Der Satz aus einer Predigt von Papst Franziskus bildete das Thema des diözesanen Besinnungstages in Maria Bildstein. Rund 70 diözesane MitarbeiterInnen ließen sich auf die Ausführungen der Referentin, Sr. Aurelia Spendel OP, ein. Die Dominikanerin beleuchtete das "Neue" auf philosophischer und theologischer Ebene und kreierte ungewohnte und überraschende Perspektiven und Deutungsmöglichkeiten.

Eingeladen zum Besinnungtag hatte die Diözesanleitung, sie war auch personell vertreten: neben Bischof Benno Elbs und Generalvikar Rudl Bischof nahmen Finanzkammerdirektor Andreas Weber und Pastoralamtsleiter Walter Schmolly am Besinnungstag teil. Insgesamt kamen die Zuhörenden aus ganz unterschiedlichen Bereichen - MitarbeiterInnen der Kirchenbeitragsstellen, Priester, PastoralassistentInnen, Ordensschwestern, Angestellte des Pastoralamtes.

Die Vortragende,  Sr. Dr. Aurelia Spendel OP, führte in drei großen Schritten durch das Thema: der Blick auf den Menschen, das Erleben des Neuen und die Bedeutung, die den Worten in der Predigt des Papstes zukommen.

1. Auf den Menschen schauen

So wie wir nie zwei Mal in denselben Fluss steigen, begegnen wir auch nie zwei Mal demselben Menschen. Denn Menschen verändern sich stets. Oft kaum wahrnehmbar. Dennoch erweist sich der Mensch als Wesen, dessen Entwicklung nie abgeschlossen ist, das Neuwerden ist ihm in Leib und Seele eingeschrieben. Auch wenn wir jemanden sehr gut kennen, bleibt ein Geheimnis bestehen.
So gilt es, die Bilder, die wir von Menschen haben - seien es ererbte oder erlernte - immer wieder zu hinterfragen und zu prüfen, ob sie hilfreich sind oder destruktiv, für die Beziehung förderlich oder hinderlich.

Am Beispiel der Erzählung von der "Begegnung Jesu mit der Sünderin" (Lk 7,36-50) wird Jesu Umgang mit Menschenbildern klar. Während seine Gefährten die Frau als "Sünderin" abstempeln, wendet er sich ihr zu. Ja, er stößt auch Simon an: "Siehst du diese Frau?" Der Blick auf die Frau macht deutlich, dass sie Jesus alle Ehre zukommen lässt, die ihm gebührt: Das Wasser, die Küsse, die Salbung. Jesus schafft mit dem Anschauen Beziehung, wo keine war. Der Schlussatz "Geh in Frieden" richtet sich nicht nur an die Frau. Auch jene, die sie angeschaut haben werden in diesen Frieden hineingenommen. Österliche Vorahnung.

Am Beispiel von Papst Johannes XXIII., dem es gelang, im Widerstand die Verletzungen eines Menschen zu sehen, geht Sr. Aurelia noch einen Schritt weiter: eine noch vertieftere Sicht des Menschen entsteht, wenn sich jemand "in die Haut des anderen hineindenkt". Gott selbst ist ja durch seine Menschwerdung "in unserer Haut gegenwärtig".

2. Das Erleben des Neuen

Im zweiten Abschnitt des Vortrages greift Sr. Aurelia auf Gedanken von Hannah Arendt zurück. Die jüdische Philosophin lernte bei Martin Heidegger, sich philosophischen Richtungen über das Lesen von Originaltexten zu nähern. Ein zentraler Gedanke ihrer Dissertation, die sich Augustinus widmete, stammt aus dessen Werk "Civitas Dei": "Der Mensch ist geschaffen, damit es einen Anfang gibt." Im Menschen ist sozusagen der Anfang verleiblicht. Arendt verbindet mit dem Anfang den Begriff der Freiheit.  Ist ein Anfang durch Freiheit und Offenheit gekennzeichnet, so ist handeln möglich - handeln im Sinne eines Sprechens und Tuns auf Augenhöhe, das zum Wohle aller ist.

In ihrem philosophischen Denken setzt Arendt der "Mortalität" Heideggers die Idee der "Natalität" gegenüber. Während das Leben in der Grundhaltung der "Mortalität" als "Sein zum Tode" gesehen wird und Werke vor allem deshalb erschaffen werden, um Spuren zu hinterlassen, wird in der "Natalität" das Leben als ständiges Geboren-Werden betrachtet. Dieses stellt einen passiven Akt dar, der Mensch erfährt sich also als einer, der sich einem Gegenüber verdankt. Jedes weitere Handeln geschieht in Bezug auf dieses Gegenüber, auf Gott selber.

In der sprudelnden Quelle fasst Sr. Aurelia dieses "Sich-Verdanken" in ein Bild. "Wenn wir uns als Geschenkte verstehen, spiegelt sich darin das ewige Leben Gottes, das sich verleiblicht hat. Ein verdankter Mensch, verbunden mit der Quelle, ist ein Anfang und kann neue Anfänge setzen."

3. Die Predigt von Papst Franziskus

Um die Predigt des Papstes zu verstehen, muss deren Hintergrund ausgeleuchtet werden, die Umstände, in die hinein die Worte gesprochen worden sind. Anlass für den Text war der Abschluss des Vorbereitungstreffens zur Bischofssynode im Herbst 2014. Bei dieser Feier wurde zudem auch Papst Paul VI. selig gesprochen. Dieses Zusammentreffen sieht Sr. Aurelia als Politikum, mit dem Papst Franziskus verdeutlichen wollte, dass die Synode nach der Enzyklika Humanae Vitae, die keine Erfolgsgeschichte mit sich brachte, weitergehen muss.

"Gebt dem Kaiser was des Kaiser ist ..." dieses Zitat stand am Anfang und am Ende der Predigt. Es verweist auf die Wichtigkeit der Unterscheidung der Geister. Aufgabe der Kirche ist es, zu unterscheiden, was dem Heil des Menschen gemäß ist und was nicht. Sie hat dem Wort Jesu zu folgen - auch wenn Vorteile, Ansehen, Macht und Ruf auf dem Spiel stehen.
"Gebt Gott was Gottes ist" bedeutet schlichtweg, dass Gott allein der Herr des Menschen ist (und nicht die Kirche) und es keinen anderen Gott gibt.
Aufgabe der Kirche ist es, alle Furcht zu überwinden, wenn sie sich einer Überraschung Gottes gegenüber sieht. Gott tut ungeahnte Wege auf und führt zu diesen hin - das ist Anfang. Gott liebt diese Neuheit sehr.