Allerheiligen wollen sich die Menschen nicht nehmen lassen. Mit gutem Grund, denn gerade an den Gräbern lässt sich Ermutigung für das Leben schöpfen.

Matthäus Fellinger

„Denk an deinen Schöpfer in deinen frühen Jahren, ehe die Tage der Krankheit kommen und die Jahre dich erreichen, von denen du sagen wirst: Ich mag sie nicht!“ So mahnt der alttestamentliche „Prediger“ Kohelet (Kohelet 12,1).

Am Ende der ungeliebten Jahre steht das Sterben. Auf 76.479 Gräbern in Österreich steht die Jahreszahl 2011 geschrieben. Herz und Kreislauf haben nicht mehr mitgemacht. Das ist die häufigste Todesursache in Österreich – mit 32.374 Verstorbenen liegt sie weit über der Zahl der  Krebs-Toten: 19.992 Menschen sind in Österreich an dieser so gefürchteten Krankheit im letzten Jahr gestorben – nach all den Leiden, die damit verbunden sind.
1.286-mal erreichte Angehörige oder Freunde die Nachricht: Jemand aus ihrem Kreis hat sich das Leben genommen. Mit einem Schlag ist alles anders. Dreimal so viele Männer waren es als Frauen. Und 523 Menschen starben im Jahr 2011 bei Verkehrsunfällen. Da tröstet es nicht, wenn es heißt: Es waren noch nie so wenige, seit Statistik geführt wird – seit 1961. Doch was vermögen Zahlen schon zu sagen? Jedes Leben ist einmalig, jedes Sterben auch. Warum gerade er? Warum gerade sie?

Die „Kunst des Sterbens“
Das Sterben ist nicht wegzuschieben aus dem Leben. Der eigenen Sterblichkeit offen zu begegnen kann helfen, das Leben selbst besser anzunehmen und besser damit zurechtzukommen. Die christliche Tradition kennt die „Kunst des Sterbens“. „Ars Moriendi“ nannte man sie lateinisch im Mittelalter.
Auch wenn der Tod unerbittlich ist, so hat der Mensch doch Gestaltungsmöglichkeiten, wie er seinem Tod entgegenlebt, meint der Moraltheologe Michael Rosenberger (siehe rechts). Er kann Wünsche festlegen, was sein Sterben betrifft, er kann eine Haltung einüben, die ihn in der letzten Stunde prägen und tragen kann. „Auch ein plötzlich sterbender Mensch kann sehr wohl vorbereitet sein“, meint Rosenberger. Die „Ars Moriendi“ soll dem Menschen helfen, bereit zu werden für die letzte Stunde. Da geht es nicht nur darum, für das Jenseits besser gerüstet zu sein. Die „Ars Moriendi“ kann wesentliche Impulse geben, damit das Diesseits gut gelingt.

Allerheiligen und Allerseelen
Allerheiligen zählt mit dem Palmsonntag zu den Festen mit dem größten Kirchenbesuch. Dabei ist Allerheiligen ein Fest der Lebenden – aller Heiligen nämlich, und das sind in diesem Sinne alle Getauften. Die ganze Kirchengemeinschaft versammelt sich hier gewissermaßen, über die Zeiten hin. Und auch die Verstorbenen werden an diesen Tagen in die Mitte genommen. Die festliche Gestaltung der Gottesdienste, das Segnen der Gräber, das Zusammenstehen und Beten am Grab bei den Angehörigen, das gehört so auch zu jener „Kunst“, Sterben zu üben. Es erinnert daran, dass den Lebenden derselbe Weg bevorsteht, den die Verstorbenen gegangen sind. Es ist gut, das eigene Leben im Spiegel der Gräber zu betrachten.
An den Gräbern treten die „Todesursachen“ zurück. Es ist nicht mehr so wichtig, unter welchen Umständen jemand gestorben ist, auch nicht, wie alt ein Mensch geworden ist. Jetzt zählt, was dieser Mensch anderen bedeutet hat – und jetzt noch bedeutet.
So schöpfen Menschen gerade an Gräbern Gründe und Ermutigungen für das eigene Leben – wie man es besser gestalten und mit Sinn füllen kann. Es soll nicht hohl bleiben, das Leben. Die Hülle ist es, die stirbt.

Leben vor Geschäft

Und dass es den Menschen gerade um die Inhalte des Allerheiligenfestes ernst ist, zeigt die Tatsache, dass dieses Fest – einmal vom Schmücken der Gräber abgesehen – nicht der Geschäftemacherei anheim gefallen ist, wie dies bei Weihnachten und – zunehmend – bei Ostern der Fall ist. Auch der zwischenzeitlich einsetzende Boom um Halloween ist wieder verebbt. Gerade zu Allerheiligen geht es nicht um Geschäftserfolge – da geht es um das Leben. Und wohl deshalb wollen sich viele Menschen dieses Fest nicht nehmen lassen – ob sie nun „fromm“ sind oder nicht.

Impulse

Der Tod als Freund

Den Tod „freundschaftlich“ anzunehmen – dazu regt die mittelalterliche Lehre von der „Kunst des Sterbens“ (Ars Moriendi) an. Für den Linzer Moraltheologen Michael Rosenberger lassen sich daraus Impulse schöpfen, wie das diesseitige Leben gut gelebt werden kann. Das Wissen: „Ich bin aus Erde genommen und kehre zur Erde zurück“, lässt demütig werden und regt zu ­einem maßvollen Leben an. Die „Ars Moriendi“ stärkt die Versöhnungsbereitschaft – auch mit dem eigenen Leben und seinen Unvollkommheiten. Vier Impulse gibt Michael Rosenberger:

Der Stundenschlag
Ein bewusstes Innehalten beim Glocken- oder Stundenschlag erinnert beständig an die Kostbarkeit der Zeit und des Lebens. Dabei geht es nicht um den „Nutzwert“ der Zeit, dass man sie wirtschaftlich bestmöglich nutzt, sondern um den spirituellen Gehalt: Die Uhr gibt ein Signal für die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit.

Die Rückschau auf den Tag
Die Rückschau auf den Tag, verbunden mit dem Gebet um eine ruhige Nacht und ein „seliges Ende“, fördern eine „liebende Aufmerksamkeit“ für das eigene Leben und Erleben.

Entscheiden
Bei wichtigen Entscheidungen hilft es, die Entscheidungsmöglichkeiten aus dem Blickwinkel der Sterblichkeit abzuwägen: Wie möchte ich diese Entscheidung  aus der Perspektive meines Lebensendes getroffen haben?

Geistliches Testament
In regelmäßigen Abständen niederzuschreiben, was man als die geistlichen Schätze im Leben empfindet und was man an Erfahrungen und Erkenntnissen gesammelt hat, hilft, sein Leben in einem anderen Licht zu sehen – und kann später ein großer Schatz für Hinterbliebene sein.