Die Kraft des Gebetes dringt durch die Wolken, bis es Gehör findet bei Gott. So spricht die Bibel. Beten heißt jedoch nicht nur Worte finden, sondern auch: Jemandem zuhören, auf einen anderen hören, sich einem Anliegen aussetzen, sich davon unter Umständen sogar verwandeln lassen ... um dann selbst aktiv zu werden. Beten ist auch: Tun.

30. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C, 23. Oktober 2016
Wort zum Sonntag von Christine Bertl-Anker

Evangelium
Lukas  18, 9–14

Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte Jesus dieses Beispiel: Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger oder Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig. Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.

1. Lesung
Jesus Sirach  35, 15b–17. 20–22a

Er ist ja der Gott des Rechts, bei ihm gibt es keine Begünstigung. Er ist nicht parteiisch gegen den Armen, das Flehen des Bedrängten hört er. Er missachtet nicht das Schreien der Waise und der Witwe, die viel zu klagen hat. [...] Die Nöte des Unterdrückten nehmen ein Ende, das Schreien des Elenden verstummt. Das Flehen des Armen dringt durch die Wolken, es ruht nicht, bis es am Ziel ist. Es weicht nicht, bis Gott eingreift und Recht schafft als gerechter Richter.

2. Lesung
2 Timotheus  4, 6–8. 16–18

Denn ich werde nunmehr geopfert, und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe. Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten. Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit, den mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird, aber nicht nur mir, sondern allen, die sehnsüchtig auf sein Erscheinen warten. [...] Bei meiner ersten Verteidigung ist niemand für mich eingetreten; alle haben mich im Stich gelassen. Möge es ihnen nicht angerechnet werden. Aber der Herr stand mir zur Seite und gab mir Kraft, damit durch mich die Verkündigung vollendet wird und alle Heiden sie hören; und so wurde ich dem Rachen des Löwen entrissen. Der Herr wird mich allem Bösen entreißen, er wird mich retten und in sein himmlisches Reich führen. Ihm sei die Ehre in alle Ewigkeit. Amen.

WORT ZUM SONNTAG

Wort zum Sonntag Oktober 2016Christine Bertl-Anker
Theologin, Buchhändlerin, Mitarbeiterin der
Zeitschrift
„Dein Wort - Mein Weg“,
Mutter von sechs Kindern, Bregenz.
Die Autorin erreichen Sie unter

Beten ist ein „Tun“-Wort
Das Buch Jesus Sirach gehört zur griechischen Bibel und steht nicht im jüdischen Schriftkanon. Dennoch wird es in der rabbinischen Literatur häufig zitiert. Jesus Sirach ist ein Schriftgelehrter, dem es gelingt, in seinen Texten Weisheitsliebe mit Gesetzesliebe zu verbinden. Er spricht ein Kapitel in der jüdischen Tradition an, das heute genauso aktuell ist wie damals – nämlich: die Armen, Waisen und Witwen brauchen Unterstützung. Viel zu oft wird ihnen keine Gerechtigkeit zuteil. Viel zu oft werden sie, damals und heute, im Trubel des Geschäftemachens übersehen. Einen jedoch gibt es, der sie nicht übersieht – Gott, der Herr. Er hört das Klagen der Witwen und Waisen, er hört das Weinen und Schreien der Bedrängten, denn die Kraft des Gebetes in der Bedrängnis ist so groß, dass es durch die Wolken dringt und nicht eher ruht, bis es bei Gott ist. So spricht die Bibel.

Und was hat das mit uns heute zu tun? Den meisten von uns geht es gut. Wir haben zu essen, ein Dach über dem Kopf … und eine Reserve in der Sparkasse. Arme begegnen uns auf unseren Straßen täglich – mit bettelnden Händen und Lippen. Waise und Witwen sind nicht so gut zu erkennen, sie werden durch das soziale Netz gestützt, aber in ihnen ist viel Verlassenheit, Trauer und Angst vor der Zukunft. Und ihr Gebet? Es findet Gehör! Auch unser Gebet findet Gehör und es schickt uns gleichzeitig auf den Weg. Beten ist nicht nur Worte finden, beten ist hören, beten ist sich hinhalten und erfüllen lassen, damit wir einander schließlich helfend, tröstend und heilend beistehen können.

Zum Weiterdenken
Was könnte das für mich heißen? Heute bete ich mit den Händen!

Ich will den Herrn allezeit preisen;
immer sei sein Lob in meinem Mund.
Meine Seele rühme sich des Herrn;
die Armen sollen es hören und sich freuen.
Schreien die Gerechten, so hört sie der Herr;
er entreißt sie all ihren Ängsten.
Nahe ist der Herr den zerbrochenen Herzen,
er hilft denen auf, die zerknirscht sind.

Antwortpsalm, Aus Psalm 34

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(aus dem KirchenBlatt Nr. 42 vom 20. Oktober 2016)