Am Sonntag, den 25. Mai, hat Generalvikar Msgr. Rudolf Bischof mit einer Messe die Woche für das Leben 2014 feierlich eröffnet.

Der Schrei nach Leben

Czernowitz, die Hauptstadt des Kronlandes Bukowina der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie. Die etwa 160.000 bis 170.000 EinwohnerInnen von Czernowitz setzten sich aus Deutschen, Ukrainern, Juden, Rumänen, sowie Minderheiten von Polen und Madjaren zusammen. Diese Vielfalt lebte friedlich nebeneinander. Bis die großen Umbrüche der Kriege kamen. Die Grenzen und Machthaber brachten Gewalt und Vertreibung. Am schlimmsten war die Zeit, als die Juden in Vernichtungslager und Arbeitslager abgeführt wurden. Unter ihnen auch Selma Meerbaum-Eisinger, geboren am 15. August 1924.  Gestorben am 16. Dezember 1942, im deutschen Arbeitslager Michailowska. Dort wird sie verscharrt. Was blieb: 57 Gedichte – gerettet von ihren Freundinnen. Die Gedichte sind Weltliteratur, leider aber zu wenig bekannt. Eines von ihnen heißt: Ich möchte leben.

Ich möchte leben.
Ich möchte lachen und Lasten heben
und möchte kämpfen und lieben und hassen
und möchte den Himmel mit Händen fassen
und möchte frei sein und atmen und schrein.
Ich will nicht sterben. Nein.
Nein...


Selma Meerbaum-Eisinger schreibt von einer Welt, die sie nie kennen lernen wird und von der sie doch weiß. Sie hat die Gewalt erlebt, die Leben vernichtet hat. Ihr Schrei ist auch der Schrei vieler nach Leben, das ermöglicht werden soll, aber nicht geschenkt ist.

Schrei der Natur
Es ist der Schrei der Natur, die verschmutzt ist. Die Erwärmung des Klimas verheißt eine schlimme Zukunft, wenn die Polkappen schmelzen. Die Verschmutzung der Meere ist an Grenzen gelangt und nimmt ständig zu. Die Fotos bei der Suche nach dem verschwundenen Flugzeug offenbarten große Inselwelten voller Schmutz, gebildet aus Abfall. In allen Meeren sind diese riesigen Gebilde anzutreffen. Es heißt der Schmutz senke sich auf den Meeresboden und durch die Fische gelange er in die Nahrungsmittelkette. Und da hören wir den nächsten Schrei nach Leben, weil so viele Böden schon vergiftet sind, die eigentlich für die Nahrung unserer Zukunft bereit sein sollten.

Schrei der Kranken
Dieser Schrei: Ich will leben, ich will nicht sterben, nein, kennen wir auch von den Kranken, die an die Grenze des Lebens gelangt sind, von vielen Fragen bedrängt.

Schrei der Flüchtlinge

Es ist der Schrei der Flüchtlinge, die mit brüchigen Booten übers Mittelmeer fahren und dort massenweise untergehen, wenn sie nach Lampedusa wollen. Oder es ist der Schrei derer, die in Marokko die Gitterwände emporklettern und dann heruntergeholt werden, um in Lastwagen wieder zurückgeführt zu werden. Es ist der Schrei der vielen Syrer, die in Lagern leben und endlich in die Heimat zurück wollen.

Schrei der Ungeborenen
Dieser Schrei könnte von den Ungeborenen stammen, deren sicherer Ort unsicher geworden ist, die bedroht sind und die leben wollen. Es ist manchmal auch der Schrei von uns allen, wenn wir ausgebrannt sind und erschöpft, wenn unser Leben zur Schablone wird und wir wieder „leben“ wollen.

Ehrfurcht vor dem Leben
In dieser Woche sind wir alle eingeladen, nachzudenken, wie wir unserm Leben mehr Raum schenken, wie wir dem Leben andern Raum schenken, denn dieser Ruf „Ich will leben“  hat seine Wurzeln in der Sehnsucht nach Gott, der uns zum Leben schafft. Wir müssen wieder daran glauben, dass dieses Leben eine Seele hat. Es gehört nicht dem Stärkeren, der es nur ausbeutet und tötet. Vor diesem Leben müssen wir Ehrfurcht haben, weil in ihm mehr wohnt, als nur oberflächlicher Gewinn. Wir können dieses Leben nur schätzen, wenn wir dankbar werden und seinen Wert entdecken. Diese Woche des Lebens schenke uns Kraft, dass wir diesen Schrei hören und uns für das Leben vieler einsetzen.