Fensterfüllend blicken sie vom Frauenmuseum Hittisau auf die ankommenden BesucherInnen herab und machen mit ihrem offenen Blick und dem kritischen Gesichtsausdruck neugierig. Neugierig zu erfahren, wer sie sind, warum sie bekannt sind und was sie geleistet haben, um als eine von „sechzig starken Frauen“ in der Ausstellung „Europäerinnen“ portraitiert zu sein. Zwei starke Frauen stehen auch hinter der Ausstellung: die Fotografin Bettina Flitner und die Auotrin Alice Schwarzer.

Simone Rinner

Alle sind sie da: berühmte Künstlerinnen, Schriftstellerinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen und Aktivistinnen aus ganz Europa. Alle? Nein, sicher nicht, denn zum einen ist die Ausstellung schon ein paar Jahre alt und zum anderen wird es vielleicht nie gelingen, die große Zahl aller starken Frauen Europas darin zu vereinen. Die deutsche Fotografin Bettina Flitner hat vor über zehn Jahren aber den Anfang gewagt: Die Ausstellung ist eigenen Angaben zufolge das Ergebnis einer breit gefächerten, objektiven Recherche und ihres subjektiven Zugriffs. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber auf jeden Fall beeindruckend.

Wer ist das? Wenn man durch die Ausstellung „Europäerinnen“ geht, wird eines schnell klar: nicht jedes Gesicht der großen schwarz-weiß Portraits ist auf Anhieb bekannt. Oftmals hilft nur ein Blick auf den Holzfußboden um sie verorten zu können. „22 Letizia Battaglia, Fotografin, Italien“ steht dort beispielsweise zu lesen. Doch erst der Ausstellungsbegleiter bzw. eine der Kunstvermittlerinnen wie Marion Maier eröffnet einem die ganze Geschichte hinter der Frau. Wie die von Letizia Battaglia, die mit rund 12.000 Bildern über das weltweit größte Fotoarchiv über die Mafia und ihrer Opfer verfügt.

Kein Foto. Anstoß für das Projekt „Europäerinnen“ gab allerdings eine ganz andere Frau: Christiane Nüsslein-Volhard. Flitner sollte damals - 1995 - für die Zeitschrift Emma über die Biologin, Direktorin des Tübinger Max-Planck-Institutes für Entwicklungsbiologie und zukünftige Nobelpreisträgerin schreiben. Allein: es gab kein Foto. Und weil viele wichtige Frauen dieses Schicksal teilten, begann Flitner Länder Europas anzuschreiben mit der Bitte, Frauen zu nennen, die Herausragendes geleistet haben.

Eine Flut von Faxen, E-Mails und Anrufen war die Antwort. Unzählige Recherchen später begann 2001 Flitners große Reise durch Europa, bei der sie die Frauen nicht nur fotografierte, sondern sich auch mit ihnen und ihrer Arbeit befasste. Das Resultat: Fotos von 60 Frauen bei der Arbeit, privat und immer auch ein schwarz-weiß Portrait, bei denen es nicht um Schönheit, sondern um die Frau selber geht. Und diese sind so unterschiedlich wie ihre Tätigkeitsfelder. Da hängt die Sterneköchin und einzige Gewinnerin des „Bocuse d´Or“ Léa Linster neben der bekannten Alice Schwarzer oder der bereits verstorbenen Simone de Beauvoir. An der Wand ist die Olivenbäuerin Teresa Cordopatri dei Capece zu sehen, die ihr Leben lang schon gegen die Mafia kämpft und bereits einige Mafiosi hinter Gitter gebracht hat. Ihre Ländereien wurden niedergebrannt, ein ganzes Dorf meidet sie aus Angst vor der Mafia, 27 Tage stand sie im Hungerstreik und bis heute hat sie 11 Attentate überlebt.

Unter Todesangst. Auch die Menschenrechtsaktivistin Ayaan Hirsi Ali muss unter strengster Bewachung leben, weil sie sich gegen die Beschneidung von Frauen und Kindern einsetzt und den Islam öffentlich als frauenfeindliche Religion bezeichnet. Die Österreicherin Miep Gies hat während der Zeit des Nationalsozialismus unter Einsatz ihres Lebens das Tagebuch von Anne Frank gerettet, und die Staatsanwältin Ilda Boccassini vertritt die Anklage im Verfahren gegen Silvio Berlusconi. Die Französin Claudie Haigneré steuert als erste Frau eine Sojus-Kapsel auf dem Rückflug aus dem All, Olga Neuwirth ist mit ihrer „Katastrophenmusik“ die erfolgreichste Avantgarde-Komponistin in Europa, und die Unternehmerin Anita Roddick gründete die Body-Shop-Kette mit 2.800 Läden in 65 Ländern, mit der sie sich für Umweltschutz und Menschenrechte einsetzte. Die Malerin und Schriftstellerin Ceija Stojka hat drei Konzentrationslager überlebt. Die Liste ließe sich noch schier ewig weiterführen, deshalb sei nur eines gesagt: Überzeugen Sie sich selber. Der Weg nach Hittisau lohnt sich.

Fortsetzung erwünscht!?
Viele der Europäerinnen, die in der Ausstellung portraitiert sind, leben versteckt, aus Angst um ihr Leben. Die Aufnahmen konnten deshalb oft nur unter hohen Sicherheitsvorkehrungen gemacht werden. Drei Jahre wendete die Fotografin für das Projekt auf, dennoch fehlen viele wichtige Frauen.

Nachgereicht? „Wir fordern unsere Besucher/innen immer auf, die fehlenden Namen auf einer Tafel festzuhalten“, erklärt die Kulturvermittlerin Marion Maier, die durch die Ausstellung führt. So kommen immer mehr Frauen und ihre Geschichten zusammen. Ob die Ausstellung einmal erweitert wird? Eher nicht. Aber vielleicht gibt es irgendwann eine neue: Starke Frauen weltweit.

Europäerinnen. Starke Frauen im Portrait. Fotoprojekt von Bettina Flitner mit Texten von Alice Schwarzer. Die Ausstellung ist noch bis zum 27. Oktober zu sehen. Öffnungszeiten: Do 15 - 18 Uhr; Fr, Sa und So 10 - 12 und 14 - 17 Uhr. Eintritt: € 5,- / € 8,- inkl. Führung

www.frauenmuseum.at

 

Der Artikel erschien im KirchenBlatt vom 8./15. August 2013.