Seit der Antike ist sich die Mehrheit der Philosophen darüber einig, dass der Mensch ein religiöses Wesen ist. Dabei geht es nicht um den Glauben an Gott oder um eine spezifische Religion, sondern um die Tatsache, dass der Mensch durch die Hinterfragung des Gegebenen neue Dimensionen der Wahrnehmung schafft. Die gelebte Religiosität kann man in der christlich geprägten Welt mit vier Begriffen definieren: Gemeinschaft durch Überzeugung, Rituale und Nächstenliebe. Die Corona-Lockdowns haben die Ausübung der Bräuche und Traditionen zunächst unmöglich gemacht und dadurch bei vielen eine Leere verursacht, bevor dann dieses dem Menschen ureigene Bedürfnis neue Formen entstehen ließ. Können beziehungsstärkende Rituale mit sinnstiftenden Ansätzen dem Familienleben die nötige Resilienz verleihen, wenn alles rundherum wackelt?

Wir erleben eine Polarisierung aufgrund der unterschiedlichen Überzeugungen. Dem Gegenüber wird vorgeworfen, dass die jeweils andere Position nichts mit Vernunft, sondern eher mit einer Glaubensfrage zu tun hat. Ob Demonstrationen, die der persönlichen Auffassung Stimme verleihen oder Zoom-Konferenzen, die das Wiedersehen ermöglichen: Die Kraft des Miteinanders gewinnt wieder an Relevanz.

Lerneffekt: Das Treffen mit Gleichgesinnten stärkt mehr als nur das gegoogelte Wissen, der Austausch mit ähnlich funktionierenden Familien bringt Ideen für die Bewältigung des Alltags und das miteinander Erlebte schafft Verbindungen, die social media nicht leisten können.

Die Reihe von Lockdowns forderte das Leben der Familien enorm: die Logistik, wie das Homeoffice und das Homeschooling am Küchentisch klappen soll, die Frage, wie man sich gegenseitig aushalten kann oder wie man die persönlichkeitsbildenden sozialen Räume ersetzt. Das gelang vielen durch Festlegung neuer Rituale: gemeinsame Mahlzeiten, angepasste Arbeitsteilung, neu definierte Rückzugsorte. Im christlichen Kontext gewann die Familie als „Hauskirche“ an Bedeutung – ein gemeinsames Gebet relativierte zum Teil den Ausfall der kirchlichen Großevents.

Lerneffekt: Mahlzeiten als Orte der bewusst geführten Gespräche, wo erzählt wird was gelungen ist, und was schwerfällt. Abendrituale, an denen der Tag reflektiert wird: Tagesrückschau ohne, dass der Rest der Familie das Berichtete kommentieren muss. Dankbarkeit für das, was gut war und uns trotz allem geschenkt ist.

Das allgegenwärtige Testen ist zum Teil des Alltags geworden: In der Schule, für die Arbeit, vor dem nächsten Besuch. Der bewusste Augenkontakt ersetzt das Händeschütteln, eine große Menschenmenge erzeugt Unbehagen und die Maske steckt in jeder Hosentasche. Der Abstand ist der neue Anstand. Die verpflichtenden Maßnahmen bergen aber auch Potenzial zur Neuentdeckung der Nächstenliebe.

Lerneffekt: Eine gemeinsame Anwendung von Wohnzimmertests kann zum sozialen Symbol werden: der Blick für die Schwächeren in der familiärer Umgebung. Eine Übung dafür, wie man als Familie der Welt was Gutes tun kann.

MMag. Bohuslav Bereta, MSc.