Die Krankenhaus-Seelsorger/innen Gerhard Häfele (LKH Hohenems - Palliativstation) und Rita Gruber (LKH Rankweil) im Gespräch.

Interview: Michael Willam

Die meisten Menschen sind froh, wenn sie möglichst wenig mit dem Krankenhaus zu tun haben. Wie fühlt es sich für euch an, just an dem Ort zu arbeiten, der von so vielen gemieden wird?

Rita Gruber KHSRita Gruber: Ein Krankenhaus ist auch eine Einrichtung, in der vielen Menschen geholfen wird. Deshalb ist es ein Haus, in dem ich viel Hoffnung und Zuversicht erfahren kann. Wenn ich aber von ganz viel menschlichem Leid höre, spüre ich die Gegenwart Gottes ganz besonders. Unser Gott, der alle unsere Wege mitgeht, der uns besonders in schweren Zeiten nahe ist, zeigt sich im Krankenhaus als der „Ich-bin-da“-Gott.
Und dann dürfen wir nicht vergessen, dass Krankenhäuser auch Betriebe sind, in denen viele Menschen einen Arbeitsplatz finden. Auch das sind Menschen, die Sorgen und Probleme haben. Wir Seelsorger wollen nicht nur für Patienten, sondern auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter da sein. 

Gerhard Häfele KHSGerhard Häfele: Das Krankenhaus ist wohl ein „Rand­gebiet“ der Gesellschaft, an dem man immer wieder mit Ohnmacht und Ängsten konfrontiert wird. Papst Franziskus sagt, wir sollen an die Ränder gehen. Darum ist es sinnvoll, dass die Seelsorge auch diesen Ort aufsucht. Und rückgebunden an
eigene Glaubenserfahrungen werden für mich all die durchkreuzten Wege, Ohnmacht und Ängste begehbar. Nicht zu vergessen, es gibt auch immer wieder Schönes, Erfolge oder etwas Humorvolles zum Lachen. Wie schon gesagt: Vielen Menschen kann im Krankenhaus geholfen werden!

Was ist für euch das Erfüllende am Beruf eines/r Krankenhausseelsorgers/in?

Gruber: Im Krankenhaus begegne ich ganz vielen verschiedenen Menschen. Jeder Mensch ist anders, jeder ist Geschöpf Gottes. Als Seelsorgerin darf ich manche von ihnen auf ihrem Weg begleiten, ein Stück des Weges mitgehen. In den Gesprächen erfahre ich viel aus dem Leben. Da bekomme ich ganz, ganz viel Vertrauen und Offenheit geschenkt. Nie habe ich das Gefühl, dass ich immer nur die Gebende bin. Durch die Gespräche lerne ich viel für mein persönliches Leben. Was ist wichtig im Leben? Was zählt? Wie begegne ich dem Tod? Was kann ich für mein eigenes Sterben lernen? So sind die Begegnungen mit den Menschen im Krankenhaus immer Geben und Nehmen zugleich. Im Landeskrankenhaus in Rankweil ist die Verweildauer im Vergleich zu den anderen Krankenhäusern viel höher. Viele Patienten sind lange da, manche kommen wieder. Dadurch ist eine Begleitung viel eher möglich. Wir kennen uns, ich weiß um sie und ihre Situation. Das macht die Begegnungen viel persönlicher.
Häfele: Man trifft auf ganz unterschiedliche Menschen mit ihren Geschichten und Erfahrungen, die mich immer wieder erstaunen. Hier in Begegnung zu gehen und mit der eigenen Lebens- und Glaubenserfahrung in Resonanz zu bringen, ist oft sehr bereichernd für alle Beteiligten.

Wohin wird sich die katholische Seelsorge im säkularen Betrieb Krankenhaus in 20 Jahren ent­wickeln? Wird die katholische Kirche es schaffen, „den Fuß in der Tür“ zu behalten?

Gruber: Wie die Seelsorge in 20 Jahren aussehen wird, weiß ich nicht. Ich bin mir aber sicher, dass es auch in 20 Jahren noch Menschen geben wird, die religiös sind, Menschen, die glauben, Menschen, die nach dem Sinn des Lebens fragen, Menschen, die Gott suchen. Und auch in 20 Jahren werden kranke Menschen uns als Seelsorger brauchen und unseren Dienst in Anspruch nehmen.
Häfele: Ich denke den Fuß in die Türe zu stellen wird wenig nutzen. Doch im Kontext des Krankenhauses scheint Ganzheitlichkeit und Spiritualität zunehmend ein Thema zu werden. Wenn wir uns hier kompetent und sinnstiftend einbringen, dann werden wir einen Platz finden. Karl Rahner hat sinngemäß gemeint: der Christ von morgen wird einer sein, der konkrete Glaubenserfahrung hat, oder er wird (als Christ) nicht mehr sein. Seelsorge wird viel mit Teilen von Lebens- und Glaubenserfahrung zu tun haben. Glauben bedeutet für Rahner auch: Die Unbegreiflichkeit Gottes ein  Leben lang auszuhalten. Das gilt wohl auch für die Seelsorge mit Leidenden. Seelsorge wird sich in einem multikulturellen Umfeld bewegen. Hier in Dialog zu treten und die eigene Erfahrung auf zeitgemäße und kontextbezogene Art und Weise einzubringen, wird entscheidend sein.  

Ein Tag im Leben eines/r Krankenhausseelsorgers/in: Erzählt doch mal, wie läuft der ab?

Gruber: Mit einem Satz könnte ich sagen: Kein Tag ist wie der andere, jeder Tag läuft anders ab. Es gibt aber eine Grundstruktur: Wenn die Patienten essen und während der Mittagsruhe, halte ich mich von den Zimmern fern. In dieser Zeit erledige ich andere Dinge, schaue die Post an, lese E-Mails, sorge für Ordnung in der Kapelle und am Schriftenstand, fülle Kerzen auf, bereite Gottesdienste vor usw. Am Nachmittag versuche ich möglichst viele Menschen zu besuchen. Manche rufen selber bei uns an. Manche sprechen mich nach den Gottesdiensten oder auf den Gängen an und bitten um ein Gespräch. Es gibt Angehörige, die uns zum Patienten rufen und viele Hinweise bekomme ich von den Pflegekräften, die ihre Patienten kennen und wissen, wem ein Besuch oder ein Gespräch gut tun könnte. Ich gehe mit Gottvertrauen durchs Haus und glaube daran, dass Gott mich zu den Menschen führt, die mich brauchen. Ein Feuerwehrmann hat am 11. September 2001 folgendes Gebet nach New York zu seinen Kollegen geschickt:
„Herr, nimm mich dahin mit, wohin ich gehen soll. Lass mich die treffen, die ich treffen soll. Sage mir, was ich sagen soll. Und lass mich dir nicht im Wege stehen.“ Mit diesem Gebet beginne ich jeden Tag meine Arbeit im Krankenhaus.
Häfele: Die Aufgaben sind vielfältig und kein Tag gleicht dem anderen. Vor meiner Arbeitszeit versuche ich mich selber durch Meditation und innere Achtsamkeit mit dem Geheimnis Gottes zu verbinden. Im anschließenden Gottesdienst stelle ich meine Arbeit unter seinen Segen. Er möge unser menschliches Wirken begleiten und die Gebrochenheiten, denen ich heute begegne in einen spirituellen Prozess der Wandlung bringen. Mein Arbeitstag beginnt dann mit einem Besuch auf der Palliativstation, um zu sehen, ob dort was Dringendes ansteht. Danach geht‘s weiter in die Kapelle, wo ich mich mit den Gebetsanliegen im Fürbittenbuch verbinde. In den vielen Kontakten des Tages geht es mir vor allem darum, den Menschen gutes Begegnen zu ermöglichen und die Türe zu Gott offen zu halten. Mit ihnen auf vielfältige Weise das Geheimnis des ­Lebens zu berühren. Da wird gelacht und geweint, gehofft und gerungen, gebetet und gezweifelt. Dies kann in Gesprächen, Ritualen, aber auch in Stille passieren. Und je später der Tag, desto größer können die Überraschungen werden – ab und zu bis in den Abend oder die Nacht hinein. Getragen ist meine Arbeit von der Zuversicht, dass der Gott des Lebens mitgeht.

Krankenhausseelsorge in Vorarlberg:

In der Krankenhausseelsorge in Vorarlberg arbeiten in gesamt acht Krankenhäusern 21 hauptamtliche Seelsorger/nnen, die bei der Diözese angestellt sind.

  • Es arbeiten 10 Männer und 11 Frauen mit gesamt rund 8 Vollzeitäquivalenten (800 Stellen­prozent), darunter 5 Priester und 16 Laienseelsorger/innen.
  • Die Krankenhausseelsorge wird zu über 85% durch den Kirchenbeitrag finanziert.
  • In den Akutkrankenhäusern ist durch die Unterstützung der umliegenden Klöster und Pfarren für Notfälle eine 24-Stundenbereitschaft 365 Tage im Jahr gesichert.
  • Um als Krankenhausseelsorger/in arbeiten zu können, ist eine theologische Ausbildung (mindestens theologischer Fernkurs) sowie eine Ausbildung zum/r Pastoralassistenten/in erforderlich. Die Ausbildung zur Seelsorge im Krankenhaus (KSA) erfolgt berufsbegleitend.

Für weitere Informationen steht Ihnen Dr. Michael Willam im Pastoralamt in Feldkirch gerne zur Verfügung:
T 0676 832401214 oder

(Artikel aus dem "Zeitfenster" Nr. 4 vom 23. November 2017 - Beilage des KirchenBlatts Nr. 47/2017)