Früher war ich Ministrant. Nicht etwa während der Volksschule für drei Jahre oder so. Ganze zehn Jahre habe ich mit Überzeugung der Kirche gedient. Das war einmal. Und die Zeit tat ein Übriges.

Ein Positionierungsversuch von Stefan G. Meier

In Göfis, meinem Heimatort, gibt es keine Altersobergrenze für Gottesdiener. Die Kirchengemeinde ist äußerst lebendig, der Dorfpfarrer seit jeher sehr beliebt und einflussreich, die kirchlichen Feiern fix ins Dorfleben integriert. Meine Eltern lehrten mich - wie es sich gehörte - in die Kirche zu gehen, nahmen mich sonntags mit zur Messe und verkündeten mir das Wort Gottes. Christliche Feiertage wurden (und werden) in unserer Verwandtschaft gelebt. Damals, als unerfahrener und ungebildeter Mensch, faszinierte mich die Macht, die Aura und die positive Energie, die von unserer Kirche ausging.

"Missionierung" in der Volksschule.

Unsere Religionslehrerin nahm ihre Mission in der Volksschule sehr ernst, schwärmte von Jesus, Gott, dem Heiligen Geist und der Kirche. Ministrant zu werden, war damals schlichtweg angesagt. So wurde ich zu einem Kind Gottes ausgebildet, diente als Bub bei unzähligen Gottesdiensten, Taufen, Firmungen, Hochzeiten, Prozessionen und Beerdigungen. Ich war nicht nur dabei, sondern ein Teil des Geschehens. - Im Alter von vierzehn Jahren wird man in Göfis dann MAXIstrant. Alljährliche Ausflüge und Wirtshausbesuche inklusive Ehrung der Treuesten der Treuen vom Pfarrer persönlich halten die Diener bei der Stange. 40-jährige Tabernakeljünger sind zwar rar aber tatsächlich existent.

Eine Entscheidung getroffen. Gefirmt wurde ich schließlich mit 16 oder 17. Der "lange Firmweg" führte zu mehr Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben und der bewussten Entscheidung pro Gott. Dass man mit zwölf und nur um der Geschenke der Verwandtschaft willen gefirmt wird, wurde in unserem Dorf schon abgeschafft. Gut so! So entschied ich mich selbst für den Empfang des Sakraments der Firmung und den Empfang des "Heiligen Geistes". Ich war damals so überzeugt, dass ich bewusst auf einen Firmpaten verzichtete, um zu demonstrieren, dass die Vertiefung meines Glaubens allein meine (und nur meine) Entscheidung sein sollte.

Die Jugend von heute: Alles Heiden?

Da war dieser Messbesuch letzten Sommer. Kurz zusammengefasst: Der Prediger wollte eigentlich den Wert der Nächstenliebe und der Religion preisen, verglich den römisch-katholischen Glauben mit einem großen Schatz, plädierte für ein Miteinander und mehr Solidarität. Nichts Außergewöhnliches. Dann aber packte er aus: Heidentum und die "Jugend von heute" in einem Satz, eine Forderung nach passivem Kampf gegen Ungläubige durch Missionierung in jedem Haus. Fernsehen, Computer und Medien stellte er als Feind an die Mauer. Er drückte sich sehr vorsichtig aus, ließ es zwischen den Zeilen aber trotzdem richtig krachen. Dem alten Publikum schien es zu gefallen. Genau das, was sie hören wollten.

Vertrauen stirbt.

In diesen Minuten starb in mir ein Teil meines bis dato festsitzenden Glaubens und Vertrauens an und in die römisch-katholische Kirche. Seit diesem Tag kann und will ich einfach nicht mehr im gleichen Ausmaß wie vorher an die vom Christentum propagierte Offenheit und Nächstenliebe gegenüber allen Menschen dieser Welt glauben. Vorbei die Zeit der naiven Verteidigung meiner quasi "angeborenen" Weltsicht.

Muss das wirklich sein?

Ich denke, dass ich für viele meiner Altersgenossen spreche, wenn ich sage, dass man auch ohne den sonntäglichen Kirchenbesuch an eine höhere Macht (in welcher Gestalt auch immer) glauben kann, ja gar ein gläubiger und guter Christ sein kann. Einige Vertreter der Kirche sehen das aber völlig anders. Wer heute nicht in die Kirche geht, gilt im Vatikan als Heide und tendiert in Richtung Hölle. Muss das wirklich sein?
Keineswegs will ich die vielen guten Taten der Kirche in Frage stellen. Eine Religion der Liebe und Anteilnahme ist prinzipiell nichts Schlechtes. Der Zwang zur Religion im Kindesalter, die unendlich konservativen Ansichten zu Abtreibung und Verhütung, Holocaustleugner, Homosexualitätsverhetzer und die Verurteilung von Nicht-Gläubigen sind mir aber ein Gräuel.

Glaube und Religion versus Kirche?

Kirche ist die Organisationsform des Glaubens und könnte mit einer seit Jahrhunderten gut funktionierenden Werbeagentur umschrieben werden. Vielleicht die effizienteste der letzten 2000 Jahre? Eine von vielen Definitionen: "Eine Kirche ist im biblischen Sinne die Gemeinschaft gläubiger Christen, die zusammen ihren Gott feiern und eine Begegnung mit ihm suchen."

Gott "feiern"

Hallo? Wo steigt die große Sause? Die hochgelobten Feiern der katholischen Kirche gleichen oft fromm heruntergeleierten Trauerspielen, die eher deprimieren und Schuldgefühle wecken als Freude verbreiten. Wo bitte ist die Party? Nein danke, traurig in den Boden schauen und für nichts und wieder nichts büßen zu müssen ist nichts (mehr) für mich… Ist es nicht verständlich, dass tausende Kirchenaustreter nach dem Zeitgemäßen suchen?

Glaube funktioniert auch ohne Kirche und "umfasst eine Grundhaltung des Vertrauens und der (nicht immer vorbehaltlosen) Bejahung gegenüber Wesen, Werten und Zielen. Dies schließt normalerweise die Bejahung bestimmter religiöser oder auch ideologischer Aussagen ein, erschöpft sich aber nicht darin. In den Offenbarungsreligionen bezeichnet Glaube die innere Haltung eines religiösen Menschen."

Religion wiederum ist die "kodifizierte und/oder auf Überlieferung beruhende Kult-/Glaubenspraxis und -auslegung, ein Glaubenssystem, das auf eine Wirklichkeit außerhalb des Menschen hinweist, die Grundlage des Weltverständnisses und der Ethik des religiösen Menschen ist." Glaube und Religion sind - wie ich verstehe - auch ohne Kirche
existent.

Kirche, Glaube und Religion sehe ich keineswegs als unnütz oder schlecht, eine Reform der dahinterstehenden Institutionen und ein Überdenken manch erschreckend erzkonservativer Weltanschauung würde ich aber ausdrücklich begrüßen. Ich glaube an den Glauben, nicht aber an die "heilige" katholische Kirche. Und trotz allem bete ich hin und wieder.
Ich, der Heide, der den Messbesuch scheut und sich langsam für andere Religionen öffnet. Amen.

Hintergrund

Wo stehe ich?

Die zunehmende Kritik der Medien an der katholischen Kirche hat meinen Glauben in die Kirche nicht unbedingt gestärkt. Wo stehe ich? Zwischen Glaube und Kirche? Dies ist ein Versuch, meine Gedanken zu ordnen und mich zu positionieren.

Kirchenbeitrag?

Momentan bin ich dank Ausbildung noch vom Kirchenbeitrag befreit, ein Austritt kommt für mich daher (noch) nicht in Frage. Was danach kommt, kann ich noch nicht sagen. Ich bin für alles offen...