Vor rund 100 Personen sprach Univ. Prof. Dr. Manfred Nowak am 6. September 2012 im Theater Kosmos zum Thema Folter. Die ACUS (Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie) hatte den UNO-Sonderberichterstatter zum Thema Folter (von 2004 - 2010) über Vermittlung von Günther Dietrich (ehem. Abg. z. NR) gemeinsam mit acht Partnerorganisationen zu diesem Vortragsabend eingeladen. Nowak präsentierte auch sein neues Buch: "Folter - Die Alltäglichkeit des Unfassbaren" Wien (Kremayr&Scheriau) 2012.

Folter ist eines der schlimmsten - Pause - Verbrechen - ja! ... nur Völkermord ist - Pause - schlimmer... "Wissen Sie", setzt Manfred Nowak nach: „Folter will den Menschen brechen, physisch, psychisch, in seinem Willen -  sie will Entmenschlichung!“ Die Frage des Gesprächsleiters war: „Wie hält man das aus?“ - mit „das“ ist die Last der Eindrücke aus sechs Jahren - 2004 bis 2010 - „UNO-Sonderberichterstatter für Folter, grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ angesprochen. Und, der Professor weiter: „Menschenrechte - das ist ein Beruf - das ist mein Beruf, nur so ...“ sagt er irgendwie verlegen, mit einem Schulterzucken. Stille macht sich breit im halberhellten Zuhörerraum im Theater Kosmos. 

nowak manfred Der Jurist und Experte für Menschenrechte ist in 18 Staaten in allen Regionen des Globus als „Auge und Ohr“ des UNO-Menschenrechtsrates unterwegs gewesen. Gefängnisse und Polizeistationen, psychiatrische Anstalten und jede Menge anderer ,Verwahrungsorte‘ kennt er von innen. Er hat gesucht, gefunden, nachgewiesen, hat berichtet und analysiert, untersucht und dokumentiert, mit Tätern und Opfern gesprochen, Zustände gesehen und Dinge erfahren, die ihn - jetzt noch, während er spricht - den Kopf schütteln und nach Worten suchen lassen. Nowak blättert im - dicken - Buch der Unmenschlichkeit, wo die Alltäglichkeit des Unfassbaren ans Licht kommt: „Wir können Folter beschreiben oder definieren, aber wirklich erfassen können wir nicht, was Folter bedeutet, wenn wir sie nicht selber erlebt haben“. 

Der Professor berichtet sachlich und gefasst von menschlichem Elend, dem er begegnet ist. In Bosnien-Herzegowina kümmerte er sich 1994 um verschwundene Menschen, über 20.000 standen auf den Listen. „Stellen Sie sich vor ...“ einen Moment lang ist die Emotion da  „...Frauen und Mütter nach Erkennungsmerkmalen ihrer Männer und Söhne zu fragen.“ Die Grausamkeiten, die er in einem Polizeigefängnis in Lagos (Nigeria) vorgefunden hat, sind unsäglich. Seine Jobs erledigt er mit Spezialistenteams und unter klaren Regeln: Bewegungsfreiheit, unangemeldete Besuche, Gespräche ohne Aufsicht und Abhören - alles muss je neu erstritten werden. 10 Jahre wartete er auf Einlass in China; die USA und Kuba sperrten ihn aus. Nur in Dänemark, dort gibt es eine „standing invitation“ - die Türen sind offen. 

cover_nowakUnd Österreich? - Ein trauriges Kapitel ist der „Fall Bakary Jassy“  im Jahr 2006: Vier Polizisten der WEGA schlagen und treten den Mann aus Gambia zu Boden und inszenieren eine Scheinhinrichtung. Am Tag des Urteilsspruches - die 4 Täter wurden in den Innendienst versetzt - „habe ich mich geschämt, Österreicher zu sein“. Er fordert „wegzukommen, von dieser reaktiven, restriktiven und populistischen Asylpolitik“; es fehle eine unabhängige Instanz zur schnellen Untersuchung von Misshandlungs- und Foltervorwürfen und Folter sei immer noch nicht im Strafgesetz. Eine "europäische Migrations-, Flüchtlings- und Asylpolitik“ hält der Experte für unabdingbar. 

Und: Seit 9/11- es ist elf Jahre her - nimmt Folter wieder zu. „Dank“ der Politik von Bush, auf den er nicht gut zu sprechen ist. Beweise für die Geheimgefängnisse der CIA gebe es zuhauf, in Litauen, Polen, Rumänien - aber... Die zähe Arbeit der NGOs (Amnesty u.a., CSI) schaffe ein deutliches Gegengewicht. Neun davon haben diese Veranstaltung der ACUS (AK Christentum und Sozialdemokratie) mitgetragen - ihr (besser wohl: unser!) - Einsatz für Menschenrechte und gegen Folter muss härter werden.Niemand hat das laut gesagt, aber es war dennoch zu vernehmen. Gut so!  (WB) 


Randnotizen 

Die Unfassbarkeit der Folter fassbar zu machen, darum geht es (im Buch von) Manfred Nowak. Es ist eine Bestandsaufnahme der Unmenschlichkeit. Pause. Beim Lesen verschwimmen hie und da die Buchstaben - Tränen - wissen Sie. Durchatmen. Es ist nicht gut bestellt um die Menschlichkeit der Menschen. Aber: Es belegt auch, dass die Menschengemeinschaft angesichts von Entmenschlichung nicht klein beigibt, sondern kämpft! Mit den Mitteln von Recht, Gesetz und unter striktem Verzicht auf physische und psychische Gewalt. Pause. Durchatmen. 

folter_perpignanIn Momenten der Stille, den Augenblicken der Betroffenheit dieses Abends verschafft sich die ,innere Stimme‘ Raum und auch Gehör. Und - wer weiß, wie und wann - aus Zuhörern/innen werden Für-Sprecher/innen und/oder Mit-Tätern/innen der ,guten Sache‘. Menschen wissen (oder fühlen!) wo es fehlt, was sie sind und (nicht!) möchten und auch: Was zu tun ist. Zugegeben: Ein „?“ an Stelle des „.“ wäre passender, meinen Sie? 

Nowak ist anderer Ansicht: „Wir wissen genau, was getan werden müsste, um die Folter auszurotten“ - steht so auf Seite 122, Belege inklusive. Aber warum geht nix weiter? Der Experitus: Weil Gesellschaften (= wir!) nicht Recht sondern Rache und Vergeltung wollen. Pause. Durchatmen. Hier also verläuft die Front. Mitten durch unsere Herzen. Quer durch unsere Köpfe. Unfassbar - oder !?