Teil 3 von 7 der Fastenzeit-Serie "mehr oder weniger" mit Ordensleuten - diesmal mit Sr. Brigitte Thalhammer SDS.

Fasten-Logo Mehr oder weniger  Fastenserie 2014

„Wenn man von tiefen und freundschaftlichen Beziehungen spricht, dann geht es nur sparsam – denn jede Freundschaft braucht Aufmerksamkeit, Vertrauen, Interesse und Anteilnahme“, meint Schwester Brigitte Thalhammer.   

Sr. Brigitte Thalhammer SDSSr. Brigitte Thalhammer SDS
ist Provinzleiterin der Salvatorianerinnen in Wien Hietzing. Sie stammt aus Hallstatt und arbeitete nach Matura und Fremdenverkehrskolleg in einem Reisebüro. Mit 31 Jahren trat sie 1996 in den Orden der Salvatorianerinnen ein. Sie war Pastoralassistentin in der Linzer Dompfarre, 2005 feierte sie die Ewige Profess.
Der Salvatorianerinnen-Orden wurde 1888 in Rom gegründet, rund 1100 Schwestern gehören ihm heute in 29 Ländern an. Zur österreichischen Provinz gehören 100 Salvatorianerinnen aus Österreich, Deutschland, Südtirol, Ungarn, Polen und Indien. Sie leben in kleineren Gemeinschaften und wirken an verschiedensten Orten.

Interview: Matthäus Fellinger

Was sind Ihre wichtigen Beziehungen?
Sr. Brigitte Thalhammer: Ich bin froh, dass Sie nach den wichtigen Beziehungen fragen – und nicht nach der wichtigsten. Notgedrungen muss ich sie hier in eine Reihenfolge bringen – aber diese Beziehungen sind wie ein gemeinsam tragendes Fundament.
Je älter ich werde, um so wichtiger werden mir wieder die familiären Beziehungen. Ich nehme mehr und mehr wahr, wie mich diese Beziehungen geprägt haben – als Geschenk und als Herausforderung. Meine Mutter ist vor einem dreiviertel Jahr schwer erkrankt. Ich bin dankbar für meinen Bruder, der hier sehr viel trägt – ebenso für meine Schwester, die oft auf Besuch kommt. Ich selber versuche mir den Freiraum zu schaffen, sie doch immer wieder zu besuchen. Und nachdem ich selber keine Kinder habe, genieße ich meine Neffen und meine Nichte sehr.

Und außerhalb der Familie?
Sr. Brigitte: Sehr dankbar bin ich für gute Freunde und Freundinnen. Ich bin in meinem Leben öfter übersiedelt – und von jeder „Station“ gibt es aber doch ein, zwei Menschen, mit denen ich auch nach einer langen „Kommunikationspause“ gleich wieder anknüpfen und auf einer tiefen Ebene austauschen kann. Dazu gehört eine „Freundin“ der Familie, die als junges Mädchen auf uns Kinder aufgepasst hat. Eine Frau, die so gut Fragen stellen und sehr gut zuhören kann – und zugleich mit ihrem Humor so manches wieder in ein anderes Licht rückt. Oder eine andere Freundin. Zwei Tage mit ihr, reden, spazieren, gemeinsam beten. Das fühlt sich an wie eine Woche Urlaub.

Zum „Fundament“ gehören vermutlich auch die Mitschwestern im Orden.
Sr. Brigitte: Natürlich. Die Beziehungen in der Gemeinschaft, die mir mein Zuhause ist, sind mir wesentlich. Da finde ich Vertrautes, ob ich nun in Deutschland, in Rom oder in Brasilien auf Besuch bin. Da ist ein Grund­gefühl der Zugehörigkeit. Als Provinzleiterin ist es mir wichtig, dass ich auf alle Schwestern wertschätzend zugehen kann.
Gerade in dieser Funktion erlebe ich die Her­ausforderung, allen Mitschwester – und zugleich Leiterin zu sein. In der Gemeinschaft, in der ich zurzeit lebe und zu der auch drei Novizinnen gehören – insgesamt sind wir acht, fühle ich mich sehr wohl. Da kann ich gut sein und erfahre viel Unterstützung. Ich kann mich zeigen mit den Emotionen, mit Freude und mit Tränen – auch wenn ich oft nicht sagen kann, was mich gerade bewegt. Das ist Teil der Einsamkeit, die das Amt der Provinzleiterin mit sich bringt.

Wie gehen Sie mit dieser Einsamkeit um?
Sr. Brigitte: Da ist es für mich notwendig, Menschen zu haben, denen ich alles erzählen kann – meine geistliche Begleiterin, meine Stellvertreterin im Orden und eine Freundin, auf deren Diskretion ich mich absolut verlassen kann. Ja – und diese Einsamkeit verweist mich immer wieder auf Gott. Eine Teresa von Avila konnte sagen: „Solo Dios basta“ – Gott allein genügt. Das kann ich nicht. Ich brauche die Beziehungen, auch wenn ich weiß: Letztlich tragend ist meine Beziehung zu Gott. Täglich innezuhalten und hineinzuspüren in die Gegenwart Gottes – in mir und in dem, was geschieht, ist lebenswichtig. Wenn ich das länger nicht tue, dann bin ich wie abgeschnitten vom Leben – werde grantig und ärgerlich.

Wie viel Alleinsein braucht ein Mensch?
Sr. Brigitte: Ich denke, das ist sehr unterschiedlich. Grundsätzlich muss jeder Mensch allein sein können, um in Beziehung leben zu können. Sonst erwartet man sich alles Glück vom Partner oder von der Gemeinschaft. Das geht nicht. Das Alleinsein ermöglicht ein anderes Wahrnehmen dessen, was in und um uns vorgeht. Ich selber bin grundsätzlich eher ein geselliger Typ, spiele gern und bin gern in Gemeinschaft. Aber ich brauche auch meine ruhigen Abende und vor allem Zeiten der Stille – und sehe die jährlichen Exerzitien – zehn Tage Stille – als Privileg an.

Wir leben im Zeitalter der virtuellen Communities. Geht das mit dem Reich Gottes zusammen?
Sr. Brigitte: Je nachdem. Wenn beim Couchsurfing Gastfreundschaft gelebt wird – über Sprach-, Kultur- und Religionsgrenzen hinweg, ist das im Sinne des Reiches Gottes, wie ich es verstehe. Wenn über soziale Netzwerke Unrecht sichtbar gemacht wird und Proteste dagegen erfolgreich sind, dann wird hier Reich Gottes „gebaut“. Natürlich kann auch das Gegenteil geschehen – wenn Menschen nur mehr in der virtuellen Welt leben, wenn sie sich selber fremd werden, indem sie sich im Netz neue Identitäten zulegen.

Gibt es etwas wie Flucht in viele Beziehungen? Soll man in dieser Hinsicht sparsam sein?
Sr. Brigitte: Natürlich. Allerdings gibt es auch die Flucht von den Menschen weg – eben in die virtuelle Welt. Ich denke, es ist gut, um eigene Gefährdungen zu wissen – und even­tuell gegenzusteuern. Laufe ich von mir davon, indem ich mit ganz vielen Leuten in Kontakt bin und mir von dort Wertschätzung hole? Lebe ich von den „Freunden auf Facebook“? Muss ich ständig für andere „da“ sein? – Dann tut vielleicht ein „Weniger“ gut. Bin ich eher gefährdet, mich zurückzuziehen? Habe ich Angst vor Menschen, weil die mein Leben „stören“ könnten – oder weil ich glaube, dass ich nichts zu geben hätte? – Dann wäre ein wenig „Mehr“ eventuell hilfreich.
Wenn man von tiefen und freundschaftlichen Beziehungen spricht, dann geht es nur „sparsam“ – denn jede Freundschaft braucht Aufmerksamkeit, Vertrauen, Interesse und Anteilnahme – und das geht nur begrenzt.

Was bedeutet „unauflösliche“ Beziehung?
Sr. Brigitte: Ein schwieriges Kapitel. Im „Kleinen Prinzen“ heißt es: „Du bist dein Leben lang verantwortlich für das, was du dir vertraut gemacht hast.“ In intimen, vertrauten Beziehungen ist man sich „vertraut“ geworden – haben sich Menschen einander anvertraut und dabei oft auch verletzlich gemacht. In einer tiefen Beziehung lassen sich Menschen aufeinander ein – und wenn dann ein Teil sagt: Ich gehe, ich verlasse dich – dann ist Verlässlichkeit in Frage gestellt und Ver­trauen erschüttert. Meine Mutter hat mir einmal gesagt: „Weißt du, schön ist das gemeinsame Altwerden.“ Meine Eltern hatten durchaus konfliktreiche und schwierige Zeiten – aber sie konnten dann auf diese Zeiten zurückschauen – darauf, dass sie sich im Bestehen dieser Herausforderungen näher gekommen sind – und schließlich mehr und mehr mit­einander verbunden waren.

„Scheidung“ gibt es auch im Ordensleben.
Sr. Brigitte: Ja. Wenn eine Schwester mit Ewiger Profess austritt, dann tut das etwas mit der ganzen Gemeinschaft. Sie hatte für ihr ganzes Leben die Nachfolge Jesu in der ganz konkreten Gemeinschaft versprochen. Wenn sie geht, hinterlässt sie ein Loch. Auch da geht eine Verlässlichkeit verloren und die Frage stellt sich neu: Kann ein Mensch sich wirklich für sein ganzes Leben binden? Und das ist sehr schade. Denn das Versprechen für mein ganzes Leben meint mich eben ganz und gar, gibt meinem Leben Form und Tiefgang – und letztlich sehr große Freiheit.

Übung

Ich lade Sie ein, sich Zeit zu nehmen für eine der folgenden Fragen bzw. Übungen:

Welche Beziehungen stärken und nähren mich? Wie viel Zeit habe ich für diese Beziehungen? Zu wichtigen Menschen? Zu Gott?

Verschaffen Sie sich Zeit – z. B. durch „Facebook-Fasten“ – um sich im wirklichen Leben mit jemandem zu treffen; oder einen handgeschriebenen Brief zu schicken.

Es hilft vielleicht, sich selbst am Ende des Lebens vorzustellen – mit der Frage: Welche Menschen haben im Laufe meines Lebens eine wichtige Rolle gespielt? Mit wem möchte ich Zeit verbracht haben? Wem bin ich von Herzen dankbar? Wo es schwierig war: Mit wem möchte ich innerlich Frieden schließen? Von wem brauche ich mehr Abstand?