P. Andreas Batlogg SJ erinnert an den großen Theologen und die Bedeutung seines Werkes. Rahners Todestag jährt sich am 30. März zum 25. Mal.

Er wird nicht nur genannt und zitiert. Er wird auch nach wie vor gelesen, und das freut nicht nur Buchhändler. Denn er geht vielen ab, die ihn noch persönlich erlebt haben: Mitbrüdern aus dem Jesuitenorden ebenso wie ehemaligen Mitarbeitern/innen oder Mitstreitern/innen, vor allem aber seiner „Fangemeinde“. Die Rede ist von Karl Rahner (1904-1984).

Dazu zählten auch Jugendliche in Wien-Lainz, wohin Pater Georg Sporschill SJ seinen väterlichen Freund immer wieder brachte, bevor es die „Blindengasse“ gab, das Jugendhaus der Caritas in Wien IX. Dort ist Karl Rahner, wenn er in Wien war, lieber abgestiegen als bei Jesuiten.

Nun ist er 25 Jahre tot – das ist bereits eine ganze Generation. Wer heute Theologie studiert, für den ist Karl Rahner „Geschichte“ – weit weg wie das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965). Es gibt den „Karl-Rahner-Platz“ in Innsbruck, der (autofreie) Platz vor der Jesuitenkirche – eine Briefadresse. An der Theologischen Fakultät wird Rahnerforschung betrieben – man beruft sich gern auf einen der herausragendsten Lehrer. Es gibt das (im Februar 2008 von Innsbruck nach München übersiedelte) Karl-Rahner-Archiv, das den wissenschaftlichen Nachlass aufbewahrt. Und es gibt die auf 32 Bände angelegte Edition seiner „Sämtlichen Werke“, deren Herausgeberkollektiv Qualitätsarbeit garantiert: 23 Bände sind bisher erschienen – das sind 15.273 Seiten „Lesestoff“.

Aber Karl Rahner lebt nicht nur in Büchern. Es sind auch Eindrücke, die er hinterlassen hat. Deswegen wird er nach wie vor vermisst: Der „zornige alte Mann“ aus den letzten Lebensjahren, der vieles in Kirche und Theologie kommentiert, der Partei ergriffen hat, wo andere sich nicht trauten. Vermisst wird der neugierige Pater Rahner, der wie ein Kind staunen – und fragen, fragen, fragen konnte. Vermisst wird der Prediger, der ohne rhetorische Kapriolen von Gott redete. Dass so wenig von Gott und so viel von Nebensächlichem geredet würde im Kirchen- und Theologiebetrieb, das beklagte er. Vermisst wird nicht zuletzt der Seelsorger, der kleine Geschenke machen konnte: Geld zustecken zum Beispiel oder Essenspakete organisieren, einfach weil er auch ein Auge für die Kleinen hatte. Auch das macht ihn groß!

Für manche Zeitgenossen war es sicher nicht immer einfach, von einem „Arbeitstier“ umgeben zu sein, einem vielfach gefragten Berater von Bischofskonferenzen und Konzilstheologen, der ein Riesengebirge an Artikeln und Büchern zu so gut wie allen Fragen hinterlassen hat, die damals den Menschen unter den Nägeln brannten – gerade nicht nur Fragen, die der Fragekanon der damaligen neuscholastischen Theologie vorsah, sondern Fragen des Lebens.

Am 5. März 1904 in Freiburg im Breisgau geboren, in Tisis bei Feldkirch (April 1922) in die damalige Oberdeutsche Provinz des Jesuitenordens eingetreten, lehrte Karl Rahner ab dem Wintersemester 1937/38 in Innsbruck Dogmatik und Dogmengeschichte. Bis die Nazis erst die Theologische Fakultät (Juli 1938), dann das Jesuitenkolleg (Oktober 1939) aufhoben und die Jesuiten in Tirol „Gauverbot“ erhielten. Er kam nach Wien, ins Seelsorge-Institut von Prälat Karl Rudolf. Von 1945 bis 1948 brachte er aus dem Krieg heimkehrenden Jesuiten in Pullach bei München Theologie bei. Dann erst kam er wieder in die Tiroler Landeshauptstadt zurück, nach fast zehnjähriger Unterbrechung. Sie wurde zur „Brutstätte“ seines theologischen Wirkens.

Theologieprofessor war Karl Rahner mit Leib und Seele: in Innsbruck zunächst, ab 1964 auf dem Romano-Guardini-Lehrstuhl in München, ab 1967 in Münster in Westfalen. Das Konzil, wissenschaftsorganisatorische Leistungen („Lexikon für Theologie und Kirche“, „Sacramentum Mundi“ usw.), die Würzburger Synode (1971/75) saugten ihn aus. Erschöpfungszustände nahmen zu und erzwangen kürzere und längere Klinik- und Sanatoriumsaufenthalte. Zum Achtziger wurde er noch groß gefeiert: in London, Budapest, Freiburg, Innsbruck. Dort ist Karl Rahner am 30. März 1984, keine vier Wochen nach Vollendung seines 80. Geburtstags, auch verstorben.

Ich war gerade für ein Freisemester in Israel. Neben mir saß ein Jesuit, als wir die Todesnachricht im Radio hörten. Er bekam feuchte Augen. Das werde ich nie vergessen. An Karl P. Andreas Batlogg SJRahner denken kann man nicht ohne innere Anteilnahme. Sie scheint kein Ablaufdatum zu haben. Das Interesse an Klassikern wie “Von der Not und dem Segen des Gebetes”, “Worte ins Schweigen” oder “Grundkurs des Glaubens” zeugt davon. Karl Rahner „konstruktiv weiterdenken“, ihn nicht nur papageienhaft nachbeten, ist das Gebot der Stunde. Erst recht, wenn und wo Theologie zu rasch auf Talkshow-Niveau ausweicht, um nur ja irgendwie „anzukommen“. Solche Anbiederung wäre Karl Rahner ein Graus gewesen. Er bleibt, weil er fehlt.
(von P. Andreas Batlogg SJ - Bild)

www.karl-rahner-archiv.de
www.stimmen-der-zeit.de

Buchtipp:

Buch_Begegnungen mit Karl RahnerBegegnung mit Karl Rahner

Wer immer in den Jahren nach dem 2. Vatikanischen Konzil - und bis dato - in irgendeiner Weise mit Fragen oder Antworten aus Theologie, Kirche, Spiritualität, Glauben, Hoffnung oder Liebe in Kontakt gerät, gerät immer auch ins Magnetfeld des Denkens von Karl Rahner. Das gilt beileibe nicht nur für Theologen/innen. Nein - auch und besonders für Menschen, denen Gott und das Glauben, der Glaube und die Kirche in ihrer katholischen Prägung und Weite irgendwie ins Gesichtsfeld kommen.
Andreas Batlogg SJ und Melvin Michalski, der in Innsbruck studiert und als Professor in Milwaukee/Wisconsin (USA) lehrt, haben 28 Interviews und Gespräche mit Mitarbeitern/innen, Studenten, Ordensbrüdern, Verwandten, Freunden und Bekannten Karl Rahners zu Lebzeiten in diesem Buch versammelt. Gleichzeitig auch ein kleiner „Who-is-Who“ der Theolgen der letzten Jahrzehnte. Vor allem aber: Viele, viele Einblicke und Einsichten in Persönlichkeit und Lebensweise eines der großen Theologen der Neuzeit. Spannende, amüsante, witzige und lehrreiche 308 Seiten, aber darüberhinaus eine phänomenale Belegesammlung dafür, dass der Kirche und den Katholiken im besonderen die Luft, der Atem (!) nicht so schnell ausgeht, wie manche meinen. (Walter Buder)

Begegnungen mit Karl Rahner. Weggefährten erinnern sich. Verlag Herder. ISBN 978-3-451-29096-1. 2008. (Herder Shop).

Kirchenblatt Nr. 13 vom 29. März 2009