Willi Hagleitner ist mit seiner Frau Ehrentraud mit dem „Dr. Toni-und-Rosa Russ-Preis“ ausgezeichnet worden. Im Interview spricht er über sein lebenslanges ehrenamtliches Engagement, die Gründung des Ehe- und Familienzentrums (EFZ) und seine Rolle als Familienvater.

Daniel Furxer: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie mit Elmar Fischer das EFZ gegründet haben?

Willi Hagleitner: Um das zu verstehen, muss man wissen, dass ich aus einer Familie mit acht Geschwistern komme, sechs Brüder und zwei Schwestern. Ich war also schon von klein auf gewohnt, ausgleichend zu handeln und soziales Verhalten zu lernen. Mein Vater war Mitglied im Vorstand des Vlbg. Familienverbandes. So habe ich mit 18 Jahren Fahrdienste für die Familienhelferinnen-Schülerinnen übernommen. Da habe ich auch meine Frau Ehrentraud kennengelernt, die dort Schülerin war. Schließlich bin ich ehrenamtlicher Geschäftsführer des Familienverbandes geworden. So ist mein Interesse für das Thema Familie noch stärker in meine Arbeit eingeflossen. Elmar Fischer war zu dieser Zeit Rektor am Marianum und geistlicher Beirat des Familienverbandes. Unser gemeinsames Anliegen war in den 1970er Jahren, den Familien zu helfen, den Alltag in all seinen Facetten zu bewältigen.  Wir haben gesehen, dass das Bedürfnis nach Begleitung groß war. Ich habe zu Elmar gesagt: ‚Du bist der Chefideologe, ich bin der Praktiker‘. So waren die Rollen klar verteilt. 1979 kam es schließlich zur Gründung des EFZ. In diese Zeit fiel auch eine steigende Scheidungsrate, die uns zeigte: ‚Hier ist Handlungsbedarf, wir müssen durch unsere Angebote Hilfestellungen bieten!‘

Was war die gemeinsame Vision für das EFZ?

Unser Grundgedanke war immer, dass wir die Paare unterstützen wollen, egal in welcher Situation sie sich befinden. Mit großer Offenheit und großem Verständnis haben wir sie dort abgeholt, wo sie standen. Es ging uns nicht darum, mit dem moralischen Zeigefinger auf sie zu zeigen, sondern mit ihnen Lösungen zu suchen. Ich habe mich immer von Grund auf für die Anliegen der Menschen interessiert.
Organisatorisch war uns wichtig, dass das Ehe- und Familienzentrum eigenständig ist. Selbstverständlich kann der Bischof mitreden, aber wir wollten eine selbstverantwortliche Organisationsform. Und das ist uns auch gelungen. Wir haben nicht den Weg durch die kirchlichen Institutionen gewählt, weil wir zu Recht befürchteten, dass unser Anliegen in vielen Gremien zerredet worden wäre. Wir sind daher direkt zu Bischof Bruno Wechner und zu Landeshauptmann Dr. Herbert Keßler gegangen.

Wie ist euer Anliegen aufgenommen worden?

Bischof Wechner ist der ganzen Thematik sehr aufgeschlossen gegenübergestanden. Aber er hat von Anfang an betont, dass die Kirche dieses Unternehmen nur unterstütze, wenn die Landesregierung das finanziell auch mittrage. Bei Dr. Herbert Keßler war es das gleiche. Die Landesregierung sei dabei, wenn auch die Kirche mitzahle. Heute ist das EFZ aus der gesellschaftlichen Landschaft Vorarlbergs nicht mehr wegzudenken. Sei dies im Bereich der Sexualpädagogik an Schulen durch „Jugend und Liebe“, dem Projekt „Gigagampfa“, bei dem es vor allem um die Kinder von geschiedenen Paaren geht, oder bei der Ehevorbereitung, die ganz beim EFZ liegt.

Was sind die Herausforderungen der heutigen Zeit? Was hat sich seit damals geändert?

Der Umgang mit Homosexuellen in der Kirche und in der Gesellschaft ist ein ganz anderer geworden. Papst Franziskus hat hier sicher auch einen wichtigen Teil beigetragen. Ihm wie auch mir geht es nicht um die strenge Auslegung des Codex und des Kirchenrechtes, sondern darum, bei den Menschen zu sein und ihnen zu helfen. Gerade bei einer Pilgerreise nach Israel und einer Wanderung durch die Wüste ist mir klar geworden, dass Jesus diese Strenge und Unbarmherzigkeit nie zugelassen hätte. Ich denke da zum Beispiel nur an die wiederverheirateten Geschiedenen.

Auch die Stellung der Frau ist heute eine ganz andere als in den 1970er Jahren. Wenn eine Frau heute Vollzeit berufstätig sein will, dann soll sie das auch können ohne schief angeschaut zu werden. Die Aufgaben in der Familie müssen dann anders verteilt werden. Es geht und ging mir zu jeder Zeit darum, nicht zu werten, sondern die konkrete Situation anzuschauen, und dementsprechend die Familie zu unterstützen. In diesem Zusammenhang waren die Verankerung des Schutzes und die Förderung der Familie in der Landesverfassung auf Betreiben des Familienverbandes sehr hilfreich.  Im EFZ werden alle Formen von Beziehungen, verheiratet, geschieden und auch unverheiratet beraten. Der Stand spielt keine Rolle. In der heutigen Zeit der Patch-Workfamilien wollen wir wie gesagt nicht moralisch bewerten.

Ihr jahrelanges Engagement u.a. in der Stiftung Maria Ebene, beim Wohnbauförderungsbeirat, im Land und in der Stadtvertretung ist bemerkenswert. Wie haben Sie all diese Ehrenämter neben ihrer beruflichen Tätigkeit geschafft?

Das alles wäre nicht möglich gewesen ohne meine Frau Ehrentraud. Ganz ehrlich: Es wäre mir schwer gefallen den Toni-und Rosa-Russ-Preis anzunehmen, wenn wir ihn nicht als Paar bekommen hätten. Aber das stand anscheinend nie zur Debatte. Ich war ja hauptberuflich als Kaufmann im gewerblichen Familienbetrieb der Elektro-und Kälte-Branche tätig, der mich ebenfalls voll forderte. Am Standort  Quellstraße in Bregenz brannte daher in meinem Büro oft bis zwei Uhr am Morgen das Licht. Das gemeinsame Essen am Mittagstisch mit der Familie war mir sehr wichtig, aber sonst war ich oft abwesend. Wir haben sieben Kinder. Ich bin ja in einem eher konservativen Milieu aufgewachsen. Aber das hat sich im Laufe meines Lebens radikal geändert. Ich merke: Im Alter werde ich immer noch liberaler. Die Aufgabe als Vater und jetzt auch als Opa hat mich auf den Boden der Realität zurückgeholt. Mit Kindern ist man gezwungen, sich mit deren Anliegen und den Veränderungen in der Gesellschaft auseinanderzusetzen.

Wie kann eine Beziehung gelingen?

Es geht darum, miteinander im Gespräch zu bleiben und schlussendlich um die wichtigen Werte der Liebe: Es geht um das Verzeihen, das Verzichten, darum, einen gemeinsamen Weg zu gehen, im Gespräch zu bleiben und nicht alles haben zu müssen. Das eigene Ego sollte man auch zurückschrauben können. Der Rest ist in meiner Ehe oft einfach passiert. Ich habe da auch sehr viel von meiner Frau lernen dürfen, die beständig neue Impulse in unsere Ehe eingebracht hat. Heute in der Pension gelingt es mir immer mehr, meine Aufgaben loszulassen, um mehr Zeit für mich und die Großfamilie zu haben.