Bereits zum 104. (!) Mal begeht die Kirche am 14. Jänner den „Welttag des Migranten und Flüchtlings“. Das Thema ist heute aktueller denn je und hat auch in Vorarlberg vieles in Bewegung gesetzt. Die Zivilgesellschaft steht auf und setzt sich beherzt ein. Die Gruppe „Flucht.Punkt.Ländle“ ist ein beeindruckendes Beispiel dafür. Christine und Manfred Böhmwalder aus Götzis erzählen davon.

Bild: Gegen die Abschiebung in Kriegsgebiete: Am Nationalfeiertag fiel der Startschuss zu dieser Aktion. 5000 Postkarten sollen via Luftballon und Post den Weg nach Wien ins Innenministerium finden.

Patricia Begle

Begonnen hat alles im Sommer 2015. In der Tennishalle in Götzis wird ein Flüchtlingscamp eingerichtet, betreut von der ORS. Die Gemeinde lädt zur Info-Veranstaltung, zahlreiche Freiwillige sind bereit, sich zu engagieren. Es bilden sich Gruppen, die den Flüchtlingen mit unterschiedlichen Aktivitäten helfen Land, Menschen und Sprache kennenzulernen. Neben regelmäßigen Treffen wie Deutschkurs, Jogging-Gruppe, Mutter-Kind-Gruppe, Wandergruppe gibt es auch Begleitpersonen für Exkursionen, für sportliche und kulturelle Veranstaltungen und andere Projekte.

Großes Netzwerk 
„Ob Firmen oder Privatpersonen - jeder war bereit etwas beizutragen“, erzählt Christine Böhmwalder, eine Freiwillige der ersten Stunde. Die Unterstützung reicht vom Bus für Ausflüge über Unterwäsche und Winterjacken bis zu Freikarten fürs Fußballmatch. „Überall stießen wir auf offene Ohren.“ Heute verfügt die Region um den Kummenberg über ein großes und dichtes Netzwerk von vielen Engagierten. Obwohl das Haus „Mösleweg“ inzwischen aufgelassen wurde, geht das Engagement weiter. Im Herbst eröffnet die Gemeinde im „FREIRAUM Götzis“ (ehemaliger Pfarrsaal) ein Begegnungscafé, in dem sich jeden Dienstag (17-19 Uhr) Frauen, Männer und Kinder treffen. Zwei junge Männer aus Afghanistan sorgen dabei für Getränke, die Kinder spielen, die Erwachsenen tauschen sich aus. Das Miteinander läuft selbstverständlich und unkompliziert.

Aufeinander einlassen
Aus den Kontakten sind mit der Zeit Freundschaften entstanden. Heute vergeht kein Tag, an dem es bei den Böhmwalders nicht irgendeinen Kontakt mit den Geflüchteten gibt - sei es eine SMS, die über eine bestandene Prüfung informiert oder ein „Wie geht‘s?“ aus Wien. Am Wochenende wird gemeinsam etwas unternommen und zu Weihnachten wird der Kreis der Feiernden selbstverständlich erweitert. „Wir wollen ihnen unsere Geschichte, unsere Kultur, auch unsere religiöse Kultur zeigen, damit sie das verstehen können“, erklärt Manfred Böhmwalder. „Wir wollen sie aber nicht bekehren.“ Der Austausch erfolgt natürlich gegenseitig. So feiern die Böhmwalders das Zuckerfest mit, geben Kardamom in den Grünen Tee wie ihre afghanischen Freunde und denken nach über den Wert der Familie. „Wir leben unsere Werte vor und kommen über sie ins Gespräch“, erzählt der Götzner. Die Themen reichen dabei von der Trennung von Staat und Religion bis zu den Rollenbildern von Mann und Frau. Manfred Böhmwalder weiß: Veränderungen in diesen gewachsenen Strukturen und Haltungen sind Prozesse, die Zeit brauchen.

Schwierigkeiten
Neben den erfreulichen Begebenheiten kommen die engagierten Götzner/innen auch mehr und mehr in Berührung mit den Alltagsproblemen der geflüchteten Menschen. „Die kranke Schwester oder der Bombenanschlag in der Heimat, die Tötung eines Familienmitgliedes/Freundes oder das Heimweh - wir erleben alles hautnah mit“, beschreibt Christine Böhmwalder das geteilte Leben. „Wir sind auch manchmal in Entscheidungen involviert, in denen es um Leben und Tod geht“, weiß Manfred Böhmwalder. „Einmal standen wir vor der Frage, wie wir einen Flüchtling mit Asyl dabei unterstützen können, seiner Frau und den vier kleinen Kinder im Zuge der Familienzusammenführung zu helfen und sie aus Aleppo zu bringen. Da die österreichische Botschaft geschlossen ist, mussten sie illegal über die Berge in die Türkei flüchten, um dort ihren Antrag zu stellen. Dort warteten sie ein paar Monate auf ihre Papiere - bis sie endlich nach Österreich reisen durften. Der österreichische Staat schaut da schon, dass es sehr, sehr schwierig wird bei der Familienzusammenführung.“

Politisch aktiv
Schwierigkeiten der Geflüchteten entstehen auch durch rechtliche Bedingungen: Lange Wartezeiten, fehlende Arbeitsbewilligungen, Negativ-Bescheide, Beschwerden, Abschiebungen. Immer wieder stößt das engagierte Paar und ihre Mitstreiter/innen auf juristische Entscheidungen, die für sie nicht nachvollziehbar sind. Im Frühjahr 2017 beschließen acht Frauen und Männer, sich hier vermehrt zu engagieren und öffentlich auf jene Themen und Anliegen aufmerksam zu machen, die sie in ihrem Kontakt mit den Betroffenen erfahren. „Flucht.Punkt.Ländle“ (www.flucht-punkt-laendle.at) nennen sie ihre Plattform. „Wir bündeln die Anliegen“, erklärt Christine Böhmwalder, „zusammen hört man es dann vielleicht, da sind wir stärker.“ Dabei arbeiten sie mit den Flüchtlingsorganisationen im Land zusammen und suchen das Gespräch mit Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft. „Wir fordern die Landesregierung auf, alle Möglichkeiten auszuschöpfen und unser Anliegen nach Wien weiterzutragen“, erläutert Manfred Böhmwalder.

Aufstehen 
Außerdem will die Gruppe mit öffentlichen Aktionen die Themen unter die Menschen bringen. Die Postkarten-Aktion am Nationalfeiertag war ein sprechendes Beispiel dafür. Sie sollte Zeichen setzen gegen die Abschiebungen in Kriegsgebiete. „Es ist relativ klar, dass Afghanistan ein Kriegsgebiet ist“, erklärt der Götzner die Aktion. „Aber Europa hat einen Deal mit der afghanischen Regierung ausgehandelt und sich auf Kosten der Flüchtlinge freigekauft. Da sagen wir: Das akzeptieren wir nicht.“ Am 26. Oktober trafen sich über 300 Frauen, Männer und Kinder unterschiedlicher Nationalitäten aus dem ganzen Land beim Kirchplatz in Altach und beschrieben Postkarten mit ihrem persönlichen Anliegen. „Gib mir eine Chance zu leben. Die Rückkehr ist Tod“, hieß es dort. Oder: „Bitte schickt unsere Freunde nicht in den Tod! Gebt ihnen Asyl!“ Die Postkarten wurden an Luftballons gebunden und Richtung Wien geschickt - adressiert an das Innenministerium. 5000 Karten wurden dafür gedruckt, mittlerweile sind alle unter die Leute gebracht und die meisten wohl schon in Wien angekommen.

Verantwortung 
Das Engagement auf politischer Ebene ist kein leichtes, viele Türen sind hier verschlossen. „Wir geben nicht auf, wir klopfen trotzdem an und schöpfen alle Möglichkeiten aus, die wir sehen. Wir wissen, dass sehr viele Menschen auf unserer Seite stehen“, erläutert Manfred Böhmwalder. „Die Zivilgesellschaft muss aufstehen“, sind beide überzeugt. „Wenn eine Frau mit ihren Kindern ertrinkt - wer verantwortet das? Wir müssen etwas tun, wir können nicht einfach zuschauen“, erklärt Christine Böhmwalder.

Welttag des Migranten und Flüchtlings 

Papst Franziskus schreibt dazu:

„Jeder Fremde, der an unsere Tür klopft, gibt uns eine Gelegenheit zur Begegnung mit Jesus Christus, der sich mit dem aufgenommenen oder abgelehnten Gast jeder Zeitepoche identifiziert.“ In vier Verben gibt Papst Franziskus Antwort auf die Flüchtlingsfrage: 

  • aufnehmen: Möglichkeiten für eine sichere und legale Einreise in die Zielländer anbieten.
  • schützen: Maßnahmen zur Verteidigung der Rechte und der Würde der Migranten und der Flüchtlinge unabhängig von ihrem Migrantenstatus.
  • fördern: damit sie sich als Personen in allen Dimensionen (...) verwirklichen.
  • integrieren: bezieht sich auf die interkulturelle Bereicherung, die sich durch die Anwesenheit von Migranten und Flüchtlingen ergibt.

Den gesamten Wortlaut der Botschaft von Papst Franziskus finden Sie HIER.

Flucht.Punkt.Ländle

ist eine Gruppe engagierter Freiwilliger aus der Region „amKumma“, die sich für Anliegen von Flüchtlingen einsetzt. Die Gruppe vernetzt, informiert und schafft Bewusstsein in Politik und Öffentlichkeit. Die Karten an das Innenministerium, die sich gegen Abschiebungen in Kriegsgebiete richten, können auf der Website heruntergeladen werden: www.flucht-punkt-laendle.at

(aus dem KirchenBlatt Nr. 2 vom 11. Jänner 2018)