Beim Gesellschaftspolitischen Stammtisch im Kolpinghaus in Dornbirn diskutierten Wissenschaftlerinnen, Praktiker, Politiker und Betroffene die „Mindestsicherung Neu“.

Wolfgang Ölz

Die neue Mindestsicherung in Vorarlberg gilt für die Impulsreferentin Prof. Irene Dyk-Ploss aus Oberösterreich als nicht ganz perfekte, aber bessere Lösung als jene in anderen Bundesländern. Just am Tag des Stammtisches hatte der Landtag in Linz mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ die Deckelung der Mindestsicherung beschlossen, was dort bedeutet, dass der Bezug künftig nur mehr maximal 1500 Euro pro Familie betragen kann.

Deckel bei den Wohnungskosten

Bei der „Mindestsicherung Neu“, die die alte bundesweite Regelung ersetzt, hat es einen Wettbewerb zwischen den Bundesländern (mit Ausnahme von Wien) gegeben, wer mehr und besser kürzt. Peter Kopf, der Leiter der Schuldenberatung des ifs, stellte klar, dass die Erleichterung zwar groß gewesen sei, dass in Vorarlberg keine generelle Deckelung der Mindestsicherung kommt. Es sei aber ein riesiger Wehrmutstropfen, dass die Wohnungskosten gedeckelt werden. Für vier Personen etwa ist eine Obergrenze von 712 Euro festgesetzt. Das bedeutet für die Betroffenen, dass die Mehrkosten für den tatsächlichen Wohnungsaufwand von den Lebenshaltungskosten für Lebensmittel, Kleidung, Schulausgaben, Strom und Mobilität weggespart werden müssen. Die Deckelung bei den Wohnungskosten bewirkt, dass sich die Mindestsicherungsbezieher/innen den „Luxus“ Wohnen, der eigentlich ein Menschenrecht sein sollte, vom Mund wegsparen müssen. Wenn 100 oder 200 Euro vom Haushaltsbudget wegfallen, dann geht es sich irgendwann einfach nicht mehr aus.

Drastische Bilder

Peter Kopf verwendet drastische Bilder, um das zu illustrieren: Der Deckel bei den Wohnungskosten sei so, wie wenn bei ihm als Brillenträger die passenden Brillengläser durch Fensterglas ersetzt würden. Oder wie wenn Regenschirme ausgeteilt - und bei Niederschlag wieder eingesammelt würden.

Einsparungen von drei Millionen?

In Summe sollen die Kürzungen bei der Mindestsicherung dem Land Vorarlberg insgesamt drei Millionen Euro bringen, ein relativ geringer Betrag im Promillebereich - das Gesamtbudget beträgt nämlich 1,795 Milliarden. Im Vergleich dazu lassen sich für drei Millionen Euro gerade einmal 265 Meter Straße bauen, wie Peter Kopf zu bedenken gibt. Die Ersparnis von drei Millionen ist dabei ohnedies anzuzweifeln, wenn man die Folgekosten - wie etwa die vermehrte Betreuung der Betroffenen - in Rechnung stellt. Aus Sicht der Schuldenberatung wäre eine Übernahme der tatsächlichen Wohnungskosten bei der Mindestsicherung unabdingbar. Auf lange Sicht brauche es dazu auch noch eine gute Kinderbetreuung, damit sich  alleinerziehende Frauen eine Pension ansparen können. Zudem Investitionen in die Bildung, weil unqualifizierte Arbeitskräfte vermehrt armutsgefährdet sind, und vor allem auch die Schaffung von leistbarem Wohnraum.

Sozialer Wohnbau im Land

Lobenswert ist darum für Michael Hämmerle vom Kaplan Bonetti Haus, dass mit dem Wohnbaupaket des Landes über vier Jahre jährlich 750 soziale Wohnungen neu gebaut werden sollen. Es sei aber gleichzeitig ein fataler Zustand, dass in Lustenau hunderte Wohnungen leer stehen. In diesem Zusammenhang ist auch der Appell von Michael Striebel von Pax Christi Vorarlberg zu sehen, der in der offenen Diskussion betonte, dass nach der katholischen Soziallehre Vermögen - wie etwa eine bewohnbare Wohnung - für den Besitzer eine Verpflichtung bedeute. Michael Hämmerle weiß aus der Beratung im Kaplan Bonetti Haus: Das größte Problem für arme Menschen ist, dass sie vereinsamen, weil sie ihre Armut verstecken wollen. Niemanden zu einem Essen einladen können, weil das Geld für die Verpflegung fehlt, sei sehr bitter.

Empathie.

Der Meinungsaustausch mit dem Plenum war geprägt von einer großen Empathie für diejenigen, die auf die Mindestsicherung angewiesen sind. Auch die anwesenden Student/innen aus der Schule für Sozialberufe Bregenz und der Katholischen Pädagogischen Hochschule Edith Stein beteiligten sich engagiert an der Diskussion.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 19 vom 11. Mai 2017)