Im Sterben geht es um Leben und Tod, ums Ganze. Im Umgang mit Sterbenden lernen wir deshalb fürs Leben. Von dieser Erfahrung erzählt Karl Bitschnau, Leiter der Hospiz Vorarlberg, im KirchenBlatt-Gespräch.

Patricia Begle

Herr Bitschnau, Sie haben ­jahrzehntelange ­Erfahrung mit Sterbenden, wie verläuft ein ­Sterbeprozess?
Je länger ich damit zu tun habe, umso weniger kann ich das sagen. Es gab Zeiten, da habe ich mich an das Modell von Elisabeth Kübler-Ross geklammert, das Phasen vom Nicht-wahrhaben-Wollen bis zum Versöhnt-Sterben beinhaltet. Das sind idealtypische Annäherungen, die ich selten so idealtypisch erlebt habe. Eine Idealisierung des Sterbens bringt manchmal auch Sterbende unter Druck, etwas leisten zu müssen. Dazu fehlt aber oft die Kraft.
Sterben geht auf hunderte Arten, es gibt unterschiedlichste Sterbeverläufe. Was die letzte Lebensphase ist, lässt sich oft erst im Nachhinein feststellen.

Können wir sterben lernen?
Die Gewissheit des Sterbens - wenn wir diesen Gedanken zulassen - führt dazu, dass wir uns bewusster mit dem Leben auseinandersetzen. Was will ich vom Leben? Was bin ich bereit, hineinzugeben? Was will ich verwirklichen? Welche Spuren will ich hinterlassen? Hilfreich ist sicher auch die Bereitschaft, sich zu öffnen für das Neue, das da kommt, wenn das Leben uns in den nächsten Raum schickt.

Was haben Sie von Sterbenden gelernt?
Sterben ist Teil des Lebens und leben ist Teil des Sterbens. Das ist die Botschaft, die ich von Sterbenden mitgenommen habe. Sie sind Lebende. Und das vergisst man manchmal. Sterben ist ein Lebensprozess. Er passiert, wenn wir mit einer Wahrheit konfrontiert werden, die eine totale Zäsur in unser Leben bringt. Das kann in einer Trauersituation sein oder wenn die Firma zusperrt.

Welche Rolle spielen hier Hospiz-Begleiter/innen?
Sie sind da, gehen diese Wegstrecke mit, kommen in Austausch, sind Resonanzfläche für Sorgen und Ängste oder was immer die Begleiteten beschäftigt. Sie bringen ein Stück Normalität mit und vor allem Sicherheit und Stabilität - in einer Situation, die für alle Beteiligten eine Ausnahmesituation ist. Manche Menschen haben die Befürchtung, dass sie jetzt über das Sterben reden müssen. Das kann, aber muss nicht sein. Allerdings wird das Thema sichtbar und bewusster.

Worin liegt denn die Aufgabe einer Gesellschaft, wenn es ums Sterben geht?
Einmal geht es darum, den Tod zurückzuholen in die Gesellschaft - nicht als Bedrohung sondern als eine Facette, die das Leben ausmacht. „Was stirbt, ist lebendig“, habe ich einmal gelesen. Und dann geht es um Solidarität, um die Botschaft: „Es ist selbstverständlich, dass wir dich in dieser Situation nicht im Stich lassen. Du kannst mit uns rechnen - mit uns als Gesellschaft.“ Diese Haltung zeichnet für mich eine sorgende Gesellschaft aus, in der die Starken die Schwachen tragen. Das „ent-ängstigt“. Ich muss mir keine Sorgen machen, dass ich einmal ganz allein bin oder eine Last für andere. Die Hospiz-Begleiter/innen, die Palliativstation in Hohenems, das mobile Palliativteam und das geplante Stationäre Hospiz in Bregenz - das sind Signale in diese Richtung.

ZUR SACHE

Im Fokus von Hospiz Vorarlberg liegen schwer erkrankte, sterbende und trauernde Menschen. Die Dienstleistungen sind dabei breit gefächert: von der persönlichen Begleitung und Beratung, über unterstützende Leistungen für die primären Betreuer und Angehörige, Trauercafés und Trauertreffs bis zu Informations- und Öffentlichkeitsarbeit. In Zukunft wird auch ein Stationäres Hospiz das Angebot ergänzen.

Der Jahresbericht 2015 spricht mit folgenden Zahlen:

Hospizteams:
212 Menschen, davon 85% Frauen, sind ehrenamtlich bei Hospiz Vorarlberg tätig und leisteten 33.071 Einsatzstunden.
1063 Einzelbegleitungen wurden gezählt, zusammen mit den Angehörigen ergibt das rund 4.600 Personen, die begleitet wurden.
21% der begleiteten Menschen waren über 91 Jahre alt, 57% zwischen 71 und 90 Jahren.
32% der Einsätze fanden in einem Pflegeheim statt, bei 42% erfolgte die Kontaktaufnahme durch ein Krankenhaus, knapp ein Fünftel wurde zuhause begleitet.

HOKI:
60-mal waren die Hospizbegleiter/innen für Kinder (HOKI) im Einsatz, sie leisteten dabei 1.015 Einsatzstunden.

Trauercafés:
314 Menschen fanden Halt in den Trauercafés in Bludenz, Feldkirch, Rankweil, Dornbirn, Lochau und Riezlern.

Mobiles Palliativteam:
317 Patient/innen wurden in 819 Einsätzen vom Mobilen Palliativteam betreut. Dieses unterstützt vor allem die Arbeit von Hausärzt/innen sowie Betreuenden in Pflegeheimen und in der Hauskrankenpflege.

Ausbildung:
In zwei Befähigungskursen, die 99 Unterrichtseinheiten und 40 Stunden Praktikum umfassen, wurden 23 neue Begleiter/innen ausgebildet.

www.hospiz-vorarlberg.at

(aus dem KirchenBlatt Nr. 22 vom 2. Juni 2016)