Seit zehn Monaten ist Dr. Benno Elbs Bischof von Feldkirch. Im Gespräch mit Gilbert Rosenkranz, Chefredakteur der Tiroler Kirchenzeitung, erklärt er, wieso er die Ausbildung zum Psychotherapeuten gemacht hat, warum er an die Kraft der Gewaltlosigkeit glaubt und wie er den Umgang mit Schuld erlebt.

"Gott geht alle Kreuzwege mit"

Gilbert Rosenkranz: Herr Bischof, Sie haben als Priester auch die Ausbildung zum Psychotherapeuten gemacht. Warum?
Bischof Benno Elbs: Zu meiner Zeit im Priesterseminar war ich ehrenamtlicher Mitarbeiter bei der Rettung. Ich habe damals viele an Leib und Seele verwundete Menschen erlebt. Und so habe ich mehr und mehr begonnen, mich für die Seele zu interessieren.
Heute würde ich sagen, Psychotherapie und Glaube sind ein gutes Geschwisterpaar. Ich merke das etwa, wenn es um Schuld und Vergebung geht. Was die Psychotherapie leisten kann ist, Schuld zu interpretieren, sie besser zu verstehen. Gerade in diesem Bereich ist mir die Zusammenarbeit mit Psychologen wichtig. Was Menschen aber auch suchen ist Lossprechung, Vergebung, Neuanfang. Und da ist der Glaube gefragt.

„Das Leben behält seinen Sinn unter allen Umständen – auch im Leiden“. Ein Satz von Viktor Frankl, der das Konzentrationslager überlebt hat. Angesichts menschlicher Tragödien – wenn sich ein Jugendlicher das Leben nimmt oder eine Mutter von Kleinkindern plötzlich stirbt: Würden Sie diesen Satz trotzdem unterschreiben?
Bischof Benno Elbs: Ich bin als Priester und Bischof immer wieder in Situationen, dass ich in Demut vor dem Leid von Menschen stehe. Gerade dann muss ich sagen: Ich habe keine Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“ Was ich versuche, ist ein bescheidenes und schlichtes Mitgehen. Viktor Frankl spricht, wenn das Leiden erdrückend wird, vom Gehen wie im Nebel. Man sieht die Sonne zwar nicht, weiß aber, dass sie da ist. Was die Annahme des Leidens und sein Verstehen betrifft, versuche ich auch von Provikar Carl Lampert zu lernen. Er schreibt einmal, dass Gottes Vorsehung immer weise und anbetungswürdig sei.
Dass das Leben auch im Leiden Sinn hat, liegt für mich in der großen Zusage Gottes: „Ich bin bei Euch alle Tage bis zum Ende der Welt“. Das heißt, ich bin nie allein.
Ich darf mich ängstigen, ich darf verzweifeln und zweifeln, aber ich weiß, ich bin geborgen in einem größeren Ganzen. Das kommt auch in der Offenbarung des Namens Gottes „Ich bin dort, wo Du bist“ (Anm.: Bibelstelle in Ex 3,14), wie der Philosoph Martin Buber übersetzt, zum Ausdruck. Die Offenbarung geschieht in einem Dornbusch, mitten im Gestrüpp. Eine Offenbarung, die auch bedeutet: Gott geht alle Wege mit. Auch dorthin, wo Dornen und Stacheln wuchern.

Würden Sie also unterschreiben?
Bischof Benno Elbs: Ja, ich würde … (und dann nach einigem Nachdenken) … aber mit zittriger Hand und großem Respekt, weil ich ja nicht weiß, wie es mir selber gehen würde.

Dominique Taboga, ein Fußballspieler, der in einen Spielbetrug verwickelt ist, erzählte in einem Interview, er habe nach Auffliegen des Skandals an Selbstmord gedacht. Einzig die Bilder seiner Frau und seiner Kinder hätten ihn gerettet. Woran hängt das Leben?
Bischof Benno Elbs: Auf diese Frage gibt es wohl so viele Antworten wie Menschen. Persönlich kann ich sagen, dass ich das Leben wirklich als ein Geschenk Gottes erfahre. Und zu dieser Erfahrung gehört, dass er mir sein JA gegeben hat. Ein JA, das er zu jedem Menschen sagt und das jedem Menschen seine Würde gibt. Mit diesem Geschenk des Lebens zu tun hat für mich die Dankbarkeit. Und damit das Gebet, dessen wichtigste Form die Dankbarkeit ist. Interessant finde ich in Bezug auf das Glück des Menschen die Ergebnisse der modernen Gehirnforschung. Die Aussagen diesbezüglich gehen eindeutig in eine Richtung: Demnach ist wesentlich für das Glück im Leben das Dazugehören – zur Familie, zu Freunden …
Übrigens glaube ich, dass Papst Franziskus das Thema Familie auch deshalb so wichtig nimmt, weil davon die Zukunft unserer Gesellschaft abhängt. Eine gute Familie gibt innerlich die Kraft zum Leben. Jugendliche haben das im Rahmen einer Studie sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Auf die Frage, wovor sie am meisten Angst hätten, antworteten die meisten: vor dem Verlust der Familie.

Benno Elbs - ZeitLese Osern 2014Wie deuten Sie den Umstand, dass in einigen Ländern Europas aktive Sterbehilfe bereits erlaubt ist - sogar, wie in Belgien, bei Kindern?
Bischof Benno Elbs: Diese Entwicklung macht mich sehr nachdenklich. Denn es ist kein großer Schritt von der aktiven Sterbehilfe bis hin zu einer Gesellschaft, die älteren oder kranken Mitgliedern das Sterben nahe legt, um nicht zur Belastung zu werden. In so einer Gesellschaft möchte ich nicht leben. Letztlich ist doch die Frage, wo es hinführt, wenn wir Gott spielen. Wo es hinführt, wenn wir über das Leben von anderen entscheiden. Das Leben ist unendlich viel wert. Als Kirche haben wir den Auftrag, uns für eine Kultur des Lebens einzusetzen.
Weiters möchte ich zu bedenken geben, dass hinter dem Wunsch zu sterben fast immer ein Hilferuf steckt – ein Ruf nach Nähe, ein Ruf nach Schmerzfreiheit. Gerade in diesem Bereich leistet die Hospizbewegung großartige Arbeit, die es zu unterstützen gilt.

Leid, wenn es nicht schicksalhaft erfahren ist, hat auch mit Schuld zu tun und damit, schuldig zu werden. Warum tun sich Menschen mit der Entschuldigung so schwer?
Bischof Benno Elbs:  Unsere Gesellschaft trimmt die Menschen auf Erfolg. Gefragt ist, wer stark ist. In so einer Atmosphäre einen Menschen um Entschuldigung zu bitten, kommt fast schon einem Todesurteil gleich. Wir erleben das in der Politik. Sich in aller Öffentlichkeit zu entschuldigen wird als Schwäche ausgelegt und schadet dem Image. Wer Schuld zugibt, muss meist von der Bühne abtreten. Die Politik ist da ein gutes Spiegelbild dessen, was gesellschaftlich läuft.
Aufgabe der Kirche dagegen ist es, eine Atmosphäre der Versöhnung und Vergebung zu schaffen. Und zu vermitteln, dass es für jeden Menschen einen Neuanfang gibt. Das ist auch deshalb so wichtig, weil verdrängte Schuld wie Dynamit wirkt.
Mir ist klar, dass es viel einfacher ist die Schuld bei anderen zu suchen, als dass man sich und sein eigenes Verhalten in Frage stellt. Das sorgt für Irritation. Sich zu entschuldigen verlangt mehr, leistet aber auch um einiges mehr: Ich komme wieder mit mir ins Reine, kann gemachte Fehler korrigieren, befreie mich von Schuld und vor allem ich versöhne mich mit meinem Gegenüber. Vom Glauben her ist die Vorgabe klar: Jesus sagt, dass nicht die Gesunden den Arzt brauchen, sondern die Kranken. Es geht ihm um Vergebung, um heilende Nähe, ein Ende der Lüge, um Wahrheit. Wichtig scheint mir auch eine lebendige Erinnerungskultur. Gerade rund um die Seligsprechung von Provikar Lampert haben wir hier in Vorarlberg erlebt, wie heilend die Rückbesinnung auf Vergangenes sein kann.

Haben Sie den Eindruck, dass das Gedenken an Lampert tatsächlich Veränderungen bewirkt hat?
Bischof Benno Elbs: Ja, ganz sicher. Wir haben in der Diözese Feldkirch in rund 70 Pfarrgemeinden Veranstaltungen zum Thema Lampert organisiert. Damit die Erinnerung an sein Leben nachhaltig bleibt, haben wir auch ein Carl-Lampert-Forum gegründet. Es hat zum Ziel, die Zivilcourage in der Gesellschaft zu stärken sowie das Bewusstsein für jene Werte, für die Lampert eingetreten ist.

Auf der Krim zeigt es sich wieder: Der Stärkere setzt sich durch. Es scheint so, als wären die Schwachen die Dummen. Warum macht für Sie Gewaltfreiheit Sinn?
Bischof Benno Elbs: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Güte des Herzens die einzige Kraft ist, die die Welt nachhaltig verändert. Natürlich: Auf den ersten Blick sind Menschen wie Franz Jägerstätter, Mahatma Gandhi, Nelson Mandela oder auch Bischof Erwin Kräutler die Schwächeren. Doch die Geschichte wird ihnen Recht geben.

Ich kann gut verstehen, dass die Versuchung zur Mutlosigkeit groß ist. Doch die Alternative zur Gewalt ist nur die Gegengewalt. Mit Gewalt gegen Gewalt anzutreten, führt niemals aus der Spirale der Ungerechtigkeit hinaus. Denn mit falschen Mitteln zu kämpfen wird nicht dadurch richtiger, dass mein Gegenüber auch zu den falschen Mitteln greift. Was die Krise rund um die Krim betrifft, hat die Europäische Union bisher klug gehandelt. Ich halte es für richtig, alles zu tun, um die Anwendung von Gewalt so gut wie möglich zu vermeiden. Gewalt kränkt Menschen. Und gekränkte Menschen sind wie tickende Bomben.

Die Kirche hatte im Umgang mit Menschen wie Franz Jägerstätter oder Carl Lampert auch nach dem Tod noch ihre Not. Die vorherrschende Meinung war lange, wären sie still geblieben, wären sie noch am Leben.
Bischof Benno Elbs: Es ist tatsächlich so, dass solche Menschen auch innerkirchlich beiseitegeschoben worden sind. Ich möchte da gar nichts beschönigen. Und noch heute tun sich viele mit dem Lebenszeugnis dieser Menschen schwer, wie das Beispiel von Paul Grüninger beweist. Er war Polizeihauptmann von St. Gallen und rettete rund 3600 Juden das Leben, indem er ihnen mit gefälschten Papieren zur Einreise in die Schweiz verhalf. 1939 wurde er deshalb ohne Anspruch auf Rente vom Dienst suspendiert. Grüninger starb verarmt, und erst 1995, 23 Jahre nach seinem Tod, wurde das Urteil gegen ihn aufgehoben. Das ist alles erst wenige Jahre her.
Ich sage das nicht, um mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern um deutlich zu machen, wie viel zu tun ist, damit Zivilcourage und der Einsatz für andere lebendig bleiben. Da muss sich auch die Kirche an der Nase nehmen. Etwa wenn es um das Eintreten für die Armen geht – konkret etwa für die syrischen Flüchtlinge.

Was heißt das: „konkret“?
Bischof Benno Elbs: Dass wir mehr tun müssen für die weit über sechs Millionen Flüchtlinge in Syrien und seinen Nachbarländern. Das Elend dort ist unbeschreiblich groß. Und ein Land wie Österreich ist sicher in der Lage, mehr als 500 Menschen aufzunehmen, von denen noch nicht einmal die Hälfte hier angekommen ist. Die Signale sind leider nicht vielversprechend. Hier wird mit Hilfe gegeizt. Das macht mich wütend und traurig zugleich.

An vielen Orten der Erde herrscht Krieg: Millionen von Christen leiden Verfolgung, Frauen sind Opfer sexueller und häuslicher Gewalt, Kinder werden erniedrigt – dazu die Naturkatastrophen. Die Macht des Bösen und die Ohnmacht hinterlassen ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Viele sagen: „Man kann eh nichts tun!“
Bischof Benno Elbs: Das Böse ist eine Realität. Es ist gefährlich, so zu tun, als gäbe es das Böse nicht. Der für mich entscheidende Zugang, mich für das Gute einzusetzen, ist die Zusage Gottes, dass er alle Wege mitgeht – auch die Kreuzwege. Aus Gottes Zusage an Mose „Ich bin dort, wo Du bist“ erwächst eine große Hoffnung.

Und was die Gewalt betrifft: Es geht darum, hinzusehen und sie sichtbar zu machen. Kommt das Böse ans Licht, wird es entlarvt. Es behält nur so lange seine Macht, solange es nicht sichtbar wird. Für wertvoll im Umgang mit dem Bösen halte ich zudem das Gebet. Für Menschen zu beten, von denen ich weiß, dass sie es nicht gut mit mir meinen. Jesus sagt ja: „Betet für die Feinde!“ Tatsächlich habe ich erlebt, dass sich die Beziehung zu jenen Menschen, die mir ablehnend gesinnt sind, verändert hat, wenn ich für sie gebetet habe.

Benno Elbs2 - ZeitLese Osern 2014Zur Person

Benno Elbs wurde 1960 in Bregenz geboren. er studierte in Innsbruck und Paris Theologie, später auch Psychologie. Elbs ist auch ausgebildeter Psychotherapeut. Nach seiner Priesterweihe war er Kaplan, Spiritual, Leiter des Pastoralamtes und Generalvikar. Seit Juni 2013 ist er Bischof von Feldkirch.

LINK: Der Bischof von Feldkirch