Anja und Klaus, beide Anfang Vierzig, kommen zur Paarberatung. Was sie zunächst von sich erzählen, klingt perfekt nach Vorarlberger Art: seit acht Jahren verheiratet, zwei liebe Kinder (eine sechsjährige Tochter und ein vierjähriger Sohn), ein Häuschen im Grünen, nette Freunde, hilfsbereite Nachbarn. Und sie behaupten, sich nach wie vor zu lieben. Aber: „die Luft ist raus in der Beziehung“, so Anja. Und Klaus bestätigt. Was ist passiert?

Je länger ich den beiden zuhöre, desto mehr taucht mein inneres Bild vom „Beziehungskonto“ auf. Ich erkläre das den beiden so:

Stellen euch vor, ihr habt, als ihr ein Paar wurdet, ein gemeinsames Beziehungskonto eröffnet. Am Anfang, in der Phase der Verliebtheit, habt ihr  beide kräftig eingezahlt – bildlich gesprochen: ihr habt möglichst viel Zeit miteinander verbracht, viel und gut miteinander geredet. Schließlich wart ihr ja neugierig aufeinander, wolltet den anderen in- und auswendig kennenlernen. Ihr habt euch berührt, geküsst, geliebt. Ihr habt euch überrascht. Ihr habt euch gegenseitig beschenkt und jeder hat sich Gedanken gemacht, wie er dem anderen eine Freude bereiten kann. Undsoweiter. Mit jeder „Einzahlung“ ist euer gemeinsames Konto gewachsen.

Schließlich habt ihr euch entschieden, zusammenzuziehen, zu heiraten, habt Familienplanung gemacht. So ist – wie bei allen Paaren  – der Beziehungsalltag eingekehrt. In dieser Phase beginnen viele Paare vom gemeinsamen Beziehungskonto abzuheben. Man meint, mit anderen Worten, vom Angesparten zehren zu können. Konkret sehen die Abhebungen so aus: die gemeinsamen Unternehmungen werden weniger. Früher ging man ja noch gerne ins Kino (hielt sich die Hände und knabberte Popcorn), jetzt bleibt man lieber zuhause, vor dem Fernseher. Die Berührungen werden seltener, die Küsse flüchtiger, guter Sex seltener. Oft sind beide berufstätig, die Zeit für Gespräche wird  knapper bzw. beschränkt sich auf organisatorisches statt auf die Beziehung und darauf, wie´s dem Partner gerade geht. Dies verstärkt sich meist, wenn das erste Kind kommt. Es braucht eben auch viel Aufmerksamkeit und Zeit. Beide schlüpfen nun stark in die neue Elternrolle, behaupten „wir sind ein gutes Team“ und das sind sie auch: sie funktionieren beide gut. Aber: ist es das, was die beiden sich einmal von ihrer Liebesbeziehung erwartet, erhofft hatten?

Ihr Beziehungskonto ist geplündert, ist mittlerweile leergeräumt. Was jetzt?

Mein Klientenpaar sitzt jetzt ziemlich betroffen da. Schließlich sagen sie beide wie im Chor: „Ja, ziemlich genau so ist ´s bei uns gelaufen.

Beziehungskonto auffüllen

Voraussetzung ist immer dass die Liebe da ist und die Bereitschaft für Veränderungen.

Die sollen schrittweise eingeführt werden, um Enttäuschungen vorzubeugen.

Es empfiehlt sich, Bewährtes vom Anfang der Beziehung wieder zu aktivieren:

  • Interesse am Partner zeigen. Ich frage nach, wie dein Tag war, wie´s dir im Moment geht. Ob du etwas loswerden möchtest?
  • Kommunikation: statt Vorwürfen (du hast ja keine Zeit für mich) Bedürfnisse und Wünsche äußern (ich wünsche mir Zeit mit dir). Miteinander reden. Und einander zuhören. Ich empfehle – immer wieder -  die Dialoggespräche nach Lukas Möller. Sie nehmen eine Eieruhr und stellen auf 5 Minuten oder 10 Minuten ein. Jeder Partner hat soviel Redezeit, der andere hört nur zu, unterbricht nicht. Dann Wechsel. Wenn Sie das einmal pro Woche schaffen, erleben Sie schon einen Qualitätssprung in Ihrer Beziehung.
  • Signale aussenden: Du bist mir wichtig. Ich kann das auf verschiedene Weise signalisieren. Mit zuhören, mit kleinen Aufmerksamkeiten, Überraschungen, Unterstützung.
  • Gemeinsame Unternehmungen: wenn Sie früher oft zusammen ins Kino gegangen sind, kaufen Sie eine Ab-Karte und gehen Sie mindestens einmal pro Monat. Wenn Sie feines Essen genießen, gehen Sie einmal pro Monat gut essen. Wenn Sie an einer Sportart gemeinsames Interesse haben, aktivieren Sie das wieder. Oder Sie gehen einfach zusammen wandern.
  • „Inseln“ für die Zweisamkeit schaffen. So fördern Sie die erotische Spannung und Stimmung.
  • Rituale wieder beleben und pflegen: Rituale sind wichtig, denn Sie geben Halt in unserem oft hektischen Alltag. Sie sind wie Ankerplätze für unsere Seele. Seien Sie kreativ, vom Guten-Morgen-Kuss bis zum Gute-Nacht-Gebet.
  • Farbpunkte im Alltag: es sind die kleinen Aufmerksamkeiten, die Überraschungen, Lob und Anerkennung.

Es gäbe noch einiges anzumerken, aber Sie haben schon verstanden, worum es geht : jeder von uns will für den anderen wichtig sein, sich wertgeschätzt fühlen.

Anja und Klaus haben bereits den wichtigsten Schritt in die richtige Richtung getan: sie haben erkannt, dass ihre Beziehung abgedriftet ist. Sie haben beschlossen, sich damit nicht abzufinden, sondern sich professionelle Hilfe für einen Neustart zu holen. Ja, die Liebe ist immer wieder eine Entscheidung.

Albert A. Feldkircher (Paarberater im Ehe- und Familienzentrum), Jänner 2016