Die Katholische Aktion warnt vor einem „Kampf Teller contra Tank“. 20 Umwelt- und Entwicklungsorganisationen fordern in einer Petition an den Nationalrat, den Agrarsprit sozial und ökologisch genauer unter die Lupe zu nehmen. Aktueller Anlass ist der Plan, ab Oktober auch in Österreich den mit zehn Prozent Ethanol gemischten Superbenzin E10 einzuführen.

Bild rechts: Sparen ist die beste "Alternativenergie".Vom 16. bis 22. September nehmen 476 österreichische Gemeinden an der Europäischen Mobilitätswoche teil. Abschluss ist der autofreie Tag.

zu: Zur Sache

Hans Baumgartner

Deutschland hat vor mehr als einem Jahr den mit Ethanol gestreckten Superbenzin E10 eingeführt. Obwohl er an der Tankstelle deutlich billiger als herkömmlicher Super ist, verweigern viele Autofahrer E10 – zum Teil aus Angst, er könnte ihren Autos schaden, aber auch, weil die kritische Öffentlichkeit wächst.

So etwa fordert Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerkes Misereor: „Agrosprit muss abgeschafft werden, denn er verschärft den Hunger in der Welt.“ Ähnlich argumentiert auch Caritaspräsident Franz Küberl: Hunger habe viele Ursachen, eine davon seien die steigenden Lebensmittelpreise. Dafür sei auch der wachsende Bedarf an Anbauflächen für die Erzeugung von Agrosprit verantwortlich.

Und der Leiter der Caritas-Auslandshilfe, Christoph Schweifer, spricht gar von einer „tödlichen Konkurrenz zwischen Teller und Tank, bei dem der Teller gewinnen muss.“ Vor diesem Hintergrund hat die Katholische Aktion der Erzdiözese Wien die Minister Doris Bures (Verkehr) und Nikolaus Berlakovich (Landwirtschaft und Umwelt) vor den Folgen einer erhöhten Beimengung von Agrosprit gewarnt und ein Umdenken gefordert: Mehr Energieeffizienz und mehr Energiesparen im Verkehr statt zusätzlichem Einsatz von Agrosprit.

Pattstellung
An Österreichs Tankstellen sollte ab Oktober mit dem Verkauf von E10 begonnen werden.  Doch während Minister Berlakovich und der Präsident der Landwirtschaftskammer, Gerhard Wlodowski, Druck machen, stehen die Ministerkollegen für Verkehr, Wirtschaft und Gesundheit auf der Bremse. Außerdem will Finanzministerin Maria Fekter die Mineralölsteuer-Befreiung und damit die indirekte Subvention von Agrosprit zurücknehmen.

Sigrun ZwanzgerSigrun Zwanzger (links) vom Welthaus der Diözese Graz sieht in dieser momentanen Pattstellung eine Chance, über die Agrartreibstoffe umfassend zu diskutieren. „Denn hinter dem noch vor zehn Jahren als große Alternative für fossile Treibstoffe betrachteten Agrosprit stehen inzwischen sehr viele Fragezeichen, über die man sich nicht hinwegsetzen darf.“

Genau hinschauen
Auf Initiative von Welthaus Graz wurde im Parlament von den Abgeordneten Petra Bayr und Wolfgang Pirklhuber eine von 20 Umwelt- und Entwicklungsorganisationen unterstützte Petition eingebracht. Mit im Boot der Initiative sind u. a. die Dreikönigsaktion,  die Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz, Klimabündnis und die kirchlichen Umweltreferenten Österreichs. Die Petition fordert die Regierung auf, keine weitere Beimengung von Agrartreibstoffen vorzunehmen, solange die sozialen und ökologischen Folgen nicht ausreichend geklärt und entsprechende Mindeststandards gesichert sind. Außerdem soll sich die Bundesregierung auf EU-Ebene für ein Moratorium (Stopp) der Beimischungsquoten einsetzen, bis die bereits angelaufene  Klärung der Folgen und der Wirkung der „Beimischungs-politik“ abgeschlossen ist.

In Brüssel gebe es derzeit ein heftiges Tauziehen um die Einbeziehung neuer Kriterien für die Umweltbewertung von Agrosprit. Sogar Energiekommissar Günther Oettinger spreche davon, dass man sich die Sache noch einmal anschauen müsse. Zivilgesellschaftliche Organisationen, so Sigrun Zwanzger, machen in Brüssel zudem ziemlichen Druck, dass man Agrokraftstoffe nicht nur auf ihre Klimabilanz hin, sondern auch auf ihre sozialen, menschenrechtlichen und ernährungsbezogenen Auswirkungen näher unter die Lupe nimmt. „Diesen umfassenden Blick verlangen wir auch von unserer Regierung“, sagt Zwanzger.

Teller statt Tank

Früher galt in der Landwirtschaft der Grundsatz: Teller vor Trog vor Tank. Heute stellen manche Funktionäre diesen Grundsatz in Frage.

Ein zentraler Kritikpunkt der Agrosprit-Skeptiker ist deren Auswirkung auf die Lebensmittelpreise. „Man kann darüber streiten, um wieviel Prozent die Konkurrenz zwischen Teller, Futtertrog und Tank die Lebensmittelpreise in die Höhe treibt, aber so bedeutungslos, wie das manche Agrarpolitiker bei uns behaupten, ist das nicht – gerade wenn man bedenkt, dass in Entwicklungsländern die Menschen 70 bis 80 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aufwenden müssen“,  betont Zwanzger. Dass Agrartreibstoffe die Lebensmittel verteuern, belegen inzwischen auch Studien der UN-Ernährungsorganisation FAO, der Weltbank oder der OECD, betont Zwanzger.

Landhunger
Ein zweites heißes Thema ist die Frage, wieviel Land „frisst“ die Erzeugung von Agrosprit. Zwanzger rechnet vor: Österreich hat ca. 1,4 Millionen Hektar Agrarfläche. Allein für die im EU-Plan als erste Etappe vorgesehene zehnprozentige Beimengung würde man 200.000 ha für die Erzeugung von Ethanol (Benzinersatz) und rund eine Million Hektar für die Ölfrüchte (Dieselersatz) benötigen. „Das bedeutet, dass wir in Österreich, aber auch EU-weit, massiv auf Agrospritimporte angewiesen sind.

Große Agrar- und Ölkonzerne sind bereits unterwegs, um in Lateinamerika, Afrika und Ostasien riesige Länder aufzukaufen oder zu pachten.“ Laut Weltbank wurden allein im Jahr 2009 in Entwicklungsländern 47 Millionen ha Land eingekauft – nicht nur für die Erzeugung von Agrosprit, aber auch. Damit verbunden ist oft die Vertreibung von Kleinbauern – „die Unterstützung, die wir Projektpartnern bei Landrechtskonflikten geben müssen, wird immer umfangreicher“, sagt Zwanzger.

Dieser Landhunger führt aber auch zur zusätzlichen Rodung von (Tropen-)Wäldern, zur Trockenlegung von Feuchtgebieten etc. – auch wenn die EU-Kriterien für die Erzeugung von Agrosprit das ausdrücklich verbieten. „Da aber viele Flächen durch die Spriterzeugung blockiert sind, werden für die Nahrungs- und Futtermittelproduktion neue Flächen erschlossen. Fachleute sind sich einig“, so Sigrun Zwanzger: „Wenn man diese sogenannten indirekten Landnutzungsänderungsfaktoren (ILUC) in die Umweltbilanz von Agrosprit einrechnet, dann kommt man weit nicht auf die von der EU geforderten 35 bis 50 Prozent an CO2-Einsparungen.“

Auch bei der Agrospritproduktion in Österreich und Europa kommt es durch die Intensivierung der Landwirtschaft und die Rücknahme von Brachflächen zu zusätzlichen CO2-Belastungen. So schrieb die Europäische Umweltagentur bereits vor einem Jahr, dass die Annahme, Agrartreibstoffe seien per se klimafreundlich, auf falschen Berechnungen beruhe. Nun will die EU-Kommission bis Spätherbst einen sogenannten ILUC-Faktor berechnen, der auf die bisherige „Umweltbilanz“ aufgeschlagen werden soll. Viele befürchten allerdings, dass dabei – auch aufgrund der schwierigen Datenlage – nicht viel herauskommt, zumal die mächtigen Agrar- und Ölkonzerne bereits viel Geld in die neue Agrospritzukunft investiert haben.

Menschenrechte
Sehr kritisch sieht Sigrun Zwanzger die Menschenrechtsbilanz des Agrosprits. Sie hat sich mehrere EU-zertifizierte Produktionsbetriebe in Brasilien angeschaut und ist erschüttert: „Die Arbeiter auf den Zuckerrohrplantagen werden regelrecht wie Sklaven gehalten und für einen Hungerlohn ausgebeutet. Immer wieder kommt es vor, dass Arbeiter aus Erschöpfung sterben.“ Zudem kommt, so Zwanzger, dass die Ver-
arbeitungsbetriebe hochgiftige Abwässer ungeklärt in die Flüsse leiten. „Die EU schaut einfach weg. Es gibt keine Kontrolle der eigenen Kriterien – weder in Brasilien noch in Indonesien oder Afrika!“

Informationen: www.agrotreibstoffe.net

Zur Sache

Sparen wäre die beste Alternative

Weil im wachsenden Verkehr – auch in Österreich! – die Kyoto-Klimaziele immer mehr zu ersticken drohten, beschloss die EU 2009 die Direktive, dass jedes Mitgliedsland bis 2020 zehn Prozent der Energie, die Fahrzeugmotoren antreibt, mithilfe von erneuerbaren Quellen decken muss. Zwar kann man diese Vorgabe auch durch den verstärkten Einsatz von Elektro- bzw. Hybridautos erreichen, doch die EU-Länder setzten bisher darauf, Benzin oder Diesel mit Agrosprit zu mischen – mit Ethanol aus Mais, Weizen und Zuckerrohr bzw. „Bio“diesel aus Palmöl, Raps, Sonnenblumen … Derzeit werden weltweit ca. 68 Millionen Tonnen Ethanol und 18 Mill. t Agrodiesel erzeugt; die Beimischung in der EU beträgt rund vier Prozent (Ziel bis zu 20%).

„Wir sind nicht generell gegen Agrotreibstoffe“, sagt Sigrun Zwanzger vom Welthaus Graz. Es gibt in regionalen Kreisläufen durchaus sinnvolle Einsatzmöglichkeiten, etwa wenn eine Bauerngenossenschaft den in Folge des Fruchtwechsels angebauten Raps für den eigenen Bedarf zu Treibstoff verarbeitet.
„Problematisch aber wird es beim Anbau im großen Stil.“ Weil diese wachsende „Mängelliste“ auch in der EU zunehmend gesehen wird, setzt man dort die Hoffnung vermehrt auf „Agrartreibstoffe der zweiten Generation“ aus Holz, Stroh, Grünschnitt oder biogenen Abfällen. Doch bei diesen Stoffen ist die Vergasung bzw. Verbrennung zur Wärme- und Stromerzeugung wesentlich effizienter.

Viel zu wenig Augenmerk legt die EU auf Konzepte der Verkehrsvermeidung und -verlagerung (Schiene) sowie den Bau energieeffizienterer Fahrzeuge. Da wären viel rascher viel höhere Klimaeffekte zu erzielen, sagt etwa das Umweltinstitut München. 

Der Tipp

Erneuerbare Energie und Ethik
In einem Beitrag über „Erneuerbare Energie und Ethik“ schreibt der Grazer Sozialethiker Leopold Neuhold. Bevor man die einzelnen Formen der Energie(gewinnung) bewertet, „gilt es zuerst einmal zu fragen, wofür die Energie überhaupt verwendet werden soll und wo sie ohne Verlust von Lebensqualität, vielleicht sogar mit einer Zunahme von Lebensqualität, eingespart werden kann. Unser Lebensstil steht in Frage.“

Neuhold verweist auf die Handreichung der Dt. Bischofskonferenz „Die Schöpfung verpflichtet“. Darin ist von einem Dreiklang Maßhalten, Effizienz und erneuerbaren Energien die Rede, wobei die erneuerbaren Energien unter den Vorbedingungen des Maßhaltens und der Effizienz stehen.

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