(Osnabrück, 9 5. 2014). Mit Sorge blickt die Weltgemeinschaft auf die Lage in der Ukraine. Die Krise in dem Land scheint immer mehr zu eskalieren, und auch der Konflikt zwischen Russland und dem Westen spitzt sich weiter zu. Im Interview mit katholisch.de spricht Georg Hörnschemeyer, Vorstandsmitglied der katholischen Friedensbewegung Pax Christi , über die Gefahr eines Krieges in Europa, die Fehler der westlichen Diplomatie und die Rolle der orthodoxen Kirchen in dem Konflikt.

Ukraine | Der Westen hat Fehler gemacht 


Interview mit Georg Hörnschemeyer, Mitglied im Bundesvorstand von pax christi Deutschland auf katholisch.de

Mit Sorge blickt die Weltgemeinschaft auf die Lage in der Ukraine. Die Krise in dem Land scheint immer mehr zu eskalieren, und auch der Konflikt zwischen Russland und dem Westen spitzt sich weiter zu. Im Interview mit katholisch.de spricht Georg Hörnschemeyer, Vorstandsmitglied der katholischen Friedensbewegung Pax Christi , über die Gefahr eines Krieges in Europa, die Fehler der westlichen Diplomatie und die Rolle der orthodoxen Kirchen in dem Konflikt.

Frage: Herr Hörnschemeyer, mit Blick auf die Ukraine-Krise wird seit einigen Tagen vermehrt von einer wachsenden Kriegsgefahr in Europa gesprochen. Wie real ist diese Gefahr?

Hörnschemeyer: Ich glaube nicht, dass die Gefahr eines Krieges in Europa existiert. Allerdings erleben wir derzeit eine dramatische Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, deren Konsequenzen noch nicht absehbar sind.

Frage: Ist an dieser Verschlechterung der Beziehungen allein die Krise in der Ukraine schuld oder liegen die Ursachen für die Entfremdung zwischen Russland und dem Westen tiefer?

Hörnschemeyer: Eine zunehmende Entfremdung zwischen Russland und dem Westen ist schon länger zu beobachten. Insofern hat die Krise in der Ukraine diesen Prozess nur beschleunigt. Das kann man auch daran erkennen, dass sich der Konflikt zwischen Russland und dem Westen längst von der konkreten Krise in der Ukraine entfernt hat. Die inneren Konflikte in der Ukraine – vor allem die instabile politische Lage und die sozialen Probleme – spielen für das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen nur eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist für beide Seiten die geostrategische Bedeutung der Ukraine.

Frage: Wie sind in diesem Zusammenhang die Sanktionen der Europäischen Union und der USA gegen Russland zu bewerten?

Hörnschemeyer: Ich halte diese Sanktionen für wenig fruchtbar. Sie scheinen mir eher Bestrafungsversuche zu sein, mit denen der Westen versucht, sein Gesicht zu wahren. Das größte Problem ist, dass die Sanktionen nicht mit konkreten Zielvorstellungen verbunden sind. Der Westen hat keine Idee, was er mit den Sanktionen erreichen will. Solche wirtschaftlichen Bestrafungsversuche wären nur dann sinnvoll, wenn sie mit Forderungen nach einer Verbesserung der Situation in der Ukraine verbunden wären. Dies ist aber bislang nicht der Fall.

Frage: Die größte Gefahr für die Ukraine geht derzeit von einer möglichen weiteren Spaltung des Landes aus. Vor allem in den östlichen Landesteilen gibt es – ähnlich wie zuvor auf der Krim – starke Bestrebungen für eine Abspaltung von Kiew. Ist der Zerfall der Ukraine überhaupt noch aufzuhalten?

Hörnschemeyer: Das ist im Augenblick schwer zu sagen. Die Instabilität der Ukraine ist groß: In den östlichen Regionen gibt es kaum Vertrauen in die Übergangsregierung in Kiew, stattdessen muss die Regierung hilflos mit ansehen, wie selbsternannte Polizisten und Bürgermeister das vorhandene Machtvakuum im Osten füllen. Auch das Parlament trägt nicht zur Stabilisierung bei, vielmehr scheint es ein Abbild der inneren Konflikte des Landes zu sein. Mitentscheidend für die Zukunft der Ukraine wird vor diesem Hintergrund die für den 25. Mai geplante Präsidentschaftswahl sein.

Frage: Was erhoffen Sie sich von der Wahl?

Hörnschemeyer: Derzeit leider nicht viel. Bislang ist nicht absehbar, dass es einen überparteilichen Kandidaten geben könnte, der in der Lage wäre, das Land über alle Gräben hinweg zu einen. Sollte jedoch ein pro-russischer oder pro-westlicher Kandidat triumphieren, würde das die bestehenden Gräben vertiefen und den Zerfall des Landes beschleunigen.

Frage: Mit welchen Konsequenzen?

Hörnschemeyer: Im schlimmsten Fall mit der Konsequenz einer Intervention von außen und damit einer Ausweitung des Konflikts. Wenn Moskau beispielsweise zu der Überzeugung käme, dass die Lage in der Ukraine so instabil ist, dass ein militärisches Eingreifen durch russische Truppen gerechtfertigt oder gar notwendig erscheint, könnte dies dramatische Folgen haben. Es muss deshalb alles unterlassen werden, was eine solche Intervention rechtfertigen könnte.

Frage: Was kann die westliche Diplomatie tun, um eine russische Intervention in der Ukraine zu verhindern?

Hörnschemeyer: Zunächst einmal müssen die demokratischen Kräfte in der Ukraine gestärkt werden. Außerdem muss der Westen viel deutlicher machen, wen er mit welchem Ziel unterstützt. Die Europäische Union und die USA sagen zwar immer "Wir sind eine Wertegemeinschaft", allerdings vertreten sie diese Werte in der Ukraine-Krise meines Erachtens nach nicht klar genug.

Frage: Aber der Westen hat doch sehr früh die Protestbewegung auf dem Kiewer Maidan-Platz unterstützt und damit deutlich gemacht, auf wessen Seite er steht...

Hörnschemeyer: Das stimmt, allerdings war die Maidan-Bewegung nie so einig, wie das im Westen gerne behauptet wurde. Vielmehr haben sich auf dem Maidan zahlreiche unterschiedliche Gruppen und Interessen versammelt, die darüber hinaus auch nie das ganze Land repräsentiert haben. Die Europäische Union und der Westen haben unrealistische Erwartungen an die Maidan-Bewegung gehabt, das war ein Fehler. Mich hat in diesem Zusammenhang auch befremdet, wie westliche Politiker den Maidan immer wieder als Bühne benutzt haben. Es wäre besser gewesen, von Anfang an gleichberechtigt mit der Übergangsregierung und Moskau zu verhandeln, statt auf dem Maidan Volksreden zu halten und den Menschen falsche Versprechungen zu machen.

Frage: Eine konkrete Kriegsgefahr für Europa haben Sie vorhin verneint. Sehen Sie angesichts der aktuellen Entwicklungen stattdessen die Gefahr eines neuen Kalten Krieges?

Hörnschemeyer: Nein, und man sollte solch ein Szenario auch nicht leichtfertig herbeireden. Klar ist aber, dass wir derzeit eine schwere Krise in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen erleben – und diese Krise muss überwunden werden. Dabei können auch die orthodoxen Kirchen helfen, die schon in der Hochphase der Maidan-Proteste positiven Einfluss auf alle Beteiligten hatten.

Das Interview führte Steffen Zimmermann / katholisch.de