Warum Martin Luther heute vielleicht gar nicht so weit weg von Papst Franziskus wäre - oder auch umgekehrt - und warum eine evangelische Theologin zwar ihre Probleme mit dem Papsttum hat und dennoch von Papst Franziskus irritiert, berührt und inspiriert wird, darüber wurde beim zweiten Tag des Herbstsymposions in St. Arbogast referiert und diskutiert.

"Ganz naturgemäß stehe ich dem Papsttum kritisch gegenüber. Ich bin evangelische Theologin und in in einem evangelischen Pfarrershaus aufgewachsen. Das Papsttum ist für mich etwas Fremdes. Ich möchte das auch erklären", ein steiler Einstieg, mit dem Mag. Renata Schmidtkunz, ihres Zeichens evangelische Theologin und Journalistin, den zweiten Tag des Herbstsymposions der Katholischen Kirche Vorarlberg eröffnete. Sie habe sich auch wirklich und ehrlich gewundert, als die Organisator/innen des Symposions zum ersten Mal mit ihr Kontakt aufnahmen und sie einluden, hier zu sprechen. "Was soll denn ich über den Papst sprechen. Wir haben nun mal keinen", waren so ihre ersten Gedanken. 

"... wer den Teufel reden hören will"

Aber das Interesse und die Neugierde siegten und Renata Schmidtkunz fand so auch ihren ganz eigenen Zugang zu Papst und Papsttum. Und der beginnt bei der eigenen Standortbestimmung. "Mit seinem Namen bezieht sich Martin Luther unter anderem auch auf das griechische Wort ,eleutheria", also ,Freiheit'. Wir als Evangelische haben die Freiheit. Das ist eines der großen Narrative, der großen Bilder, mit denen ich als kleines, evangelisches Kind aufgewachsen bin. Und Luther selbst legte sich ja in seiner Schrift ,Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet' auch gleich mal mit dem Papsttum an", erklärt Schmidtkunz. Dort heißt es nämlich unter anderem: "Wer Gott reden hören will, der lese die Heilige Schrift, wer den Teufel reden hören will, der lese des Papstes Dekrete und Bullen."Für Luther war völlig klar, so Renata Schmidtkunz, dass es keinen Stellvertreter Christi auf Erden geben kann. Darüber hinaus dürfe man auch nicht vergessen, dass die Protestanten auch viel Leid und Verfolgung durch das Papsttum erfahren haben. "Das gehört ebenfalls zu unseren großen Narrativen. Deshalb habe ich als evangelische Theologin Probleme damit, über den Papst zu sprechen."

Sie tat es trotzdem. Erfrischend und spannend war dann auch der Blick, den Renata Schmidtkunz von außen auf die katholische Kirche und insbesondere auf deren Oberhaupt warf.

Tango mit dem Papst

"Wenn Sie mich so fragen. Ja, ich würde den Papst wahnsinnig gerne treffen. Und ich sage Ihnen auch warum. Der Mann ist nämlich Tango-Tänzer und ich würde ihn in Buenos Aires treffen wollen. Warum das so wichtig ist? Um Tango tanzen zu können, muss man empathisch und sensibel sein. Es geht dabei in erster Linie um das Fühlen und Tango-Tänzer sind Menschen, die mit ihrem Körper in einer guten Beziehung sind", das merke man, fährt Renata Schmidtkunz fort, auch beim Papst, an der Art, wie er einen Raum betritt, wie er den Raum füllt, wie er steht und sich bewegt.

Rom lässt aufhorchen

Und natürlich sei der Papst auch einfach sehr sympathisch. "Es ist zum Beispiel sehr sympathisch, dass er immer wieder betont, dass er der Bischof von Rom sei und als Bischof von Rom erst ist er Papst. Es ist auch sympathisch, dass er der erste Papst ist, der sich nach Franz von Assisi benannt hat, einem Heiligen, der in Armut lebte, der die Schöpfung liebte. Damit stellt der Papst natürlich vieles infrage. Oder denken Sie nur an folgendes Papst-Zitat: ,Die christliche Wahrheit antwortet auf die tiefsten Bedürfnisse der Menschen.' Das ist ein Zitat von Papst Franziskus. Wann hat man zuletzt derartiges aus Rom gehört?"

Die Kirche und die Erneuerung

Papst Franziskus verändert die Kirche. Viel zitiert ist der "frische Wind", den er bringt. Und womit beginnt er? "Da ließ schon seine Antrittsrede aufhorchen. Bereits damals stellte der Papst nämlich seine Macht in Frage. Es gehe ihm nicht um Machterhalt. Es gehe ihm darum, dass der Glaube sich bewähre und sich in guten Werken manifestiere. Und, man entschuldige an dieser Stelle meine evangelische Hybris, damit ist der Papst gar nicht so weit weg von Luther", erklärt Renata Schmidtkunz nicht ganz ohne ein Schmunzeln.

Die Zeichen dafür, dass Papst Franziskus verändert, seien überall. Ein Beispiel dafür seien auch die Worte, mit denen er sich im Februar diesen Jahres an Jugendliche gewandt hatte. Gott bringe Schwung in die Menschen und es sei nun an den Menschen, endlich Schwung in die Welt zu bringen. "Damit ist man wieder beim ,ecclesia semper reformanda' (der ständigen Veränderung und Erneuerung der Kirche)."

Was irritiert

"Wenn ich nun ganz dicht bei den Fragen dieses Symposions bleibe, was denn an Papst Franziskus irritiert, berührt und inspiriert, so kann ich sagen, dass mich an ihm sehr wenig irritiert. Seine Geschichte mit der argentinischen Militärjunta irritiert. Ich lasse hier das Fragezeichen stehen. Was ebenfalls irritieren könnte, ist seine Haltung zur Rolle der Frauen, Gerade hier scheint er sehr zurückhaltend und gleichzeitig setzt er eine Kommission ein, die sich mit der Frage des Diakonats der Frau beschäftigt. Wobei, wenn Sie mir die Frage erlauben, warum Frauen in einer Kirche Priesterinnen werden wollen, deren Referenzpunkte ausschließlich von Männern eingenommen werden, bleibt mir fraglich. Hier muss sich zunächst an der Theologie etwas verändern."

Berührend in einer Welt des Kriegs

Berührend hingegen werde Papst Franziskus in eindeutig vielfältigeren Fällen. "Er fährt nach Auschwitz - und er spricht kein Wort. Das berührt. Er geht in das Flüchtlingslager auf Lesbos, um den Flüchtlingen zuzuhören und er berührt jede Hand. Da kommen mir die Tränen. Und was macht der Papst: er nimmt gleich noch zwölf Flüchtlinge mit. Papst Franziskus ist auch einer der ersten, die offen darüber spricht, dass sich die Welt im Krieg befindet. Das müssen auch wir uns vor Augen halten: Wir befinden uns im Krieg. Wir sind nur nicht an der Front. Papst Franziskus stellt das klar und er betont auch, dass es kein Religionskrieg ist, der hier geführt wird, sondern ein Krieg um Ressourcen und Geld."

Und womit inspiriert er?

"Er lässt als erster Papst die Geschäfte der Vatikanbank prüfen und bittet die italienische Justiz dabei um Hilfe. Er macht den neuen Kardinälen klar, dass sie nicht in einen Hofstaat, sondern in die Kirche von Rom eintreten. Er fährt beim Staatsbesuch in einem kleinen Fiat 500 vor. Er prangert bei seiner Rede im US-Kongress den Waffenhandel an, und zwar ohne mit der Wimper zu zucken. Er trifft sich mit Kyrill I, dem russisch-orthodoxen Patriarchen. Und er möchte, dass Katholiken und Protestanten in humanitären Angelegenheiten zusammenarbeiten. Das scheint ein ganz einfacher Satz zu sein und ist doch eine sehr wichtige Brücke."

Menschen, die klar sehen, denken, handeln

Warum aber strahlt ein Mensch wie Papst Franziskus denn gerade heute so? Das hänge, betont Renata Schmidtkunz, für sie ganz eng damit zusammen, dass wir uns immer bewusster werden, dass sich die Welt im Kriegszustand befindet. Um diese Weltkrise überstehen zu können, brauchten wir gerade heute Menschen, die klar sehen, klar denken und klar handeln. "Papst Franziskus ist so ein Mensch, der die Dinge klar sagt und seine Einfachheit kommt aus dieser großen Klarheit."

Wird der Papst evangelisch?

Abschließend drängte noch eine (Gretchen)frage aus dem Plenum zum Rednerinnenpult nach vorne. Ob sich denn das Verhältnis der evangelischen Kirche zum Papsttum nun ändern könne? Renata Schmidtkunz lacht. "Das weiß ich nicht und ich kann heute auch nicht für die evangelische Kirche sprechen. Das Papsttum gehört zur katholischen Welt. Das heißt nicht, dass ich mir jetzt für meine Welt auch einen Papst wünschen würde. Ich kann aber sagen, dass ich glaube, dass dieser Papst sein Amt sehr gut ausübt. Und damit bin ich, glaube ich, nicht ganz alleine."