Als freie Ritualleiterin gestaltet Anita Bonetti nicht nur Willkommensfeiern oder Hochzeitsrituale, sondern immer wieder auch Trauerfeiern. Dass sie eine elementare Grundlage für den weiteren Trauerprozess sein können, hat sie immer wieder erlebt.

Anita, du bist Ritualdesignerin…

Nein, ich bezeichne mich als Ritualgestalterin. Der Begriff „Gestalten“ beinhaltet für mich das Leiten, das Beraten und Begleiten. Designen wäre zu wenig, es geht um mehr. Rituale stillen eine Ursehnsucht des Menschen – Candolini nennt sie „Heimat für die Seele“. Sie bringen uns dem näher, was uns trägt und verbindet. Die Varianten und Gewichtungen bei der Entwicklung eines Rituales sind darum so variabel wie die Anliegen der Menschen.

Dann gehen wir mal von so einem Gestaltungsauftrag aus: Es ist jemand gestorben und dessen Familie kommt auf dich zu. Was machst du, was sind Deine Aufgaben?

Ich sehe meine Aufgabe vor allem darin, dass ich schaue: Was brauchen diese Menschen für einen guten Abschied? Dabei sind mehrere Schritte möglich wie eine Totenwache am Sarg, ein Abschied daheim, eine Trauerfeier an einem besonderen Ort bis hin zur Beisetzung auf dem Friedhof. Den spirituellen Aspekt, also den Glaubenszugang der Menschen, nehme ich dabei immer auf – und der gibt einer Feier dann ihre Tiefe. Es kommt oft vor, dass wir gemeinsam ein Vaterunser beten, es kann aber auch sein, dass in dieser Hinsicht gar nichts möglich ist. Manchmal halten die Angehörigen einfach nur inne, und ich schlage zur Unterstützung der Einkehr eine Klangschale an. Manchmal wird im Gespräch der Wunsch deutlich, die Feier mit einem Priester zu machen – auch das kommt immer wieder vor und ist möglich.

Gibt es etwas, das Angehörige besonders häufig nachfragen?

Für viele ist die Frage zentral: Wohin geht der Mensch? Das ist zugleich etwas, auf das ich meiner Arbeit sehr viel Wert lege – die Frage: Wovon nehmen wir Abschied? Wir nehmen Abschied vom Leben und vom Wesen des Verstorbenen. Und wir entlassen ihn an einen guten Ort – was auch immer das ist. Selten ist es „nur“ die Erinnerung – das gilt es zu respektieren.
Ich erinnere mich gut an eine alte Dame, die ihren Mann nach vielen Jahren Beziehung verloren hat und im Anschluss an unsere Gespräche gesagt hat: „Mei, jetzt han I endlich a Bild, wo er ane ga isch!“ Für meine gewerbliche Tätigkeit habe ich die Ausbildung als Lebens- und Sozialberaterin nachweisen müssen und oft ist mir meine familiensystemische Beraterausbildung sehr hilfreich. Es sind die Beziehungen in Familien, die in den Tagen des Abschiedes ins Blickfeld kommen. Es gilt offen gebliebene Dinge zu befrieden und abzuschließen.

Wie geht man damit um?

Ich erinnere mich an eine Feier in der Schweiz. In dieser Familie war im engsten Kreis im Rahmen der Trauerfeier ein Verzeihensritual nötig, bevor wir die Asche des Verstorbenen in einem Wald der Erde überlassen haben. Das war sehr bewegend und berührend – vor allem aber: befriedend.

Wie erlebst Du das Sterben und den Tod in Deinem Berufskontext?

Sehr unterschiedlich. Allerdings habe ich einen sehr positiven Zugang zum Tod entwickelt. Ich habe nicht das lineare Verständnis von „geboren werden“ und „sterben“, sondern die Vorstellung, dass wir eingebettet sind in einen Kreislauf von Werden, Wachsen, Vergehen, Wandeln, um wieder zu werden. Klar ist es happig, wenn Du am Grab stehst mit einer Frau, die drei kleine Kinder hat, und deren Mann überraschend verstorben ist. Da schüttelt es dich schon. Aber ich vertraue und traue dem Leben und dem Lebensstrom, in den wir eingebettet sind, von dem wir getragen werden. Das Leben mutet uns zu und es gibt uns die Kraft, schwere Situation zu bewältigen.
Dieses Bild unterstützt mich in meiner Arbeit, wenn es gilt, Menschen in dieser Ausnahmesituation zu begleiten. Ich beziehe sie in die Vorbereitung der Trauerfeier mit ein, und sei es nur, dass sie Musik auswählen und Teelichter selber besorgen. So tun sie noch einmal was für einen Verstorbenen. Das ist für viele Menschen tröstlich.

Und was ist, wenn so viel Unausgesprochenes und Unbearbeitetes zwischen einem Hinterbliebenen und einem Verstorbenen steht, dass dieser Angehörige sagt: Ich will kein großes Brimborium, ich bringe den jetzt einfach unter die Erde?

Das gibt es natürlich auch. Aber: Diese Menschen tun sich keinen Gefallen. Wenn ich dazukomme und es heißt: „Aber bitte nur was ganz Kleines“, sage ich immer: „Jetzt schauen wir erstmal“. Ich erkläre dann, wie ich die Trauerfeierlichkeiten normalerweise gestalte, dass ich das Leben und Wesen des Verstorbenen benenne, dass wir uns bedanken für das, was schön war und dass wir auch darum bitten, dass wir Nachsicht haben füreinander – auf beiden Seiten – und dass wir ihn dann entlassen können an den besagten „guten“ Ort.
Rund um die Trauerfeierlichkeiten geht viel mehr, wie wir meinen. Ich habe schon Beerdigungen geleitet, bei denen ausschließlich Heavy Metal gespielt worden ist, oder noch einmal angestoßen wurde. Man glaubt nicht, dass das passt – aber wenn es dem Wesen des Verstorbenen entspricht, dann wird es als wohltuend und tröstlich erlebt!

Trauerfeiern dürfen also auch schön sein…

… müssen! Ja, die müssen schön sein! Ich glaube, dass die Trauerfeier die Grundlage ist für den weiteren Trauerprozess, denn mit der Trauerfeier schließen wir die Tage des Abschiedes ab und danach beginnt der Alltag. Der will gelebt sein – und: Der ist härter. Während der Tage des Abschieds habe ich so viele Menschen um mich herum, die mir beistehen, die mich tragen… aber wenn ich am Abend allein zuhause sitze…

Gibt es denn etwas, was Du Dir wünschen würdest in der Gesellschaft im Umgang mit dem Tod?

Ich würde den Menschen wünschen, dass sie sich mit dem Tod wirklich auseinandersetzen und sich bewusst werden, dass das Sterben ein Teil des Lebens ist, der auch im Leben stattfinden darf. Und dass sie wissen, wie wichtig eine bewusste Verabschiedung ist, um im Leben gut weitergehen zu können. Ich erinnere mich da an ein junges Mädchen, das seine Mutter hat beerdigen müssen. Da hat es zuerst geheißen: Wir machen das nur am Sarg, beim Bestatter, ganz klein. Und dann frage ich: „In welche Schule gehst du? Da wissen doch alle, dass deine Mama gestorben ist, oder?“ Wir haben dann eine öffentliche Urnenbeisetzung mit über 300 Leuten gemacht – und das war wichtig. Dieses Mädchen ist mir heute noch dankbar. Und auch die Oma hat gesagt: „Das war das Beste, was man hat tun können.“ Sie wurden von den vielen Gästen die da waren getragen. Aber der Abschied am Sarg im kleinsten Kreis war auch wichtig.
Die alten Traditionen mit ihren Ritualen zu den verschiedenen Schritten des Abschiednehmens, mit Totenwache, Verabschiedung, Beisetzung und dann das Gedenken gibt es nicht umsonst! Sie sind haltgebende Begleiter bei Abschied und Trauer, unabhängig davon, mit welchem religiösen Hintergrund sie gefeiert werden.

Interview: Charlotte Schrimpff