Jede/r spürt es, wenn es wieder einmal gut gegangen ist: Gastfreundschaft und Zuwendung sind wie Edelsteine auf unserer Lebensstraße. Der Advent lädt uns ein, die Rohdiamanten zum Leuchten zu bringen.
Von Martin Kranzl-Greinecker
Kürzlich fand ich das Gästebuch meiner Eltern, in das sich Besucher eingetragen hatten. Dieses Buch ist für mich ein Zeugnis lebendiger Gastlichkeit und ein kostbares Dokument der Verbundenheit mit anderen Menschen. Es erzählt von einem Netzwerk an Kontakten, in das ich damals hineingeboren wurde. Viele Kontakte sind erloschen, manche bestehen weiter.
Leben bedeutet, anderen die Tür zu öffnen und selbst Gast zu sein. Genau genommen ist die erste Lebenserfahrung jene des Gastes: als Kind im Bauch der Mutter. Diese Urerfahrung, gut bei jemand anderem aufgenommen zu sein, tragen wir zeitlebens in uns.
Der Weg zum anderen.
Im Advent fällt der Blick auch auf die beiden schwangeren Frauen Maria, die Mutter Jesu, und ihre Cousine Elisabeth, die Mutter des Täufers Johannes. Im Benediktinerstift Kremsmünster ist das Bild eines Malers aus dem 15. Jahrhundert erhalten, auf dem der Besuch Marias bei Elisabeth zu sehen ist (siehe Foto). Abgebildet sind nicht nur die beiden Frauen, sondern – wie auf einem frühen Ultraschallbild – auch die beiden ungeborenen Kinder im Bauch der Mütter. Schon in frühester Kindheit erleben wir ja Zuwendung und Freundschaft mit. Mag sein, dass das der Grund dafür ist, dass in der hebräischen Sprache das Wort für „innere Liebe“ (rachamím) mit dem Wort „Mutterschoß“ (rechém) eng verwandt ist.
Gerade der Advent bietet Gelegenheit, andere einzuladen oder zu besuchen. In weiten Teilen Österreichs ist der Brauch der Herbergssuche verbreitet, bei dem Nachbarn und Bekannte einander abwechselnd treffen, um miteinander zu beten, zu singen, aber auch um zu reden und miteinander einen gemütlichen Abend zu verbringen. Für viele Menschen ist der Advent die einzige Zeit im Jahr, in der sie Besuch erhalten! Und für manche bietet er die seltene Gelegenheit, wenigstens einmal andere zu besuchen. Besuchen und besucht werden ist heute keine Selbstverständlichkeit, da es den meisten an Zeit mangelt.
In sprachloser Zeit.
Besuche brauchen Zeit und Vorbereitung, sowohl für Einladende als auch für Gäste. Umso mehr sind sie kostbare Begegnungen, bei denen es um anderes geht als nur um gemeinsames Essen, Trinken, Bilderanschauen oder Spazierengehen. Ist nicht in Wahrheit das zuhörende Gespräch das Geschenk jeder gelungenen Einladung? Unsere Zeit ist oft sprachlos geworden, obwohl so viel geredet wird. In wenigen Wochen feiern wir die Ankunft Gottes als Gast auf Erden. Wie steht es um meine Gastfreundschaft? Bin ich auf den Besuch vorbereitet?