Leitgedanken von Damian Kaeser-Casutt aus dem Pfarrblatt Ausgabe 1 Februar 2018

Die katholische Kirche ist geprägt von der spannungsvollen Dimension der Weite und der Nähe. Wenn ich in fernen Ländern unterwegs bin und dort in einen katholischen Gottesdienst gehe, dann fühle ich eine vertraute Nähe in den Ritualen trotz der Entfernung von zu Hause. Ich weiß, ohne ein Wort zu verstehen, um was es geht und erlebe die Vielfalt der Kirche in ihrer ganzen Weite. Auf der anderen Seite bin ich immer wieder fasziniert vom Gedanken, der mir öfter am Sonntag während des Gottesdienstes in den Sinn kommt, dass am gleichen Tag, an unzähligen Orten auf dieser Welt, auch Menschen im Namen Jesu versammelt sind, zum selben Ritual. So fühle ich mich an dem mir vertrauten Ort verbunden mit all diesen Menschen und spüre die Weite der Kirche in ihrer Vielfalt.

Kirche in der Stadt
Vergleichbar erlebe ich die Situation von Kirche auch in kleineren Räumen, wie in meiner Heimatstadt St. Gallen oder auch in Bregenz. Ich leitete von 2004 bis 2011 in der Stadt St. Gallen ein Projekt, das den Namen „Lebensraumorientierte Seelsorge“ trägt. Aus dieser Perspektive ist nicht mehr die einzelne Pfarrei der Orientierungsrahmen für das kirchliche Leben, sondern die Stadt als Ganzes mit ihrem reichen Panorama von kirchlichen Anlässen, Diensten, Orten, Personen und Angeboten. Diese Vielfalt ermöglicht unterschiedliche Anknüpfungspunkte für Menschen in der Nähe, aber auch eine Weite durch diese Vielfalt kirchlichen Lebens.

Im Juni 2009 berichtete ich in Bregenz bei einem Zukunftsabend von den Erfahrungen in St.Gallen. Gemeinsam mit den anwesenden Mitgliedern aus den Pfarrgemeinderäten und Seelsorger/innen fantasierten wir, was ein solches Bild für Bregenz bedeuten könnte. In den darauffolgenden Jahren konnte ich als Organisationsberater miterleben, wie kirchlich engagierte Menschen sich auf den Weg machten, um zu suchen, welches Gesicht die Kirche in der Stadt Bregenz in Zukunft haben könnte. Nach der Arbeit dieser Forschungsgruppe im Diözesanprozess, der gemeinsamen Zukunftskonferenz 2012 in Hohenems mit 120 Teilnehmer/inne/n und verschiedenen Überlegungen zu Strukturen für die Zusammenarbeit, wurde im Frühling 2013 das Konzept für den Seelsorgeraum der Stadt Bregenz dem Bischof übergeben und von ihm genehmigt.

Dimensionen von Nähe
Bald fünf Jahre sind vergangen, seit die Stadt Bregenz nun auf dem Weg ist, die Idee von einer vielfältigen Kirche im Lebensraum der Stadt mehr und mehr umzusetzen. Die große Frage dabei ist immer noch und immer wieder: Wie kann Kirche auch im größeren Raum nahe bei den Menschen sein und bleiben? Was ich in all meinen Überlegungen zu diesem Thema gelernt habe, ist, dass Nähe ganz verschiedene Dimensionen hat. Ich kann räumlich nahe sein, thematisch, zu Personen, zeitlich, über die Form des Mediums, theologisch, spirituell usw. Aber oft meinen wir, dass die einzige Form der Nähe in der Kirche die räumliche Nähe sei und sehen die Pfarre als einzige Ordnungsgröße.

Wenn ich selber auf meine kirchliche Sozialisation schaue, dann merke ich, dass es selten so ist. Ebenso wichtig wie die Heimatpfarre waren für mich Taizé und Assisi als spirituelle Orte, aber auch sozialpolitische und pazifistische Themen und der regionale Jugendverband. Je älter ich wurde, desto weniger wichtig war die Pfarre. Erst mit der Geburt des ersten Kindes wechselte die Perspektive und ich entdeckte die Nähe zur Pfarre für mich neu. Ich kann sagen, dass ich heute ohne diese Erfahrungen der Vielfalt und der Weite an Themen und Orten in der Kirche mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in der Kirche arbeiten würde.

Chance der Stadt als Lebensraum
Wenn wir die Dimensionen von Nähe und Weite nun auf die Gestaltung von Kirche übertragen, dann bietet die Kooperation im Seelsorgeraum Bregenz eine große Chance. Nicht alle machen dasselbe, sondern ergänzen sich als kirchliche Orte und Engagierte im Seelsorgeraum so, dass viele Menschen einen Ort der Nähe in der Weite (zumindest der Stadt) finden können. Dazu ist es wichtig, dass wir die Vielfalt zulassen und wertschätzen, uns auch über die tollen Projekte und Angebote der anderen freuen.

Ich denke, Bregenz ist auf gutem Weg. Das Haus der Kirche ist ein Meilenstein. Die Selbstverständlichkeit, im Seelsorgeraum zu denken, wächst und damit auch die gedankliche Erlaubnis, dass „Kirche in der Stadt“ gelingen und gut sein kann und darf.