Menschen, die ihrem Berufsleben oft mit Tod und Leid zu tun haben, trafen sich Anfang dieser Woche zu einer Tagung, deren Thema auch Programm war: "Wenn's ans Eingemachte geht..." Rund 60 KrankenhausseelsorgerInnen sprachen dabei über die Endlichkeit, ihren Alltag und die Herausforderungen, die dieser wichtige Beruf mit sich bringt. Und warum das Loslassen eine aktive Handlung ist.

Zwei Tage - so lange dauert die Tagung der KrankenhausseelsorgerInnen, die Mitte Oktober im Bildungshaus Batschuns über die Bühne geht. Mit dabei sind - neben rund 60 TeilnehmerInnen - auch der Schweizer römisch-katholische Theologe Peter Eicher, die Psychotherapeutin Helga Kohler-Speigel, der Psychiater Albert Lingg und die Regisseurin Brigitte Walk. Sie alle gaben einen umfassenden Einblick in das Thema - angefangen bei der Würde der Leidenden über Bibelarbeit, Leid - dargestellt auf den Brettern die die Welt bedeuten bis hin zur Herausforderung aus psychologisch-psychotherapeutischer Sicht.

Plötzlich krank
"Wir tun gut daran, die Veränderung, der wir doch nicht entgehen, auch zu lernen", setzte beispielsweise Helga Kohler-Spiegel den Satz des Schweizer Dichters Adolf Muschg an den Anfang. Und eine Veränderung ist eine Krankheit, die das eigenen Leben bedroht, auf alle Fälle. Plötzlich muss man sich mit Leiden, Sterben und der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen. Der Soziologe Nikolaus Gerdes nennt dies den "Sturz aus der normalen Wirklichkeit", derzufolge die Menschen im Moment der Diagnose aus der "normalen Wirklichkeit" in die Endlichkeit stürzen. Plötzlich ist nichts mehr normal und wir versuchen das Chaos zu bändigen und wieder eine Ordnung herzustellen - die Welt neu zu ordnen. Dies schaffen wir widerum mit Konstruktionen. Man könnte das auch "gesunde Verdrängungsleistung" in Hinsicht auf die Endlichkeit nennen, erklärt Kohler-Spiegel. Im Moment der Diagnose fällt die Konstruktion auseinander.

Die doppelte Realität
Doch nicht nur den Betroffenen fällt es schwer mit der Diagnose umzugehen, auch Angehörige haben zu kämpfen. Sie müssen zeitgleich in ihrer (Alltags)welt und in der Welt des Betroffenen leben. Eine doppelte Realität sozusagen. Und mit dem "Sturz aus der normalen Wirklichkeit" seien auch Reaktionsmuster verbunden. Das Grübeln zum Beispiel. Oder das Gefühl sein Inneres niemandem mitteilen zu können, um andere zu schonen. Die innere Fassungslosigkeit, die verdeckt wird um den Menschen um sich ein anderes Selbstbild vorzuspielen. Die emotionale Ambivalenz, die damit einhergeht. Sich gefasst und tapfer zu zeigen, weil man nicht zur Belastung werden will. Oder Ungelöstes, das angesichts der nahenden Endlichkeit plötzlich an die Oberfläche dringt und "nochmals gesehen werden will", spricht die Psychotherapeutin aus dem Berufsalltag.

Die Rolle der KrankenhausseelsorgerInnen
Hier nehmen KrankenhausseelsorgerInnen einen ganz entscheidenden Platz ein. Sie begleiten Menschen und versprechen damit "gemeinsam hinzuschauen". Sie sind Zeugen, stabilisieren und geben Sicherheit. Schließlich möchten Menschen  erkannt werden, getragen, gehalten und getröstet sein, fasst Kohler-Spiegel die Haltungen und Techniken im Umgang mit existentiellen Leidenszuständen zusammen. Dabei können auch der Glaube und die Religion eine wichtige Rolle einnehmen, denn "religere" bedeute auch "mich rückbinden". Und JHWH sei die Zusage immer da zu sein. Die Bibel verspreche damit also kein leidfreies, aber ein begleitetes Leben - und die Bindung geht über den Tod hinaus.

Loslassen? Loslassen!
Wenn es dann in Richtung Lebensende geht, heißt es oft man solle "loslassen". Was sich einfach anhören mag, erweit sich oft als schwierig, denn man muss dabei nicht nur die Gegenwart loslassen, sondern auch alles Zukünftige. Alles, was man mit diesem Menschen in der Zukunft erlebt hätte. Kohler-Spiegel spricht sich hier für ein "differenziertes Loslassen" aus - eines, in dem innerlich ein guter Platz dafür gefunden wird. Und es darf auch nicht überraschen, wenn die Trauer nach Jahren nicht abgeschlossen ist. "Trauer kommt nämlich in Wellen, nicht in Phasen", erklärt die Psychotherapeutin. Vielleicht ist "loslassen" auch deshalb ein Glück, mit dem die TeilnehmerInnen nicht glücklich sind. "Integrieren" oder "sein lassen" wäre vielleicht besser, ertönt es aus den Gesprächsgruppen, in denen sie sich über ihren Berufsalltag austauschen.