Startet man den Versuch, über das Pilgern zu schreiben, so verfällt man leicht in gefühlsbetonte Charakteristiken, die Darstellung körperlicher Strapazen zu Gunsten des Erreichens eines bestimmten Wallfahrtsortes und der damit verbundenen spirituellen Belohnungen. Was jedoch bleibt darzustellen, wenn nicht über Blasen an den Füßen, hingegen über Fehlzündungen, wenn über keine Wallfahrtskirche, hingegen über das Treffen von Tausenden Vespa-Verrückten zu schreiben ist?

Teil 1 (von 3)

Worüber also berichten beim Thema Pilgern, wenn es nicht vordergründig mit körperlichen Entbehrungen und Wallfahrtsorten zu tun hat? Ein Bericht über eine unkonventionelle Pilgerreise, geprägt von Sehnsüchten, mit spirituellen Erkenntnissen, die ungewöhnlich klingen.

Leidenschaft.

Letzter CheckDies eint die Sieben: Leidenschaft. Das vorweg. Ich verstehe mich als Teil dieser Pilger. Unser Bekenntnis: Wir suchen neue Wege. Nachdem wir monatelang an unseren Vespas herumgebastelt haben. Fahren wollen wir. Bestimmt sogar gemeinsam. Fährt man Vespa, dann ist man gezwungenermaßen dem Grundsatz verpflichtet, dass der Weg das Ziel sei. Mit einer Vespa weiß man nie, ob man ankommt. So ist es. Faktum. Wenn man dann auch noch verrückt genug ist, nicht den direkten Weg zu nehmen, auch nicht den flachen, sondern über Umwege und Tausende Höhenmeter bewältigend an ein definiertes Ziel kommen will, dann ist von nichts anderem denn Pilgern zu sprechen.

Vertrauen, verlorenes.

Weit entfernt lag es, das Ziel. Auf direktem Weg dreihundert Kilometer. Zell am See. Besonders Umwege aber sind es, die das Erreichen einer gesetzten Idee wertvoll werden lassen. Meinen wir. Und fahren los, in die verkehrte Richtung. Der nagende Zweifel, ob der Vespa zu trauen ist, wuchs bei mir persönlich in den letzten Tagen, ja Stunden vor der Abreise immer mehr. "Woran zweifelst du?", fragte mich am Vorabend ein Freund, alles werde gut, die Vespa werde halten. Ha, der hat gut reden, dachte ich zurück. Sagte aber nichts. Der "point of no return" war längst erreicht. Natürlich, keiner von uns musste fahren, jeder hätte sich entscheiden können, nicht zu starten. Unter keinen Umständen jedoch hätte einer von uns auf die Abreise verzichtet, sozusagen der innere "point of no return" war längst überschritten.

Umwege führen ans Ziel.

Erste PanneDie ersten Stunden führten uns also in die dem Ziel entgegengesetzte Richtung. Und schon nach einunddreißig Kilometern stand einer von uns. An einer Kreuzung in Schaan. Sauber, dachte ich, das kann ja was werden. Sind ja nur noch schwache 470 Kilometer bis nach Zell am See. Die Reparatur dauerte wenige Minuten. Also weiter über Maienfeld, den Heimatort des Poeten Michael Donhauser, quer durch die Weinberge, von denen er schreibt, bald vorbei an Davos und dann über den 2.303 Meter hohen Flüelapass. Eine erste echte Herausforderung für die Maschinen, kurz darauf maximal übertroffen durch eine Schotterstraße hinauf auf den Umbrail Pass. Ich kannte Schilderungen solcher Wege: "phantastisches Panorama", "herrliche Bergwelt". Alles Makulatur: solche Momente kann man nicht beschreiben. Eine erste Erfahrung: sogar einer wie ich wird da wortlos. Auf meiner Vespa erkannte ich, dass jede Formulierung dieser unglaublichen Schöpfung nicht im Entferntesten dem Nahe kommt, was hier Realität ist. Kein Bild, kein Satz kann es auch nur annähernd beschreiben.

Pathos in dünner Luft.

Einsamkeit-der-BergeIn der Einsamkeit der Berge, dem rauen Wetter, den Wolkenbänken, durchsetzt von einem Blau des Himmels, das ich bislang nicht gekannt hatte, fielen mir so ungewöhnliche Formulierungen wie "hier hat Gott die Erde geküsst" ein. Bitte, ich wiederhole es gerne: "Hier hat Gott die Erde geküsst". Solche Sachen. Schossen einfach durch meinen Kopf. Ich schrieb meinen Pathos der dünnen Luft zu. Bei einem kurzen Stopp auf der Passhöhe bemerkte ich in den Gesichtern meiner Vespa-Kollegen komische Veränderungen: Ihre Augen glänzten, sie lächelten, schienen vollkommen fern ihres Alltags. Die also auch, dachte ich, sagte aber nichts. Der Silbertal-Marathon fiel mir ein: Drei Jahre hindurch war ich jeden Sommer bei diesem Extremmarathon mitgelaufen. Er führt vom Silbertal im Montafon über das Winterjöchle nach Tirol. Die Mühsal der Schritte, die dünne Luft, das Lächeln der Mitläuferinnen und -läufer, war mir bekannt. Jeder Pass, den man bewältigt, ist zäh. Aber das hier, absurd. Vollkommen neue Gesichter.

Herausforderungen.

Stilfser JochNichts ist einfach, das Glück einer Reise liegt in der Mühsal. So etwas bemerkt man im Auto natürlich nicht. Auf einer Vespa, da bist du mittendrin. Wir fuhren hinauf auf das Stilfser Joch. 2.757 Höhenmeter. Strahlend weiße Schneewände links und rechts der Straße. Eiseskälte. Die Finger in dicken Handschuhen. Dennoch gefühllos um die Vespalenker gewickelt. Meine Maschine bekam kaum Sauerstoff. Blubberte so vor sich hin. Unweigerlich versucht man sich leicht zu machen, gleichmäßig und den Motor schonend zu fahren. Rücksicht nahm ich auf mein Gerät. Lag auch das an der Luft oder liebte ich meine Maschine? Dafür, dass sie mich trug?

Jedenfalls führte sie mich in meinem euphorischen Endorphintaumel durch die Bergwelt. Auf dem Pass ein Schneebrett. Unvergesslich die Schrecksekunde. Unvergleichlich die Erzählungen darüber, später.

Rosengarten.

RosengartenAm Nachmittag erreichten wir den Karrenpass südöstlich von Bozen. Die Fahrt hinauf ein letztes, schönes Erlebnis des Tages, das sei faktisch erzählt, um mich dem Gefühlsbetonten möglichst zu entziehen. Jeder hatte immer auf jeden anderen gewartet. Bei unseren Fahrten ist selbstverständlich, was im Alltag oftmals fehlt: Der eine schaut auf den anderen. Jede Sekunde. Unter dem Panorama des "Rosengartens", am "Tor zu den Dolomiten", nächtigten wir. Die imposante Bergkette markiert die Grenze zwischen Südtirol und dem Trentino, dem Land meiner Vorfahren. Für einen kurzen Moment war ich angekommen.

 

Lesen Sie nächste Woche in Teil 2: Die Durchquerung der Dolomiten, Eisregen auf dem Großglockner und die Geschichte des Schlüsselbunds im Motorblock.