Advent, schon wieder. Zeit der Ankunft, Zeit der Vorfreude auf das göttliche Kind. Und wie bitte soll ich damit umgehen, dass das eigene nicht kommen will?
Von Walter Hölbling
Nicht immer lagen Ergriffenheit, Trauer und Wut so eng beinander, aber Weihnachten war eine jener Zeiten, die es in sich hatten: Alles rundherum freut sich auf ein Ereignis, das sich im eigenen Leben einfach nicht einstellen will: die Geburt eines Kindes. Wo immer von Kindern die Rede ist und die Bäuche der Schwangeren wachsen, wirst du zurückgeworfen auf die eigenen unerfüllten Wünsche. In die engsten Freundschaften mischt sich das Gift des Neides, Eltern werden danach beurteilt, ob sie es verdient haben, ein Kind zu haben. Warten auf neues Leben wird zur Qual.
Wie ein Sonnenaugfgang.
Wenn alles seine Zeit braucht, dann erst recht die Bewältigung eines unerfüllten Kinderwunsches. So viele Erwartungen und Bedürfnisse hängen daran, so viele Erinnerungen und Sehnsüchte, so viele Wunschvorstellungen, wie es sein könnte. Darum war es nach langen Jahren der vergeblichen Hoffnung wie ein Sonnenaufgang im Frühsommer, wenn die Entscheidung reif ist für den Gedanken daran, ein Kind zu adoptieren. Jetzt fängt unsere Advent an, das Warten auf die Ankunft des Kindes.
Unterwegs zum Gipfelkreuz.
Wir haben nicht gewartet, wie man auf den Zug wartet, der einen mitnimmt. Unser Warten war ein Gehen, wie man auf die Ankunft beim Gipfelkreuz wartet, auf das man sich Schritt für Schritt zubewegt. Mit jedem Dokument, das bei Behörden organisiert, übersetzt, beglaubigt wird, gewinnt das Vorhaben an Wirklichkeit. Mit jedem Gespräch im Freundeskreis wächst die Vorfreude auf eine Zukunft, für die es noch keine rechte Vorstellung gibt.
Vieles gewandelt.
Mit dem Entschluss zur Adoption hat sich vieles gewandelt in unserem Leben. Die hilflose Ziellosigkeit hat einem gestärkten Willen Platz gemacht. Der gemeinsame Wunsch hat ein Ziel bekommen, auch wenn dieses noch in weiter Ferne liegt. Die Versöhnung mit dem eigenen Schicksal hat begonnen.
Erfüllte Augenblicke.
Es waren auch da noch lange Monate. Aber sie waren angefüllt mit bewusst gelebtem Leben. So viele erfüllte Augenblicke hat es selten gegeben, schon Kleinigkeiten rühren zu Tränen. Den Eltern, den Freunden zu erzählen ist wie ein doppeltes Rufezeichen am Ende eines endlos langen Satzes. Sie haben ja auch mitgewartet, mitgelitten und mitgeweint, umso mehr vergönnen wir einander jetzt die Freude. Schon bald steht eine kleine Sparbox auf dem Fensterbrett, um am Ende der Wartezeit ein erstes Geschenk für die Tochter zu kaufen. Freunde bringen Bodies, Strumpfhosen und Kleider, denen die eigenen Kinder schon entwachsen sind.
Notwendige Lieder.
Je näher der Tag rückt, an dem wir unsere Tochter in Äthiopien in die Arme schließen dürfen, desto intensiver wird das Erleben. Ungeduld quält, Vorfreude macht das Warten schön, aber fast unerträglich. Ratschläge von Freunden, die Zeit zu zweit noch voll zu genießen, sind überflüssig und von falschen Vorstellungen geprägt: Wir werden den stillen Abenden nicht nachtrauern, nicht der Freiheit, heimkommen zu können, wann wir wollen, nicht dem langen Ausschlafen am Wochenende. Die Zeit des Wartens lässt auch anderes reifen: Noch in den verzweifelten Tagen der Unentschlossenheit gründen wir eine Musikgruppe, schreiben Lieder über unerfüllte Hoffnungen, über gewachsene Einsichten ins Leben. Heute, in der Erinnerung, ist auch das noch notwendig gewesen: Das Warten wird zur Musik, die heute ihre eigenen Kreise zieht, weil sie Menschen gefunden hat, die sich in ihr wieder finden.
Das erste Bild.
Manche Erinnerungen werden ewig bleiben: Wie wir in der Wiener Postfiliale das Konvolut an Dokumenten abschicken. Unbedingt per EMS, haben sie gesagt, damit auch nichts verloren geht. Wie wir zuvor eine Kerze anzünden in der Antoniuskapelle in der Nähe des Außenministeriums. Oder wie wir gemeinsam vor dem Computer sitzen und das Mail öffnen, aus dem uns zum ersten Mal unsere Tochter auf einem kleinen Foto anschaut. Andere haben nur ein Ultraschallbild.
Unsere Tochter im Arm.
Bei allem, was wir erzählen können, bleibt das eine letztlich ein unaussprechliches Erlebnis: Wie Sr. Mariska meiner Frau Uschi das kleine Mädchen in die Arme legt, die unsere Tochter geworden ist. In diesem Raum in einem Waisenhaus mitten in Addis Abeba sind die Lebenswege von drei Menschen ineinander gelaufen. Geführt von unsichtbarer Hand und von vielen Menschen, die begleitet und tatkräftig mitgeholfen haben.
Vor allem Dankbarkeit.
Heute, vier Monate später, bleibt vor allem die Dankbarkeit. Und die Erfahrung, dass die Wege der Vergangenheit nicht anders hätten verlaufen dürfen, weil sie genau in dieser Zukunft enden wollten. Heute hat sich Samra Lea ihren festen Platz in unserer Wohnung erobert, und den Platz, den wir für sie vor Jahren schon in unseren Herzen bereitet haben, hat sie bereits hundert Mal gesprengt.
(Inpuncto, Ausgabe Advent 2008)