Artikel von Mag. Stefan Schäfer über die Bedeutung von Sakramenten als Rituale, die Marksteine in der Lebensbiografie sind.

Sakramente als Unterstützung, wenn sich das Familiensystem ändert.

Meist sind die täglichen Rituale, die wir vollziehen, nicht bewusst. Schon nach dem Aufwachen beginnen die ritualisierten Abläufen, der einzelne und die ganze Familie organisiert sich nach einer Folge von Handlungen, die sich scheinbar von selbst eingestellt hat. Aufstehen – ins Bad gehen – den ersten Kaffee herrichten - Zeitung holen… je nach Familie anders. Über den ganzen Tag verteilt sind täglich wiederkehrende Tätigkeiten zu erkennen. Genauso ist der Jahresablauf, strukturiert durch die Abfolge der Jahreszeiten mit den damit eingebundenen Geburts- und Feiertagen.
Dazu kommen noch die Rituale, die einmalig bei besonderen Situationen gefeiert werden: 1. Schultag, Firstfeier beim Hausbau,… Wenn zu wenig gemeinsame Rituale gelebt werden, steigt das Bedürfnis und wird zum Beispiel im Wunsch sichtbar: Wenigstens einmal am Tag könnten wir gemeinsam Essen!

Für das gemeinsame Leben in Familie haben die Rituale wichtige Funktionen

  • Bieten Orientierung in der Familie – z.B. Wer hat welchen Platz bei Tisch?
  • Definieren Zugehörigkeit zum System und Subsystemen – z.B. Wenn die Eltern miteinander reden, sind die Kinder nicht dabei.
  • Vermitteln Sinn und sind Lebensdeutung – z.B. Vor dem Einschlafen den Tag überdenken und für das Erlebte dankbar sein.

Funktionierende Rituale geben Sicherheit, Struktur und Ordnung. Umgekehrt gilt: fehlende Rituale machen haltlos, verunsichern und führen zu Desorientierung für Eltern und vor allem für Kinder. Diese allgemeine Bedeutung der Alltagsrituale trifft genauso auf religiöse Rituale zu.

Taufe, Erstkommunion und Firmung sind als Sakramente auch Rituale, die viele Familien in Anspruch nehmen und feiern, obwohl ihre Bindung an die Kirche relativ gering ist. Aus verständlichen Zusammenhängen ist dies gerade bei der Erstkommunion der Fall. Manche Eltern begründen die Teilnahme dann mit: „Ich will meinem Kind die Freude nicht nehmen! Mein Kind soll auch dazugehören!“


Rituale bewirken und zeigen Zugehörigkeit

Genau das steht hinter den Bedürfnissen der Familien. Für Taufe und Firmung könnte das ebenso gezeigt werden. Diese Feiern des Lebens machen Orientierung, Sicherheit und Zugehörigkeit erfahrbar und schaffen sie. Durch die verwendeten Symbole wird für das Kind und die ganze Familie sichtbar.

Sakramente finden im öffentlichen Raum statt. Sie sind eine Form, die den Rückzug auf die private Welt durchbricht. Daher stellen Sakramente das Familienleben in einen größeren Zusammenhang und der Gemeinschaftsaspekt ist zu beachten.

 

Sakramente finden an den Lebensübergängen statt

Genau dann, wenn sich die Familienstruktur oder die Aufgabe und Verantwortung des Einzelnen sich ändert. Wenn die Kinder neue Aufgaben und andere Kompetenzen bekommen, wird das durch ein Ritual gefeiert und bezeugt. In der Folge haben sie einen anderen Platz in der Gemeinschaft bzw. Gesellschaft. Am Beispiel der Taufe verdeutlicht: Sie wird gefeiert, wenn einem Kind in der Familie Platz gegeben wird und der Gemeinde „vorgestellt“ werden soll. Das neue Leben verändert den ganzen Lebensablauf einer Familie. Neben Freude ist diese Situation auch Herausforderung.
Die Erstkommunion wird meist dann gefeiert, wenn das Kind seine ersten Schritte aus der Familie gemacht hat und sich bereits in außerfamiliären Gemeinschaften – Kindergarten und Volksschule – bewegt. Hier geht es um den Platz des Kindes zwischen Familie und der Gemeinde.
Die Firmung markiert einen weiteren Entwicklungsschritt des Kindes und der Familie. Der Jugendliche beginnt sich seine Beziehungen selbst zu wählen und zeigt damit seine immer größer werdende Unabhängigkeit von seinen Eltern. Endpunkt ist seine Selbständigkeit als Erwachsener, der verantwortlich mitgestaltet.

 

Rituale brauchen Vorbereitung

Genau genommen brauchen Rituale eine Vorbereitung (einkaufen, kochen,… als Voraussetzung für das gemeinsame Essen). Dem entsprechen haben sich in den letzten drei Jahrzehnten Taufgespräche, Erstkommunion- bzw. Firmvorbereitung als Standard für die Vorbereitung auf die Feier der Sakramente in unterschiedlichsten Modellen entwickelt. Rituale an den Lebensübergängen sind nicht punktuelle, abgeschlossene Handlungen, sondern Ausdruck eines oft mehrjährigen Prozesses. Als Beispiel: die Aufgabe eines Erstklässlers ist in den ersten Monaten in der Schule seine Bewegungsimpulse, sein Verhalten an die Klassengemeinschaft anzupassen. Wenn dieses Geben und Nehmen gelingt, erfährt das Kind den Gewinn durch den momentanen Verzicht auf die persönlichen Bedürfnisse, um einem größeren Wert zu folgen. Erstkommunion ist dann Feier dieser gelungenen Einbindung in die Gemeinschaft.

Die Botschaft an das Kind ist eine vierfache Beziehungsaussage von Gott und der Gemeinde an das Kind.

  • Ich sehe dich!
  • Du gehörst dazu!
  • Du bist okay!
  • Ich bleibe bei dir!

Taufe, Erstkommunion und Firmung sind Rituale, die den Platz des Kindes in der Gemeinde und bei Gott feiern. Damit verbinden sie familiäre, gesellschaftliche und religiöse Sinndeutung. Als Marksteine in der Lebensbiografie sind sie ein Werkzeug Lebenserfahrungen zu deuten.

 

Trennungen und Brüche

Gerade an diesem Punkt taucht eine Schwierigkeit auf, die die Seelsorger, Lehrerinnen und ehrenamtlichen Mitarbeiter in der Sakramentenvorbereitung kennen. Veränderungen des Familiensystems entstehen nicht nur durch natürliche Entwicklungen. Trennungen der Eltern werden von den Kindern als Brüche erfahren. Diese Brüche sind vielfach Folge von Konflikten, die durch die Trennung nicht gelöst werden.
Meistens sind diese Konflikte nicht in der Öffentlichkeit und das Kind nimmt sie als spannungsgeladene Atmosphäre wahr. Die Kinder sind den Konfliktkräften ausgeliefert. Sichtbar werden sie, wenn das Kind zur Religionslehrerin sagt: „Ich weiß nicht, ob mein richtiger Papa kommt!“.


Die Diskrepanz zwischen den vier oben aufgezählten Beziehungsbotschaften und dem faktischen Leben ist augenscheinlich. Die Vorbereitung und Feier der Sakramente braucht einen Blick auf veränderte Lebensformen in den Familien und Fingerspitzengefühl im Umgang damit. Die Rituale der Erstkommunion und Firmung mit den Vorbereitungswegen dazu sind eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit die Kindern Erfahrungen der Orientierung und Zugehörigkeiten zu ermöglichen.

Mag. Stefan Schäfer, Theologe und systemischer Familientherapeut, Bregenz
Leiter der Ausbildung „Team-, Gruppen-, SeminarleiterIn“