Leitgedanken von Christine Bertl-Anker aus dem Pfarrblatt Ausgabe 2 März 2018

Wie kann es sein, dass uns einzelne Worte, Textpassagen, Gebete, Prophezeiungen und Geschichten aus der Bibel schon seit Jahrhunderten begleiten und tragen? Vermutlich gibt es viele Gründe. Das Besondere ist - sie handeln vom Alltag der damaligen Kultur, von Leid und Freud, von Gut und Böse, von Krieg und Frieden, immer aber von der Hoffnung. Die Frage ist nun, wie wir uns diesen Geschichten ‚von Gott und der Welt‘ heute annähern? Dazu möchte ich das Batschunser Bibelhaus vorstellen, das Frau Dr. Hildegard Lorenz, Mitglied des Werkes der Frohbotschaft Batschuns, entwickelt hat.

Fundament
Jedes Haus braucht, um fest in der Welt zu stehen, ein gutes Fundament.
Das Fundament für das Haus der Bibel ist die Geschichte Gottes mit seinem Volk und die Geschichte der Menschen mit ihrem Gott. Zurückschauend auf die Anfangserzählungen in der Bibel wird deutlich, welche Geschichte das ist. Es ist eine Geschichte zum Guten, eine Geschichte der Entwicklung und des Bewusstwerdens – also Heilsgeschichte. Als Beispieltext für Beschreibung dieses Bibelhauses soll die Erzählung der Brotvermehrung bei Markus dienen (Mk 6,36-44)

1. Etage: Text und Kontext - Begegnung mit dem Text
Am Anfang von allem steht eine sorgfältige Begegnung mit dem Text. Langsam und möglicherweise auch laut gelesen, einmal, mehrmals … ergeben sich einige hilfreiche Fragen: Was wird erzählt? Welche Personen kommen vor? Was wird über die einzelnen ausgesagt? In welcher Beziehung stehen sie zueinander? Welche Ort- und Zeitangaben gibt es? Was steht unmittelbar vor diesem Text und danach? Welche religiösen, wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Hintergründe prägen diesen Text? Gibt es Wiederholungen, wörtliche Rede? Es ist gut, wenn ich mich bei solchen Fragen nicht davor scheue, Notizen in die Bibel zu machen oder den Text abzuschreiben und an dieser Abschrift zu arbeiten. Mk 6,35-44, also die Erzählung von der Brotvermehrung, steht bei Markus nach der Aussendung und Rückkehr der Jünger und reiht sich ein in eine Fülle von Heilungswundern, kurz bevor sich Jesus auf den Weg nach  Jerusalem macht. Die Menschen fühlen sich angezogen von den Worten Jesu und folgen ihm auch in die Ödnis, um ihn zu hören, um an seinen Worten satt zu werden.  Da sind aber auch noch die Jünger, die das Praktische im Blick haben: Wir haben nicht viel... 5 Brote und 2 Fische.

2. Etage: Bild / Symbol - Im einen das andere
Jeder Bibeltext erschließt sich auf neue Weise, wenn wir nicht nur lesen, was da steht, sondern in uns ein Bild entstehen lassen von der Situation, die hier erzählt wird. Immer schon sind Bilder für uns Menschen besonders einprägsam und können uns auf einer tieferen Ebene ansprechen. Welche Bilder entstehen in mir, wenn ich die Situation in dieser Erzählung betrachte? Ein einsamer Ort – Abend – „Wieviele Brote habt ihr?“ – Fünf Brote und zwei Fische – Mahlgemeinschaft – Der Blick zum Himmel – das Brot brechen – Fülle. Erzählen wir einander, welche Bilder sich uns auftun, wenn wir mit den Augen des Herzens auf den Text blicken und mit den Ohren des Herzens auf die Worte lauschen.

3. Etage: Text des alltäglichen Lebens - Die Rede ist von mir/uns in der heutigen Situation
Bibelarbeit hat immer damit zu tun, die gegenwärtige Wirklichkeit im Licht der Offenbarung zu sehen. Es stellt sich also die Frage – Wo bin ich in diesem Text? Welche Botschaft hat dieser Text für mich, für uns heute? Gibt es im Tun Jesu Antworten für mich? Bin ich ein zur Ordnung rufender oder bin ich ein empfangender Mensch? Was sagt mir die Aufforderung Jesu hier und heute, wo ich jetzt stehe: Gebt ihr ihnen zu essen? Bin ich alleine oder gibt es eine tragende Gemeinschaft um mich? Wonach hungere ich und was hilft mir, satt zu werden?

4. Etage: Kontemplation - Ich schweige und höre
Die letzte Einladung ist jene in die Stille. Es ist nicht immer leicht, sich darauf einzulassen. Das Schweigen und das Lauschen in sich hinein bedeutet, sich in die Gegenwart Gottes zu stellen. Ganz da sein, ganz präsent. Die Gedanken kommen lassen und wieder verabschieden, geöffnet zu sein und mit den Worten von Rose Ausländer zu sprechen: Erbarme dich / Herr /meiner Leere / schenk mir / das Wort / das eine Welt erschafft.

Ich wünsche allen Interessierten Mut zum Bibellesen! Und – eines noch: Wenn ich alleine lese, wird ein Samenkorn aufgehen und eine Blume wachsen. Wenn wir zu zweit oder zu dritt lesen, dann wird daraus schon ein Blumenbeet.