Der "Religionsunterricht im Wandel der Gesellschaft" stand vergangene Woche im Zentrum des Seggauer Gesprächs. In den Vorträgen und Diskussionen der ExpertInnen kam zur Sprache: Religionsunterricht gehört zu umfassender Bildung, ist Lernfeld für die Kirche und fördert Integration.

Religionsunterricht in Österreich ist ein "Erfolgsprojekt". Das betonte der Grazer Religionspädagoge Wolfgang Weirer beim "4. Seggauer Gespräch zu Kirche und Staat", zu dem sich 60 TeilnehmerInnen - vornehmlich TheologInnen und RechtswissenschaftlerInnen - letzte Woche getroffen haben. "Erfolgsprojekt" deshalb, weil kein anderes kirchliches Projekt so viele Menschen erreicht. Belegt hat Weirer diese Einschätzung mit eindrucksvollen Zahlen für den römisch-katholischen Religionsunterricht. 92,5 % der katholischen SchülerInnen nehmen am Religionsunterricht teil. Ähnlich sind die Zahlen an Vorarlbergs Schulen.  Hier besuchen 90 % der katholischen Schülerinnen und Schüler den römisch katholischen Religionsunterricht. Insgesamt werden in Vorarlberg 38 500 SchülerInnen dem Religionsunterricht von 566 ReligionslehrernInnen anvertraut. 

Zwischen den Stühlen

Trotz der hohen Akzeptanz des Religionsunterrichtes unter den Schülern, auch unter vielen kirchendistanzierten Eltern, die ihren Kindern religiöses Basiswissen und christliche Feierkultur zukommen lassen wollen, sieht Weirer den Religionsunterricht als Fach "zwischen den Stühlen". Inhaltlich und für die Beauftragung der Lehrpersonen seien die staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften zuständig, disziplinär und dienstrechtlich die Schulbehörden. Auch der Status als "Pflichtfach mit Abmeldemöglichkeit" verleihe Religion eine Sonderstellung im Fächerkanon, die laut Weirer durchaus zu "Verhandlungen" durch Schüler führe wie z.B.: "Wenn es bei Ihnen keine Tests und keine Noten schlechter als einen Zweier gibt, bleibe ich."

Bildung ohne Religion bleibt unvollständig

Auf die völkerrechtlich abgesicherte Stellung des Religionsunterrichts - in Österreich durch das Konkordat zwischen der Republik und dem Heiligen Stuhl - zu pochen reicht als Legitimation nicht, so der Grazer Religionspädagoge: Religionsunterricht müsse sowohl bildungstheoretisch als auch theologisch plausibel sein. Weirers Thesen: Bildung bliebe unvollständig ohne Berücksichtigung der religiösen Dimension, die zur conditio humana gehöre; zudem schütze eine kritische Auseinandersetzung mit dem religiösen Erbe vor Fundamentalismen. Und aus der Sicht der Kirche müsse der Religionsunterricht eine von mehreren Formen sein, sich nach dem Vorbild Jesu den jungen Menschen zuzuwenden und ihnen zu dienen. Weirer hob zugleich hervor, dass Religionsunterricht nicht auf "Katechese" im Sinn von Glaubensunterweisung an die Kirchenmitglieder verkürzt werden dürfe. Er habe vielmehr auch die Kirchendistanzierten und Atheisten im Blick zu haben.

"Flaggschiff" der Kirche

Einen Einblick in die konfessionell anders gelagerte Situation in Deutschland gab der Passauer Religionspädagoge Hans Mendl: Katholiken und Protestanten halten sich dort die Waage, gerade im Osten und im städtischen Bereich Deutschlands gebe es einen hohen Anteil an Konfessionslosen. Mendls Überzeugung: "Je säkularer und pluraler die Gesellschaft wird, desto wichtiger erscheint ein Schulfach, in dem zentrale religiöse und existenzielle Fragen geklärt werden." Gerade für Jugendliche sei Kirche heute "ästhetisch und lebensweltlich unattraktiv", dennoch würden ihre sehr unterschiedlichen Milieus vom Religionsunterricht erreicht. Mendl bezeichnete den Religionsunterricht als "Flaggschiff der Kirche in der säkularisierten Postmoderne". Die Kirche könne von Religionsunterricht lernen, "was es bedeutet, dass Kirche im Sinn Bonhoeffers nur dann Kirche ist, wenn sie für andere da ist, ohne sich selber zu verlieren".

Distanzierte "Religionskunde" aus der Beobachterposition hält der Passauer Theologe für ebenso verfehlt wie vereinnahmende Verkündigung. Der Jugend-Katechismus "YouCat" als Unterrichtsgrundlage würde gerade nicht die "Fernstehenden" erreichen und entzöge dem schulischen Religionsunterricht seine Berechtigung, so Mendl. Je nach dem jeweiligen Umfeld müssten "in Sache Religion" unterschiedliche Modelle zum Tragen kommen, forderte der Religionspädagoge: Wo es möglich ist, solle der klassische konfessionelle Religionsunterricht beibehalten werden; "wo es nötig ist", riet Mendl zu kooperativen, konfessionsüberschreitenden Modellen, die auch Schüler ohne religiöses Bekenntnis miteinschließen. Auch über die Ausgestaltung von Fächerverbünden mit Religion und Ethik werde in Zukunft nachzudenken sein.

Stichwort: Ehtikunterricht

Im Jänner hat der Nationalrat den Auftrag gegeben, den Ausbau des Ethikunterrichtes, der immer noch als Schulversuch läuft, vorzubereiten. Vorarlberg zeichnet sich in den mittleren und höheren Schulen durch eine hohe Dichte an Schulen aus, die verpflichtenden Ethikunterricht für alle SchülerInnen eingeführt haben, die an keinem Religionsunterricht teilnehmen (im laufenden Schuljahr sind das ca. 1960 SchülerInnen). Die 14 Schulen gliedern sich in 10 Gymnasien und 4 berufsbildende mittlere und höhere Schulen auf.

Gesetz ermöglicht auch Kooperation

Der Staat gibt den Religionsgemeinschaften in Österreich viel Spielraum zur Gestaltung des ihnen überantworteten Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Darauf wies die Linzer Verwaltungsrechtlerin Katharina Pabel beim "Seggauer Gespräch" am Freitag hin. Der hierzulande übliche konfessionelle Religionsunterricht sei durch das Staatsgrundgesetz, die Verfassung und völkerrechtlich auch durch das Konkordat zwischen der Republik und dem Heiligen Stuhl rechtlich gut abgesichert; das Gesetz ermöglicht den Religionsgemeinschaften aber auch Kooperationen bei der Weitergabe des Glaubens - sofern sie dies wünschen, wie Pabel unter Verweis auf die ökumenisch getragene Religionslehrerausbildung an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule (KPH) Wien/Krems festhielt.

Anders als in den meisten europäischen Ländern ist in Österreich auch islamischer Religionsunterricht der "Normalfall", so die Rechtswissenschaftlerin. Seit 100 Jahren besteht hier das Islamgesetz, seit 30 Jahren gibt es schulischen Religionsunterricht, bei dem sich die verantwortliche Islamische Glaubensgemeinschaft zur Zugehörigkeit zu Österreich und Europa bekennt. Pabel wies darauf hin, dass sich derzeit auch die Aleviten nach deren staatliche Anerkennung als "eingetragene Bekenntnisgemeinschaft" einen eigenen Religionsunterricht anstreben und nicht mehr unter "Islam" subsummiert werden wollen.

Religionsunterricht fördert Integration

Die grundsätzliche Frage, "ob eine zunehmend religiös plurale und zugleich religiös indifferente Gesellschaft überhaupt auf konfessionellen Religionsunterricht setzen sollte", warf der in München lehrende Kirchenrechtler Stefan Korioth auf. Aus seiner Sicht ist der Ansatz des Religionsunterrichts, "über das Kennenlernen des eigenen auch das religiös Fremde zu erkennen", durchaus zukunftsfähig. Eine Berliner Studie über evangelischen Religionsunterricht zeige, dass darin nachweislich auch interreligiöse Kompetenz sowie Toleranz gefördert wird. Unterstellungen, wonach Religionsunterricht "integrationshemmend" wirke, gingen demnach ins Leere. Für Korioth wirkt Religionsunterricht jedenfalls eher integrativ als sozial separierend.

Die Zukunft des Religionsunterrichtes

Der Erfolg des Religionsunterrichtes wird zukünftig auch von der Zahl der ReligionslehrerInnen abhängig sein. Hier gibt es in Vorarlberg derzeit offene Stellen. Im kommenden Schuljahr kann es sogar sein, dass die ein oder andere Religionsstunde nicht unterrichtet werden kann. "Die Gründe dafür sind vielschichtig.", erklärt Theo Lang, Leiter des Schulamtes der Diözese Feldkirch. "So werden in den nächsten fünf Jahren zwischen 20 und 25 ReligionslehrerInnen in Pension gehen. Daneben gibt es noch zahlreiche weitere Gründe wie Karenzierungen, Wechsel in ein anderes Bundesland, berufliche Veränderungen, Krankheitsfälle uvm." Die Einstellungschancen sind deshalb sehr gut, vor allem im Pflichtschulbereich und im BHS-Bereich. ReligionslehrerInnen sind gefragt!

Kathpress / Red.