„Wo die Liebe hinfällt, steht sie wieder auf“ – die Liedzeile klingt in meinem Kopf nach und ich frage mich, was das wohl heißen mag. In vielen Fällen ist die Liebe gefallen, gestolpert, gestrauchelt. Steht, geht sie. Jede 3. Ehe in Österreich wird geschieden. Da zerplatzen Träume und Wünsche wie Seifenblasen. Und die, die wir waren, sind wir irgendwie nicht mehr. Und am Ende kommt sie uns scheinbar abhanden, die Liebe.

Diese Liebe, die sich wahrscheinlich einmal richtig groß und weit, womöglich unendlich angefühlt hat. Endstation.

Und wir reiben uns, reiben uns auf. Und es geht nicht nur um uns, sondern auch und vor allem um die, die keine Wahl hatten. Die vielleicht nicht verstehen können, nun still oder laut trauern, sich den Abschied nicht ausgesucht haben und beide Elternteile weiter im Herzen tragen. Unsere Kinder – zwischen den Stühlen, im Loyalitätskonflikt, Sesseltanz im Alltag, und alle sind Verlierer.

Bestenfalls legt sich der erste Sturm wieder und auch wenn die einen es nicht geschafft haben, sich als Paar verbunden zu bleiben, so haben sie zumindest beschlossen Eltern zu bleiben. Eltern, die bleiben. Die Sessel wieder geraderücken. Geduldig auf die Wunden pusten, statt schnell ein Pflaster zu kleben. Den Kindern und sich den Raum geben für all das, was ist. Für die Wut, die Enttäuschung, die daherkommt, wie heiße Lava. Für die Traurigkeit, die manchmal einfach umarmt werden will. Tränen, die sein dürfen. Häufig steht die  Gefühlswelt Kopf, individuell und altersabhängig, zwischen Ohnmacht, Scham, Schuld und Angst. Da braucht es uns. Eltern, die Verantwortung tragen. Für sich und ihre Kinder. Eltern, denen der Abschied gelingt. Und Zeit, um miteinander zu heilen.

Irgendwann passiert es wieder. Wolken schieben, was schwer war, wird leicht. Schmetterlinge im Bauch und so. Der Beginn von einer neuen Liebe. Auch wenn es sich für uns zunächst nur wunderbar anfühlt, zwischen Herzklopfen und ausgelassener Zweisamkeit, sind unsere Kinder mittendrin und weiter ungefragt. Liebe fragt nun mal nicht. Und unsere Kinder spüren schnell, was da, was uns, passiert ist. Da macht es Sinn, darüber zu sprechen, doch mit dem gegenseitigen Kennenlernen zu warten. Im Allgemeinen trauern Kinder etwa 3 Jahre über die Trennung der Eltern und brauchen Zeit. Wie lange, das sollte man von deren Reaktion auf die Gesamtsituation abhängig machen. Patchwork auf Raten. Schritt für Schritt. Irgendwann gemeinsames Pizzaessen beim Lieblingsitaliener. Ein Ausflug. Vorsichtiges Annähern.

Laut Statistik Austria gab es in Österreich 2020 insgesamt 83.000 Familien mit Stiefeltern/-kind-Beziehungen. Bezogen auf alle Familien mit Kindern unter 25 Jahren waren dies 8,6 Prozent der hierzulande lebenden Familien - und das quer durch alle Gesellschaftsschichten. Patchwork ist längst kein Randgruppenphänomen mehr. Und trotzdem ist jede Familie, jede Situation, so individuell, dass wir oft unsicher sind, was richtig ist. Eine Patchworkfamilie, Stieffamilie oder Bonusfamilie unterscheidet sich zur biologischen Kernfamilie in einem zentralen Punkt: Es existiert nicht zwischen allen Mitgliedern eine Liebesbeziehung. Dadurch braucht es auch mehr formelle Kommunikation. Allenfalls auch in einen Rahmen gepackt. Es ist wichtig, dass viele Dinge auf Elternebene besprochen und getragen werden, aber darüber nicht zu vergessen unsere Kinder zu sehen und zu hören. Manchmal zu übersetzen, zu dolmetschen. Gerade bei jüngeren Kindern, die Dinge oft anders ausdrücken. Regelmäßige Treffen, in denen allein die Frage wichtig ist, wie es jedem Familienmitglied geht, und jeder die Wahl hat, auch mal nichts zu sagen, können hilfreich sein.

Die Position des Kindes verändert sich in einer Patchworkfamilie. Gilt es neben den neuen Partnern der Eltern auch zu akzeptieren, dass man plötzlich vom Einzelkind zum Geschwisterkind wird. Hier große Schwester, dort die Jüngste. Zwischen all den Herausforderungen und dem Bemühen bleibt es nicht aus, dass uns das Verhalten der anderen verletzt, traurig oder wütend macht. Wie wir als Eltern und Partner darauf reagieren, liegt in unserer Verantwortung. Häufig taucht der Begriff „Gerechtigkeit“ auf. Bekommt der/die mehr Aufmerksamkeit, das größere Geburtstagsgeschenk oder gelten für den leiblichen Teenagersohn andere Regeln? In Wahrheit klappt es nicht, mit dem gleichen Maß zu messen. Ist auch nicht sinnvoll. Wir sind alle unterschiedlich, aber gleich wichtig, und wollen auch so behandelt werden. In allen Familien und umso mehr in neuer Konstellation.

Vieles muss geteilt, verschiedene Erwartungen müssen erfüllt und unterschiedliche Ansichten respektiert werden. Fremde nehmen scheinbar die Rolle von Mutter oder Vater ein. Darf ich den Freund der Mama cool finden oder verrate ich somit meinen Papa?

Möglicherweise wächst die Familie weiter. Nochmal ein Kind, ein gemeinsames. Noch mehr Liebe, noch mehr Sesselrücken. Und das Gefühl, wenn kein Platz mehr übrig ist. Nicht mehr dazuzugehören, zum neuen Glück.

Trotzdem oder gerade deswegen kann aus der Stieffamilie ein Bonus, ein Gewinn für alle werden. Entscheidend ist das Wie. Wenn wir übers Sesselrücken nicht vergessen in Beziehung zu bleiben, können wir miteinander weiterwachsen, geborgen und stark… und wenn die Liebe hinfällt, helfen wir ihr auf.

Tipps für das neue „WIR“

  • Diese Zeit der Veränderung in der Familie ist herausfordernd, umso wichtiger sind für unsere Kinder Dinge, die bleiben – Alltagsstrukturen, Rituale, Kontakt und Nähe zu beiden Elternteilen. Das gibt Sicherheit.
  • Kinder freuen sich, wenn Mama oder Papa sich verlieben, sind aber im Umgang verunsichert. Bonuseltern dürfen sich deshalb langsam annähern, mehr von sich erzählen, statt bemüht Fragen zu stellen. Dann im Zusammenleben die eigenen Grenzen kommunizieren, aber gar nicht erst versuchen, die Rolle von Mama oder Papa einzunehmen. Es dauert meist Jahre, bis diese Beziehung ein Bonus wird.
  • Wenn dann die Familie weiterwächst, wollen die Kinder im Alltag mit Baby eingebunden werden, Aufgaben übernehmen und spüren, dass sie weiterhin wichtig und wertvoll sind. Auch laut sagen dürfen, dass das neue Geschwisterkind nervt. Gemeinsames Kuscheln, Lesen, Erzählen beim Stillen sowie Quality Time (ohne Geschwister) verbindet.
  • Später gilt, wie bei allen Geschwisterkindern, dass sie Streitigkeiten weitestgehend selbständig regeln können. Sollten sie uns dennoch brauchen, lieber zu ermutigen, Lösungen zu finden, anstatt zu urteilen. Sie brauchen keine Richter, sondern das Gefühl, gleich wichtig wie die (Bonus-)Geschwister zu sein.
  • Es ist oft eine gefühlsstarke Zeit. Hinter jedem Verhalten unserer Kinder steckt ein Bedürfnis oder ein Thema, das wahrgenommen werden will. Deshalb braucht es besonders viel Raum, Zeit und Geborgenheit.

 

Literaturtipps:

„Aus Stiefeltern werden Bonuseltern“ (Jesper Juul)

„Geborgen und stark“ (Jesper Juul/Mathias Voelchert)

„Glückliche Scheidungskinder“ (Remo H. Largo/Monika Czernin)

 

Factbox Autorin

Tamara Testor-Schwärzler
Gigagampfa©-Gruppenleiterin im EFZ Feldkirch
www.efz.at
www.familiensachen.eu