Bestandteil ihrer persönlichen Identität.

Die Ressource Zeit

In beiden Fällen ist die knappe Ressource die Zeit. Das ist jedenfalls der sachliche Aspekt. Kritischer ist der emotionale: die Bewertung der Prioritäten.

Genau an diesem Punkt scheinen Claudia´s und Markus´s Vorstellungen zu kollidieren. In ihren Augen versteht Markus nicht, dass ihr neben Partnerschaft und Familie auch die außerhäusliche berufliche Tätigkeit etwas bedeutet. Und sie glaubt dass für Markus die Familie an zweiter Stelle steht. Markus wiederum fühlt sich nicht wertgeschätzt in seinen Bemühungen, für den Unterhalt der Familie und für einen guten Lebensstandard zu sorgen. Er meint, Claudia sollte zugunsten Kinder und Haushalt zurückstecken. Könnten da patriarchale Wurzeln stecken?

Die Probleme entstehen an den Schnittstellen:

  • Von Beruf /Familie
  • Im Ausgleich zwischen den Partnern
  • An der Gestaltung des Umgangs mit den Ressourcen
  • Bei den Aushandlungsprozessen.

Zum Beispiel, wenn einer seine gemeinsam vereinbarte Berufszeit ständig überdehnt, sodass der andere zum Kompensieren gezwungen ist, entzündet sich ein Streit an der Frage der Zuständigkeit und Verlässlichkeit.  Die Eigendynamik der Arbeit führt oft dazu, dass Familienzeit als Rest-Zeit definiert wird. Dadurch kann ein Defizit von Intimitäts- und Familienzeit zur Entfremdung der Partner, ihrer Lebenswelten führen. Wenn Paare an diese Schwelle stoßen, besteht akute Gefahr für ihre Beziehung. Die bestehenden Spannungen lassen das Gefühl aufkommen, zu kurz zu kommen, gekränkt oder missachtet zu sein. Der Wert der Beziehung steht in Frage.

Wir können es ausreden. 

Eine partnerschaftliche Ehe/Beziehung lebt von einer Kommunikation auf Augenhöhe. Claudia und Markus haben erkannt, dass Ihre Lösung im sorgfältigen Umgang mit der Ressource Zeit liegt. Eine funktionierende Organisation des Alltags in Beruf und Familie setzt voraus, dass Familien-Zeit (und Paar-Zeit) als existenzielle und sinnstiftende Zeit angesehen wird.

Claudia und Markus einigen sich darauf, dass er ein festes Kontingent an Familien-Zeit und  einen Anteil an der Hausarbeit übernimmt - und garantiert. So gibt er Claudia den Raum frei für ihre persönliche/berufliche Entfaltung, ohne dabei seine berufliche Arbeit und Karriere nachteilig einschränken zu müssen. Beide profitieren

von mehr Zeit für sich als Paar und für die Familie. Dazu war es wichtig, dass sie wechselseitig ihre Bedürfnisse artikuliert und ihre Lebensentwürfe miteinander kommuniziert haben.

Albert a. Feldkircher