Von Martin Heidegger stammt das Zitat: „Nur noch ein Gott kann uns retten“. Auf dem Philosophicum in Lech war dieser Titel zur Podiumsdiskussion am 22. September durchaus als provokant zu bezeichnen. Bischof Benno Elbs vertrat die Sicht auf Gott als „Liebe und Empathie“. Ein Höhepunkt des philosophischen Festivals war dann der Vortrag von Mouhanad Khorchide am 25. September, der in seiner am Koran orientierten Interpretation Gott als einen beschrieb, „der Mitliebende sucht“, und damit die üblichen, massenmedial transportierten Vorstellungen vom Islam auf den Kopf stellte.

Wolfgang Ölz

„Gott ist aus der Sicht des Christentums das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Das sind Liebe und Empathie.“ Das betonte Bischof Benno Elbs. Im Blick auf das Verhältnis von Gewalt und Religion unterstrich Elbs die Bedeutung des Friedenstreffens in Assisi. „Zum Dialog der Religionen gibt es keine Alternative“, so der Bischof, der sich auch gegen kritische Stimmen wehrte, die derartige interreligiöse Treffen als „Naivitätsolympiaden“ bezeichneten. „Wenn es eine Olympiade der Naivität ist, sich um den Frieden zu bemühen und dafür zu beten, dann möchte ich dort eine Medaille gewinnen.“ Darauf angesprochen, dass die katholische Kirche möglicherweise bei einer älteren Gottesversion verharre, meinte Elbs humorvoll: „Wir haben mehrere Versionen am Laufen.“

Ein unendlich naher Gott
Gott ist auch das zentrale Thema von Prof. Dr. Mouhanad Khorchide. In seinem Vortrag in Lech macht sich Khorchide für einen barmherzigen, liebenden, dem Menschen zugewamdten, personalen Gott stark. Der Gott des Koran ist den Menschen sehr nahe, „näher als seine Halsschlagader“ wie es in der 50. Sure heißt. Für Khorchide bestätigt die Ausrufung eines Jahres der Barmherzigkeit durch Papst Franziskus, dass Muslime und Christen an denselben Gott glauben.
Im Jahr 2012 ist sein  Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ erschienen. Khorchide betrachtet es als besondere Fügung, dass im selben Jahr von Kardinal Walter Kasper ebenfalls ein Buch zur Barmherzigkeit Gottes erschienen ist. Der Geist der Barmherzigkeit Gottes ist Khorchide zufolge genuin christlich und genuin islamisch.

Extremisten und deren Kritiker
In der Diskussion mit der sehr islamkritischen Necla Kelek beim Philosophicum wird eine weitere Überzeugung von Prof. Khorchide klar: Islamistische Extremisten und Islamkritiker stimmen in ihrem unkoranischen Bild eines gewalttätigen Islam überein. Beide Haltungen werden laut Khorchide der friedlichen Dimension dieser Religion nicht gerecht.

Buchtipp:

Mouhanad Khorchide: Islam ist Barmherzigkeit.
Grundzüge einer modernen Religion.
Verlag Herder, 240 S., E 13,40.

KOMMENTAR

von Wolfgang Ölz

Mit dem bedeutendsten islamischen Theologen Deutschlands, Prof. Dr. ­Mouhanad Khorchide, traf sich das KirchenBlatt im Pfarrhof in Lech - unmittelbar vor Khorchides Vortrag über Gott. Der in Beirut in einem Klima der religiösen Pluralität geborene, im restriktiven Saudi Arabien aufgewachsene, in Wien studiert habende und nun in Münster lehrende Khorchide trägt seine - die gängigen Klischees widerlegenden - Thesen mit großer Bescheidenheit und intellektuell einleuchtend vor.
Im Gegensatz zu seinem Folgeredner auf dem Philosophicum, Prof. Rüdiger Safranski (Jahrgang 1945), gehört Mouhanad Khorchide (Jahrgang 1971) meiner Generation an. Während die geistesgeschichtlich fundierte Skepsis Safranskis mir eigentlich fremd bleibt, begeistert mich die orientalische Frömmigkeit Khorchides.
Khorchide hält sich selbstverständlich an die fünf Säulen des Islam: Nach Mekka pilgern, tägliches Gebet, Almosen, Glaubensbekenntnis und Fasten im Ramadan. Seine theologische Lehre hat viel vom katholischen Glauben. Auch ein Nicht-Muslim kann ihm zufolge in den Himmel kommen. Zudem dürfen wir nach Khorchide hoffen, dass die Hölle leer ist - wie das auch Hans Urs von Balthasar herausgearbeitet hat.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 39 vom 29. September 2016)