Statistiken liefern uns eine unerwartete Zahl: Im Jahr 2021 gab es in Österreich 18% Ein-Eltern-Familien. Die alleinerziehenden Elternteile sind dabei zu 90% Frauen. Gezählt werden hier Familiensysteme mit Kindern im Bezug der Familienbeihilfe. Beeindruckend und beunruhigend, wenn man bedenkt, dass es ein Fünftel aller Familien in Österreich ausmacht!

Herausforderung erkennen

Familien sind heute vielen Drucksituationen ausgesetzt und meistens sind es Frauen, die eine immense Komplexität an Verantwortung für die familiäre Struktur übernehmen. Bei den Alleinerziehenden sind diese Herausforderungen um die unteilbare Zuständigkeit angereichert, die leider oft mit der Einsamkeitsfalle kombiniert ist. Eine grobe Sortierung dieser Mehrfachbelastung ergibt drei Ebenen:

a)       Alltagsbewältigung. Der Stolz, dass die Tag-für-Tag aufs Neue getaktete Zeitstruktur super durchdacht ist, verabschiedet sich im Nu durch kleine Störelemente wie „Mama, ich habe Halsweh!“ ins Nirwana. Drei Telefonate = Problem gelöst. Von der Firma direkt in die Care-Arbeit: Kochen, Haushalt, Wäsche, Hausaufgaben. Im Dauermodus von sogenannten „Mental Load“ – alle Termine, Aktivitäten, To-Do-Listen, Einkaufszettel, Schularbeiten sind im Kopf gleichzeitig aktiviert – hetzt man durch den Tag, fällt man tot ins Bett, bevor es zwischen 5 und 6 in der Früh wieder von vorne losgeht.

b)      Existentielle Absicherung. Im Job geht sich trotz Ausbildung und Praxis wie auch trotz des mitgebrachten Willens leider nur Teilzeit aus. Und Gott sein dank ist der Chef rücksichtsvoll genug, wenn die Schule plötzlich autonom Freizeit verkündet. Die regelmäßigen Unregelmäßigkeiten und die Ferienzeiten halten den Wunschtraum Bilokation wach. Somit wird es nichts mit der Bill-Gates-Karriere und schon eine Skiwoche oder die neuen Reifen für das Auto können die Frage „Geht sich dass alles aus?“ hervorrufen. Nicht zufällig gehört man leider zu einer Armuts-Risiko-Gruppe dazu.

c)       Psychisch-emotionale Belastung. Pubertierende Kinder, Berge von schmutzigem Geschirr, kaputte Küchengeräte, Erziehungsfragen, gleichzeitig stattfindende Elternabende – aber das erwachsene Gegenüber, das mitträgt, das ausgleicht, das abnimmt ist nicht vorhanden. Oder nur als zusätzliche Bedrohung, wenn die Beziehung zum anderen Elternteil spannungsbeladen ist und manchmal man sogar unberechenbaren Attacken bzgl. Kontaktrechts oder bei Unterhaltszahlungen ausgesetzt ist.

Herausforderung meistern

Erhobenen Hauptes trotz schmerzendem Rücken, ohne in die Opferrolle zu rutschen ist es legitim nicht alles alleine zu tragen. Ein afrikanisches Sprichwort sagt, dass zur Erziehung eines Kindes ein ganzes Dorf vonnöten ist. Nun ist dieses Dorf gefragt!

a)       Hilfe finden. Google spuckt mehrere Seiten an diversen psychosozialen, finanziellen oder Entlastungsangeboten aus. So viele, dass es vor lauter Bäume kein Licht im Dickicht mehr gibt. Der Dschungel an Förderungsprogrammen erfordert darüber hinaus jedes Mal eine kleine Doktorarbeit. Endlich hat man alle Unterlagen beieinander, nur um zu erfahren, dass vorher eine andere Voraussetzung bei einer komplett anderen Behörde zu erfüllen ist. Die braucht aber gefühlt 100 weitere Unterlagen. Sich im Kreis drehend verliert man Lust. Die Zeit hat man sowieso nicht. Doch es gibt sie – die Spezialist:innen, die bei der Sortierung und Orientierung helfen: „Beratungsstelle“ ist das richtige Stichwort. Da hat jede Scham, als hilfsbedürftig gebrandmarkt zu werden nichts verloren. Beratung, Therapie oder Supervision aufzusuchen ist mittlerweile sogar „in“.

b)      Hilfe annehmen. Das soziale Umfeld spielt aber eine noch viel wichtigere Rolle im Leben der Alleinerziehenden. Ohne Freundschaften, Nachbarschaft und ohne Verwandtschaft wäre es kaum möglich, nicht davon zu laufen. Doch ein schlechtes Gewissen, das Gefühl es nicht zurück zahlen zu können bzw. die Hemmung sich als nicht taff genug zu outen hält eine:n zurück. Die Paradoxie liegt meistens darin, dass das Helfen dem Helfenden guttut. Also Gutes tun, indem man um Hilfe bittet! Ohne Gegenleistung und ohne schlechtes Gewissen! Liste führen mit all den Floskeln à la „Du, jederzeit!“ und diese Angebote auch aktiv anfragen!

c)       Atmen nicht vergessen. Die nachhaltigste Hilfe für die eigenen Kinder ist eine paradoxe Erkenntnis: Die wichtigste Person in meinem Leben sind nicht sie, sondern ICH. Denn nur solange ich „lebe“, kann ich für sie da sein. Die tiefere Dimension des Lebens ist hier nicht nur versteckt, sondern immanent = atmen, sich spüren, sich entfalten, sich etwas gönnen. Das ist kein Verrat am eigenen Nachwuchs, sondern eine wichtige Investition, aus derer Dividenden es mehr als profitiert.

Alleinerziehende sind nicht allein auf weiter Flur. Sie bilden ein Fünftel der Familienformen = Ein-Eltern-Familien. Diese Größenordnung bewegt. Das ist keine Randerscheinung, das ist eine große Gruppe an Menschen, die täglich kämpfen und die es verdienen auch auf gesellschaftspolitischen Ebene dauerhaft im Fokus zu bleiben: als Zielgruppe, die gewürdigt und unterstützt werden muss. Oder sogar als Vorbild!

Bohuslav Bereta