Wenn jemand sprichwörtlich immer das letzte Wort haben muss, ist das eigentlich nichts Positives. Nicht so bei der dritten Präsentation der TIES-Studie von „okay.zusammen leben“, bei der jene das letzte Wort hatten, um die sich die Studie dreht: Menschen der zweiten Generation, für die das Wort „zweiheimisch“ und seine Bedeutung Normalität geworden ist.

Manche der Teilnehmer/innen waren bereits zum zweiten oder dritten Mal dabei, während andere quasi Premiere „feierten“. Die Präsentation der TIES-Studie im Rahmen der Reihe „Zweiheimisch als Normalität“ lockte zahlreiche Interessierte von nah und fern, unterschiedlichster Herkunftsländer und Bildungssparten an. Und während bei den vergangenen zwei Terminen bereits Themen wie Ausbildung, Arbeitsmarkt, Zugehörigkeit, Wohnen, Sprache oder Religion behandelt wurden, ging es dieses Mal um die „Sozialen Netzwerke der Zweiten Generation“.

Damals und heute
Befragt wurden die 750 Personen der 2. Generation türkischstämmiger und aus dem ehemaligen Jugoslawien stammender Zuwanderer sowie Personen österreichischer Herkunft zu ihren besten Freunden und deren Migrationshintergrund. Und zwar zu Freunden am Ende der Pflichtschulzeit und jetzt. „Der Anteil der interethnischen Freundschaften bei der Gruppe ohne Migrationshintergrund und der 2. Generation ex-jugoslawischer Herkunft hat nicht zugenommen und bei der 2. Generation türkischstämmiger abgenommen“, bilanziert Dr. Simon Burtscher-Mathis. Zudem hat die Bildung einen großen Einfluss auf die Zusammensetzung der Freundesnetzwerke, führt der Soziologe fort. So spiegeln sich die Bildungsabschlüsse der Befragten in ihren Netzwerken wieder: Freund/innen der Personen ohne Migrationshintergrund verfügen mit 42% häufiger über eine Ausbildung auf Maturaniveau und höher, als die beiden Gruppen mit Migrationshintergrund (23% bzw. 18%).

Wir - Sie
Aufgrund der mangelnden ethnischen und sozialen Durchmischung entsteht ein soziales Milieu, das zentrale Lebenserfahrungen teilt, hält Burtscher-Mathis fest. Man bleibt eher innerhalb „seiner Herkunftsgruppe“, was weder dem sozialen Zusammenhalt, noch dem Umgang mit der Vielfalt in der Gesellschaft förderlich ist. Insbesondere Menschen mit türkischem Migrationshintergrund (41% der Befragten) sehen sich aufgrund ihrer Herkunft oder Religion  in der Schule, am Arbeitsplatz, auf der Arbeitssuche etc. immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt. Interessant sei, so Burtscher-Mathis, dass nicht nur die Betroffenen selber, sondern auch die Befragten ohne Migrationshintergrund annahmen, dass Personen der 2. Generation türkischstämmiger Zuwanderer besonders von Diskriminierungen betroffen sind.

Pro-aktiv
Doch was tun, damit diese Diskriminierung nicht mehr geschieht? Zum einen müssen gruppenübergreifende Kontakte wie Freundschaften, Vereine oder auch Nachbarschaften gefördert werden, halten Burtscher-Mathis und Dr. Eva Grabherr fest. Zum anderen ist eine soziale Durchmischung zentral für den sozialen Zusammenhalt und den Umgang mit Vielfalt. „Wo soll man Kompetenz im Umgang mit Vielfalt lernen, wenn man sie im Alltag aufgrund fehlender Durchmischung nicht erlebt?“, fragt Burtscher-Mathis. Pro-aktiv lautet das Schlüsselwort, sind sich die beiden einig und schlagen das Schaffen von (Begegnungs)räumen vor, in denen dieser Prozess nachvollzogen und gemeinsam reflektiert werden kann.

Wo ist Heimat?
Dass Diskriminierung die Potentialentfaltung der Individuen zum Wohle von Gesellschaft und Wirtschaft verhindert, darin sind sich alle einig. Nicht nur die Experten auf der Tribüne, sondern auch die vier Stimmen der zweiten Generation, die sich zu ihnen gesellt haben. Renate Djukic, Sonja Donner, Fatma Keskin und Fathij Özçelik ergreifen an diesem Tag das letzte Wort. Sie alle haben ihre Wurzeln in der Türkei, in Kroatien oder Serbien und fühlen sich in Vorarlberg heimisch. Wie es ist, „Studienobjekt“ zu sein? „Es ist wichtig das zu belegen, was wir eigentlich schon wussten“, bestätigt Özçelik die Ergebnisse der TIES-Studie und fragt gleichzeitig, ob es auf politischer Ebene angekommen sei, dass „wir in Vorarlberg eine plurale Gesellschaft sind“. Denn „wir sind Vertreter einer Postintegration, wo es eher um Zugehörigkeit geht, als um Sprache“, hebt er die Bedeutung gemeinsamer Begegnungsräume hervor.

Was heißt „TIES“?

TIES ist ein Akronym und steht für „The Integration of the European Second-Generation“. Es ist ein internationales Forschungsprojekt zur Integration der zweiten Generation von Zugewanderten, an dem außer sieben anderen Ländern auch Österreich teilgenommen hat. Neben Wien und Linz hat sich Vorarlberg als ländliche Region beteiligt und so erstmalig einen Blick auf den Verlauf des Integrationsprozesses der ab den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts aus verschiedenen Ländern Zugewanderten ermöglicht.

Insgesamt 10.000 Personen - 750 davon in Vorarlberg - zwischen 18 und 35 Jahren wurden per Zufallsstichprobe in face-to-face Interviews befragt. Im Mittelpunkt von TIES steht dabei das Thema „Integration“, wobei sowohl die wirtschaftliche und soziale Situation als auch Bildung und Identität der zweiten Generation analysiert wurde. Die „zweite Generation“ umfasst dabei jenen Personenkreis, der im Einwanderungsland der Eltern geboren ist und dort seine gesamte Schulerziehung erhalten hat. Die länderübergreifende Studie ermöglicht nicht nur ein besseres Verständnis von Integrationsprozessen in Europa, sondern kann auch zur Entwicklung zielgerichteter Maßnahmen auf allen politischen Ebenen beitragen.

Mehr Informationen finden Sie unter:
www.okay-line.at/ties-papiere