Angesichts von Gräuel der Terroristen des „Islamischen Staats“ im Irak halten hochrangige Kirchenvertreter einen Militäreinsatz für legitim. Papst Franziskus lehnt es zwar ab, von „Krieg führen“ und „bombardieren“ zu sprechen, sagt aber, dass man einen Aggressor „Einhalt gebieten“ darf. Pax Christi Deutschland spricht sich mit Hinweis auf den Ersten und Zweiten Weltkrieg gegen ein kirchliches Ja zu einem Militäreinsatz aus. Zu dieser Diskussion nimmt im Interview der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff Stellung.

Bild rechts: Kurdische Kämpfer im Nordirak. 

zu: POSITIONEN (Papst, Kard. Marx, Pax Christi)

Eberhard SchockenhoffEberhard Schockenhoff
Der renommierte und bekannte Moraltheologe
ist Professor am Institut für Systematische Theologie,
Arbeitsbereich Moraltheologie an der
Universität Freiburg im Breisgau.
Er gehört zudem dem Deutschen Ethikrat an,
einem in der Bundesrepublik Deutschland per Gesetz
eingerichteten Sachverständigengremium.

Interview: Heinz Niederleitner

100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg diskutiert die Kirche aus aktuellem Anlass die Legitimität eines Militäreinsatzes im Irak. Hat ein Hinweis auf den Ersten Weltkrieg in dieser Diskussion etwas zu suchen?
Schockenhoff: Das hat nichts miteinander zu tun. Es ist eine Entwicklung des modernen Völkerrechts und der Friedensethik, dass der Krieg heute universal geächtet wird. Die einzige Ausnahme wäre ein reiner Verteidigungskrieg: Solange es keine überstaatliche Autorität gibt, die einen Angreifer wirksam in die Schranken weist, kann man Staaten das Recht auf Selbstverteidigung nicht absprechen. Worüber jetzt im Zusammenhang mit dem Irak diskutiert wird, ist aber die Anwendung militärischer Gewalt aus humanitären Gründen – um einen Aggressor, der Unschuldige mordet, an seinem Handeln zu hindern.

Ist das auch der Grund, warum Papst Franziskus von „Einhalt gebieten“, aber nicht von „bombardieren“ oder „Krieg führen“ spricht?
Völkerrechtlich korrekt definiert ist Krieg eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten. In diesem Sinne ist er geächtet. Dann gibt es aber den umgangssprachlichen Begriff „Krieg“. Damit ist gemeint, dass Waffen sprechen und Soldaten sterben. Das ist aber die Realität jeder militärischen Gewaltanwendung. Wenn der Papst sagt, er spreche nicht vom „Krieg führen“, spielt er auf die Doppelbedeutung von „Krieg“ an.

Das bedeutet also, um Krieg im völkerrechtlichen Sinne geht es im Irak nicht.
Es geht darum, wie man sich mit den sogenannten asymmetrischen oder „neuen Kriegen“ verhalten soll. Das ist ja kein Konflikt zwischen zwei Nationen. Eine Seite sind Terrorgruppen oder Gotteskrieger. Die asymmetrische Situation entsteht dadurch, dass sich die Terrorgruppen nicht an völkerrechtliche Vorschriften gebunden fühlen, die früher den Krieg einhegten und begrenzten. Ein Rechtsstaat darf seine eigenen Prinzipien nicht verletzen, kann es aber auch nicht hinnehmen, dass Aggression und Gewalt sanktionslos bleiben, weil sie sonst zunehmen.

Schaut man in den Katechismus der katholischen Kirche, gibt es keine klaren Aussagen zu den neuen asymmetrischen Konflikten und Terrormilizen. Ist hier eine Aktualisierung notwendig?
Diese neue Herausforderung hat man nach dem Zusammenbruch des Kalten Krieges, als der Katechismus veröffentlicht wurde, nicht unmittelbar vor Augen gehabt. Darauf hat die vom Lehramt formulierte kirchliche Friedensethik noch nicht reagiert.

Auf welcher Grundlage kann man dann argumentieren?
Es gibt seit jüngerer Zeit das Prinzip der Schutzverantwortung: Ein Staat hat die Verantwortung, die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten und sie zu schützen – in einem sehr umfassenden Sinn. Wenn ein Staat dieser Verpflichtung nicht nachkommt, ist es Aufgabe der Staatengemeinschaft, den Bürgern dieses Staates beizustehen.
Es gibt Voraussetzungen, unter denen das als legitim angesehen wird: Es ist ein Mandat durch die Staatengemeinschaft notwendig, die Reaktion muss verhältnismäßig und geeignet sein, den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten, es muss eine Exit-Strategie aus der Gewalt heraus geben und der Einsatz militärischer Gewalt darf nur das äußerste Mittel sein. Das bedeutet nicht unbedingt das zeitlich letzte Mittel: Man kann, wenn es die einzige Möglichkeit zum Schutz ist, auch sofort intervenieren – nach sorgfältiger Abwägung.

Sind Ihrer Meinung nach die Voraussetzungen für eine internationale Militäraktion im Irak gegeben?
Nach den Informationen, die mir zur Verfügung stehen, halte ich die Lage im Irak für eine Situation, in der die zivilisierten Völker auch dieses äußerste Mittel der militärischen Gewaltanwendung ergreifen müssen, um die IS-Gotteskrieger an der Ausbreitung ihrer Einflusssphäre zu hindern.

Ein Thema, das jetzt zum Beispiel in Deutschland kontrovers diskutiert wird, sind Waffenlieferungen an die kurdischen Kämpfer im Nordirak (die deutsche Regierung hat diese Lieferungen nach dem Interview beschlossen, Anm.). Dagegen spricht, dass man Waffen in eine ohnehin schon stark bewaffnete Region schicken will.
An sich gilt: Keine Waffenlieferungen in Krisengebiete. Dieser Grundsatz setzt aber voraus, dass es keine extreme Ungleichheit gibt, bei der auf der einen Seite unbewaffnete Unschuldige stehen, die auf der anderen Seite von Terroristen in den Völkermord getrieben werden. In einer solchen Situation, wie man sie jetzt im Irak hat, kann man den Grundsatz „Keine Waffen in Krisengebiete“ nicht vernünftig anwenden. Denn das würde bedeuten, dass man einfach wegschaut, wie Menschen ermordet werden.

Das Dilemma ist, dass man nie die Garantie hat, dass Waffen nur zu dem Zweck eingesetzt werden, zu dem sie geliefert wurden.Wenn es aber niemanden gibt, der in dieser Region als Schutzmacht auftreten kann und im Augenblick die Kurden die Einzigen sind, die zur Verteidigung der Unschuldigen in Frage kommen, dann muss man das genau prüfen.

Pax Christi Deutschland spricht sich gegen eine kirchliche Legitimation eines Militäreinsatzes aus, weil die Gefahr bestehe, dass sich die Kirche wie in vergangenen Kriegen wieder in nationale, wirtschaftliche und Bündnisinteressen verwickeln lasse. Hat dieser Pazifismus angesichts der IS-Terroristen gute Argumente?
Der Pazifismus ist eine sehr achtenswerte Haltung und ein prophetisches Zeichen, solange seine Vertreter die Folgen des Verzichts auf Militäreinsätze selbst am eigenen Leib übernehmen. Lässt man aber andere für die Folgen der eigenen Gewaltlosigkeit büßen – etwa mit der Weigerung, mit militärischer Gewalt tätig zu werden – hat das eigentlich keinen moralischen Vorzug mehr. Das kann dann auch zu einer Kultur des Wegschauens werden und das darf die Weltgemeinschaft sich nicht erlauben. Ein Land, das zur zivilisierten Völkergemeinschaft gehört, hat hier Verantwortung. Einfach wegschauen, wenn Unschuldige hingemordet werden oder sich Terror ungebremst ausbreitet, kann man nicht mit Pazifismus begründen.

 

POSITIONEN

Papst Franziskus: Beim Heimflug aus Korea sagte der Papst: „In Fällen, wo es sich um einen ungerechten Angriff handelt, kann ich nur sagen, dass es legitim ist, dem ungerechten Angreifer Einhalt zu gebieten. Ich unterstreiche das Verb: Einhalt gebieten. Ich sage nicht: bombardieren, Krieg führen, sondern stoppen. (...) Doch wir müssen auch ein Gedächtnis haben! Wie oft haben die Mächte mit der Entschuldigung, dem ungerechten Angreifer Einhalt zu gebieten, Völker an sich gerissen und einen wirklichen Eroberungskrieg geführt! Eine einzelne Nation kann nicht darüber urteilen, wie einem ungerechten Angreifer Einhalt zu gebieten ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Idee der Vereinten Nationen auf: Dort muss man diskutieren und sagen: ‚Ist es ein ungerechter Angreifer? Anscheinend ja. Wie gebieten wir ihm Einhalt?‘ Nur dies, und nichts mehr.“

Kardinal Reinhard Marx: Der Münchner Erzbischof appellierte an die internationale Gemeinschaft, die „brutale Aggression“ der IS-Milizen im Irak gegen Minderheiten zu stoppen. Gemeinsam müssten dafür Wege und Mittel gefunden werden. Das aber ist nicht Sache der Kirche. Allerdings seien militärische Mittel durchaus geboten, um einen Aggressor in die Arme zu fallen, damit dieser nicht weiter Völkermord begehen könne.

Pax Christi Deutschland: Die Friedensbewegung wandte sich gegen eine kirchliche Rechtfertigung von Militäreinsätzen. „Wir haben zwei schreckliche Weltkriege hinter uns, zu denen die Kirchen mitaufgerufen hatten“, sagte die deutsche Vorsitzende Wiltrud Rösch-Metzler. „Wenn es jetzt aus den Kirchen unter dem Stichwort ‚Verantwortung‘ Stimmen gibt, die Militärschläge in Betracht ziehen, besteht die Gefahr, dass die Kirche sich wieder in nationale, wirtschaftliche und Bündnis-Interessen verwickeln lässt, wie es beim Ersten Weltkrieg der Fall war“.

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(aus dem KirchenBlatt Nr. 36 vom 4. September 2014)