Roman und Manuela sind ein ungleiches Paar. Das fällt mir zunächst optisch auf, als sie zu mir in die Beratungsstunde kommen. Er groß, kräftig gebaut, sie klein und schmächtig und mindestens 15 Jahre jünger als er. Was sie zu mir führt? Auseinandergelebt, meint er. Der Altersunterschied macht uns wohl zu schaffen, meint sie.

Manuela hat Roman beruflich kennengelernt. Er ist Unternehmensberater, selbständig. „Er hat gleich auf mich Stärke ausgestrahlt, in seiner Nähe fühlte ich mich sicher und wohl.“
Roman erinnert sich: “ Manuela ist mir im QM-Team gleich aufgefallen. Ihr Aussehen, aber auch ihre Zartheit. Das ist was zu beschützen, dachte ich.“

Sie wurden schnell ein Paar. Ein halbes Jahr später heirateten sie. Das sind jetzt zwölf Jahre her. Sie haben zwei Kinder, eine Tochter mit Neun und einen Sohn mit  Sechs.  Roman arbeitet viel von zuhause aus. Manuela ist inzwischen QM-Managerin in einem angesehenen Unternehmen und arbeitet 80%. Sie wohnen in einem Eigenheim am Stadtrand. Soweit, so gut.  Aber beziehungsmäßig ist schon längere Zeit „der Wurm drin“ wie es Manuela ausdrückt: „Wir sind schon lange nicht mehr zu zweit ausgegangen. Für ihn zählt offensichtlich  die Arbeit am meisten. Und den Rest Energie beanspruchen dann die Kinder....!“ Wenn er mal nicht arbeitet, will er nur zuhause sitzen, als ob´s draußen nicht auch noch eine Welt gäbe zu entdecken! Echt ein Langweiler. Ich hätte mir nicht gedacht, dass unser Altersunterschied  (16 Jahre) jetzt, wo Roman gegen Fünfzig geht, sich so auswirkt. Ich bin frustriert. So habe ich mir unsere Ehe nicht vorgestellt.

Roman sieht das natürlich anders. „Natürlich liebe ich meine Arbeit, aber das tue ich schließlich auch alles für meine Familie. Das wird wohl nicht gesehen. Stattdessen liegt sie mir dauernd in den Ohren, dass ich sie im Haushalt entlasten soll und außerdem will sie ständig was unternehmen, ausgehen usw., dabei haben wir´s doch so schön zuhause. Ich versteh das nicht.  Als wir heirateten wollte ich schließlich eine glückliche und zufriedene Familie gründen. Und jetzt sehe ich jeden Tag eine unzufriedene Frau.

Was ist hier schiefgelaufen? Den Grund im Altersunterschied zu suchen wäre wohl die einfachste Erklärung, könnte aber ein Deckmantel für andere – tieferliegende – Probleme sein.

Auch Roman´s Erklärung mit „Auseinandergelebt“ ist zu vage und  ein Allgemeinplatz.

Im Laufe der Gespräche kristallisiert sich heraus, dass beide aus unterschiedlichen Wertehaltungen und Vorstellungen ihre Ehe begonnen haben. Roman kommt noch aus einer patriarchalisch geführten, traditionellen Ehe seiner Eltern. Das hat er als positiv erlebt, da waren die Rollen klar verteilt. Manuela, fast eine Generation jünger und aus einem liberalen Elternhaus stammend, kommt mit ihrer Vorstellung einer partnerschaftlich geführten Beziehung nicht zu Roman durch. Er baut Widerstand auf, weil er etwas verteidigt: seinen Wert von Ehe. Aber es ist ihnen beiden nicht bewusst, dass sie deshalb ständig in einem Machtkampf stecken und beide frustriert sind.

Am Beispiel dieses Paares wird deutlich: was zählt und worauf es ankommt, sind WERTE. Insbesondere gemeinsame Werte. Stimmen diese nicht überein, wird leicht das Problem auf einen greifbareren Grund wie Altersunterschied projiziert.

Ich verordne Roman und Manuela einen „Werte-Test“ zu machen. Dabei kommt folgendes heraus:

Für Manuela zählen: Liebe, Zärtlichkeit, Zuverlässigkeit, partnerschaftlich „auf Augenhöhe“ sein,  Abwechslung, Vertrauen, Zweisamkeit, Kinder, gemeinsame Ziele.

Für Roman zählen: Sicherheit, Geborgenheit, Harmonie in der Familie, Kinder, etwas gemeinsam Geschaffenes, Freundschaft, Sex.

Nun beginnt die eigentliche Beziehungsarbeit für Roman und Manuela: über diese Werte miteinander zu reden. Eine kommunikative Herausforderung für ein Paar, das in der momentanen Frustration gefangen ist. Deshalb geht´s am besten mit Unterstützung, also zu Dritt im Beratungskontext. Ziel ist, dass die beiden verstehen, was jeweils dem anderen wichtig ist und wofür er/sie sich einsetzt. Damit wird der Machtkampf aufgelöst. Im nächsten Schritt  suchen sie die Übereinstimmungen. Darauf können sie aufbauen. Schließlich in einem dritten Schritt suchen sie zusätzliche, neue, bisher vielleicht vernachlässigte Werte und finden: Humor, Spiellust.

„Gegensätze ziehen sich an“ sagt der Volksmund. Das trifft natürlich bei Paaren mit Altersunterschied besonders zu. Da kommen zu den charakterlichen Unterschieden noch unterschiedliche Rollenbilder, Denkmuster, kulturelle Unterschiede usw. hinzu. Das erfordert viel Verständnis und Toleranz, und ein gutes Maß an Gemeinsamkeiten die es zu pflegen gilt.

Eine Herausforderung in Beziehungen mit großem Altersunterschied ist Dominanz und Unterordnung. Wer führt wo und wann? Welches ist mein Gebiet/mein Bereich und was ist deins? Die Gefahr besteht, dass der ältere aufgrund seiner größeren Lebenserfahrung aktiv oder passiv mehr an sich nimmt, den anderen zu dirigieren und beschützen geneigt ist. Da ist keine böse Absicht dahinter, erzeugt aber eine Schieflage und verhindert eine partnerschaftliche Beziehung auf Augenhöhe. Und es hemmt die Entwicklung des anderen.

Allgemein ist festzustellen: wenn die Partner ihre Vorstellungen vom Leben einigermaßen synchronisieren können, gemeinsame Ziele und Träume haben, spielen Altersunterschiede in Liebesbeziehungen eine untergeordnete Rolle. Im Gegenteil: der  Altersunterschied kann eine Win-Win-Situation für beide Partner schaffen, denn beide können  viel voneinander lernen.

Umfragen bestätigen, dass die Akzeptanz großer Altersunterschiede in Beziehungen steigt. 71% aller Befragten finden sowohl Beziehungen mit einem älteren als auch mit einem jüngeren Partner absolut in Ordnung. 49% der  Befragten können sich selbst eine Beziehung mit einem Altersunterschied von mehr als 10 Jahren gut vorstellen und für 43 der Befragten spielt das Alter in Liebesangelegenheiten kein Rolle. 38% haben bereits eine Beziehung mit einem Altersunterschied von mehr als 10 Jahren geführt, 15% sogar mit 15 Jahren Unterschied und mehr.

Manuela und Roman haben sich übrigens im Tanzclub angemeldet und gehen seit kurzem jede Woche einmal dort trainieren. Sie werden sich zwar noch manchmal gegenseitig auf die Füße steigen, aber ich meine, sie haben gute (Tanz-)Schritte gemacht.

Paarberater, Albert A. Feldkircher, im Jänner 2015
Kontakt: Beratungsstelle des Ehe- und Familienzentrums; Beratung in Feldkirch, Dornbirn und Bregenz
Anmeldung und Anfragen: telefonisch 05522 / 74139 oder per E-Mail an beratungsstellen-efz@kath-kirche-vorarlberg.at