„Mancher Mensch hat ein großes Feuer in seiner Seele, und niemand kommt, um sich daran zu wärmen“. „Manchmal bin ich so einsam, dass es schon weh tut“. „Wissen Sie, Sie sind diese Woche der erste Mensch, mit dem ich spreche“. „Das hier ist die einzige Möglichkeit, von mir zu schreiben und ich bekomme eine Resonanz“. Die Zitate stammen von Vincent van Gogh, einer Anruferin, einem Anrufer und aus einer Mailberatung. Hinter diesen Sätzen verbirgt sich das große Thema Einsamkeit.

Die Ursachen sind vielfältig. Verlust von sozialen Netzwerken durch Tod, Scheidung, Umzug, Arbeitsplatzwechsel, eine schüchterne Grundgestimmtheit,
Rückzug aufgrund schlechter Erfahrungen, fehlende Pflege von Beziehungen, Scheu vor Small-Talk, Einschränkungen durch die Pandemie, zu hohe Ansprüche, …

Heuer verzeichnete die Telefonseelsorge Vorarlberg bereits 3000 Kontakte dazu. Die Auswirkungen von Einsamkeit können krank machen. Sie regt dieselbe Hirnregion an, wie Schmerz und kann auf Dauer zu physischer, wie psychischer Erkrankung führen.

Gleichzeitig schöpfen Menschen aber auch Kraft aus einer Zeit des Alleinseins, aus der Langeweile. Oft kreieren Künstler:innen ihre Ideen und Themen aus der Einsamkeit. „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu“, sagte Ödön von Horváth. Die/der Einsame möchte auch ganz anders sein und fragt sich, wie gelingt es dazuzugehören, nicht ausgegrenzt zu sein? Warum produziert eine Gesellschaft so viel Einsamkeit? Was treibt einen Menschen in die Isolation?

Immer kleinere Wohnungen verhindern Mehrgenerationenhaushalte. Familien haben kaum noch Platz einen alten Menschen daheim zu pflegen. Die digitale Kommunikation ist Segen und Fluch gleichzeitig. Die Geschwindigkeit, mit der wir immer noch schneller unterwegs sind, ist ein Hindernis für den Plausch am Gartenzaun. Die Briefträgerin hat kaum noch Zeit für ein kurzes Hallo, das Schwätzchen im Geschäft geht verloren, weil ein gestresster Paketzusteller den Einkauf bringt, oder der Lieferservice den Besuch in einem Gasthaus ersetzt. Das Großbild-TV-Gerät ersetzt den Kinobesuch, und Ohrstöpsel meines Gegenübers im Bus signalisieren uns „lass mich in Ruhe“.

Das Gefühl, nicht dazu zu gehören, nicht beim Gegenüber „anknüpfen“ zu können, erschwert, in Kontakt zu kommen. Die Angst vor Ablehnung und Enttäuschung nimmt zu, die ursprüngliche Zurückhaltung verstärkt sich, ein negatives Selbstbild „wirkt“ destruktiv. Der Kampf gegen die Einsamkeit
scheint aussichtslos. Zumindest im Großen, aber bei mir selbst, da kann ich sehr wohl dagegenhalten. Zuerst einmal das Gefühl der Einsamkeit wahrnehmen, sich seine Einsamkeit eingestehen, sich ihrer bewusst werden, dann den Blick nach innen richten, sich einen inneren Ort der Sicherheit aufbauen, an dem ich mich zurückziehen kann und die Selbstzweifel einmal unterbrechen, Mut fassen aktiv zu werden, kleine Schritte in Angriff nehmen und schauen, wo kann ich in Kontakt kommen und mit wem will ich in Kontakt kommen. Sich in kleinen Schritten üben, einmal ein freundliches Wort am Gartenzaun an meinen Nachbarn richten, beim Einkauf eine nette Rückmeldung geben, sich im „Komplimente machen“ üben ... Der Kontakt zu Menschen aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn!
Wer kann Ihnen aus dem Strudel heraushelfen, wenn die Spirale der Einsamkeit stärker an der Seele nagt als sonst?
Genau, ein Schmetterling! Seine Raupe verpuppt sich, zieht sich in ihren Kokon zurück und entwickelt sich dort, bis sie als Schmetterling diesen Kokon verlässt. Das ist immer wieder ein Kraftakt, aber ein schönes Bild, das ich einsamen Menschen gerne zur Seite stellen möchte. Betrachten Sie Ihre Zeit der
Einsamkeit, als Zeit der Entwicklung. Pflegen Sie Ihren Körper, nähren Sie Ihren Geist, schärfen Sie Ihre Sinne, experimentieren Sie mit Ihren Talenten,
tun Sie sich immer wieder etwas Gutes, seien Sie nett zu sich selbst ... auch, oder gerade, wenn es schwerfällt. Tun Sie das alles aber bitte ohne Absicht, ohne Erwartungen und ohne Druck, im Hinblick auf Ihre Einsamkeit.


Am Ende dieses Prozesses wird Ihr Selbstwert gestiegen sein, Sie werden sich Ihrer Flügel und Ihrer Buntheit bewusst sein, Sie werden sich selbst ein wenig mehr mögen und einem Gegenüber wird es leicht gemacht, Sie zu mögen. Die Einsamkeit erhält keine Nahrung. Wenn doch, dann rufen Sie einfach die Telefonseelsorge unter der Nummer 142 an, oder schreiben Sie ein Mail, oder klinken Sie sich in einen unserer Chats auf www.142.at ein.

Wir hören Ihnen zu, schenken Zeit und Aufmerksamkeit und unterstützen Sie beim „Brückenbauen“.

Sepp Gröfler, Leiter Telefonseelsorge Vorarlberg