Von den Machthabern war Jesus zum Tod verurteilt worden. Die ersten Christen kamen jedoch zum Glauben, dass Gott ihn auferweckt hat. Von seinem Geist erfüllt verkündeten sie, Jesus sei Herr und Anführer des Lebens. Sie fanden damit Beachtung und Annahme, stießen aber auch auf Unverständnis und Ablehnung. – Besonders erbittert widersprach ihnen ein junger Mann aus Tarsus in Kilikien.

Bild: Starkes Licht blendet. Das kann aber auch zu neuen Einsichten führen.

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Zauber des Anfangs
Impulse aus dem Neuen Testament

Teil 4 von 6

von Dr. Christoph Niemand

Das „Damaskus-Erlebnis“ des Paulus war ein Ereignis von welthistorischem Rang: Die Einsicht, die er damals gewann, behielt er nicht für sich. Er wurde zum „Apostel der Völker“. Mit unermüdlichem Einsatz schuf er ein internationales Netzwerk von christlichen Gemeinden. Die Briefe, die er ihnen zur Vertiefung und Stabilisierung schrieb – eigentlich diktierte –, prägen mit ihren paradoxen Sprachbildern und berührenden Gedankenfolgen bis heute weltweit den religiösen und intellektuellen Stil der christlichen und post-christlichen Kulturen. Aber was geschah damals eigentlich?

Verblendung und Einsicht
Für die Apostelgeschichte ist die Lebenswende des Christus-Hassers und Christen-Verfolgers Paulus ein so entscheidendes Ereignis, dass sie davon nicht weniger als dreimal erzählt (9,1-22; 22,3–16; 26,4–20): Licht habe ihn vom Himmel her umstrahlt. Er fiel zu Boden und hörte eine Stimme: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ Als er wieder auf die Beine kam und die Augen öffnete, konnte er überhaupt nichts mehr sehen. Seine Begleiter mussten ihn an den Händen in die Stadt führen. Ein dort ansässiger Christ suchte ihn auf und legte ihm die Hände auf. Da fiel es Paulus „wie Schuppen von den Augen“. Er konnte „wieder sehen“ – wörtlich: anablépein, aufblicken. Er empfing die Taufe und ging in die Synagoge: Allerdings nicht, um dort Christen zu bedrohen, sondern um zu bezeugen, was ihm jetzt „klar geworden“ war: Jesus, der Gekreuzigte, ist keineswegs ein verfluchter Gottlästerer. Gott hat ihn als seinen Sohn und Gesalbten bestätigt. – Die Quintessenz der Erzählung: Ein von Hass verblendeter Mensch gerät in hellen Lichtschein. Er wird zunächst tatsächlich blind, dann aber beginnt er zu sehen.

Ent-decken und Erkennen
In seinen Briefen spricht Paulus auch selbst von der Erfahrung, die sein Leben umgedreht hat. Dabei ist er aber sehr zurückhaltend: Er erzählt keine äußeren Ereignisse. Und seine damaligen Gefühlsempfindungen bleiben Privatsache. Er benennt nur das Ergebnis. Und man hat den Eindruck, dass er ganz froh ist, für diesen so intimen Moment sachlich-nüchterne Worte aus der theologischen Fachsprache verwenden zu können: Offenbarung und Erkenntnis. Im Galaterbrief (2,15–16) sagt er, dass ...

„... es Gott gefiel, der mich schon im Mutterleib auserwählt und durch
seine Gnade berufen hat, in mir seinen Sohn zu offenbaren …“

Das griechische Wort für „offenbaren“ – apokalýptein – bedeutet eigentlich „ent-decken“, „die Verhüllung wegnehmen“. Paulus hatte auf dem Weg nach Damaskus keine neue Sachinformation über Jesus bekommen. Das, was er schon vorher kannte, das Christus-Bekenntnis der Gläubigen, hatte aber aufgehört, von seinem wütenden Widerspruch zugedeckt zu sein. Nun lag es offen vor ihm da und konnte seine innere Stimmigkeit und Plausibilität zeigen. – Im Philipperbrief (3,7–8) sagt er im Rückblick auf seine Lebenswende, dass das, worauf er zuvor im Leben setzte, ...

„… alles Verlust ist, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles überragt.“

Schon vorher hatte er über das Evangelium Bescheid gewusst. Jetzt aber hat es ihm eingeleuchtet, war evident geworden. Er war zur Erkenntnis (griechisch gnôsis) gekommen, dass kein anderer als Jesus, der auferweckte Gekreuzigte, der Gesalbte Gottes ist. Und er hat sich ihm als dem Herrn seines künftigen Lebens unterstellt.

Gottes Herrlichkeit auf Jesu Antlitz
An zwei Stellen im zweiten Korintherbrief (3,18; 4,6) zeigt Paulus allerdings schon Emotion. Sie kommt hoch, weil er hier zeigen muss, wie es zuging, dass gerade er zum Verkünder Jesu Christi wurde. Wie in der Apostelgeschichte ist auch hier von einem verblendeten Herzen, von Ent-hüllung und von Gottes Lichtglanz die Rede:

„Wir alle aber schauen mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel und werden so in sein eigenes Bild verwandelt …“
„Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit aufstrahlt die Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi.“

Jesus Christus, das Bild Gottes, anschauen und werden wie er: Geht das? Ihm zuschauen, wie er Aussätzige berührt, Niedergedrückte aufrichtet, Arme selig preist und Reiche zurechtweist; und wie er nicht davonläuft, wenn es eng wird. Ihm zuschauen – und auf seinem Gesicht Gottes Herrlichkeit sehen.

Impulse

Die Urgemeinde hatte ziemliche Probleme damit, den unerwarteten Neuzugang Paulus zu integrieren. Und er hat es „denen, die vor ihm Apostel waren“ (vgl. Gal 1,17) sicher auch nicht immer leicht gemacht. – Stellen wir uns vor: Da kommen endlich einmal wirklich „neue Leute“ in unsere Pfarre, Menschen mit anderem Hintergrund, anderem Stil und „Stallgeruch“ als wir „Altgediente“. Haben die überhaupt eine Chance anzukommen?

Nach der neuen Einheitsübersetzung von 2 Kor 3,18 – die alte hatte eine andere, weniger geeignete Übersetzung – bezeichnet Paulus Christus als das Spiegelbild Gottes. Und wer ihn anschaut und betrachtet, wird selbst zu Jesu Bild-Gottes-Sein hinzu-gestaltet: ein erregender Gedanke zum Meditieren!

Dr. Christoph NiemandDr. Christoph Niemand
ist Universitätsprofessor der neutestamentlichen Bibelwissenschaft
an der Katholischen Privat-Universität Linz.
Zu seinen Veröffentlichungen zählt das Buch
„Jesus und sein Weg zum Kreuz“.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 42 vom 19. Oktober 2017)