30. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A, 26. Oktober 2014. Wort zum Sonntag von Martin Mayr.

So leicht ist das mit dem wichtigsten Gebot ... „Zu verstehen schon, zu leben nicht“, meint Zefinha, die Kleinbäuerin mit beiden Beinen auf dem Boden. „Wie kannst Du Gott lieben, den Du nicht siehst, wenn Du den Bruder, den Du siehst, nicht liebst?“, fragt Schwester Rosa. „Also dreht sich alles um die Liebe zu den Mitmenschen. Versuchen können wir es; lernen vielleicht auch“, antwortet die vorsichtige Zefinha. „Darum spricht Jesus von Nachfolge“, schaltet sich Claudionor ein, „wir lernen von Jesus, wenn wir ihm nachgehen. Vom Nachschauen allein bleiben wir ratlos zurück.“ (aus einer brasilianischen Bibelrunde) 

Evangelium
Matthäus  22,34–40

Als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie (bei ihm) zusammen. Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn auf die Probe stellen und fragte ihn: Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste? Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.

1. Lesung
Exodus  22,20–26

Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen. Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen. Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören. Mein Zorn wird entbrennen, und ich werde euch mit dem Schwert umbringen, dass eure Frauen zu Witwen und eure Kinder zu Waisen werden. Leihst du einem aus meinem Volk, einem Armen, der neben dir wohnt, Geld, dann sollst du dich gegen ihn nicht wie ein Wucherer benehmen. Ihr sollt von ihm keinen Wucherzins fordern. Nimmst du von einem Mitbürger den Mantel zum Pfand, dann sollst du ihn bis zum Sonnenuntergang zurückgeben; denn es ist seine einzige Decke, der Mantel, mit dem er seinen bloßen Leib bedeckt. Worin soll er sonst schlafen? Wenn er zu mir schreit, höre ich es, denn ich habe Mitleid.

2. Lesung
1 Thessalonicher  1,5c–10

[...] ihr wisst selbst, wie wir bei euch aufgetreten sind, um euch zu gewinnen. Und ihr seid unserem Beispiel gefolgt und dem des Herrn, ihr habt das Wort trotz großer Bedrängnis mit der Freude aufgenommen, die der Heilige Geist gibt.
So wurdet ihr ein Vorbild für alle Gläubigen in Mazedonien und in Achaia. Von euch aus ist das Wort des Herrn aber nicht nur nach Mazedonien und Achaia gedrungen, sondern überall ist euer Glaube an Gott bekannt geworden, so dass wir darüber nichts mehr zu sagen brauchen. Denn man erzählt sich überall, welche Aufnahme wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn vom Himmel her zu erwarten, Jesus, den er von den Toten auferweckt hat und der uns dem kommenden Gericht Gottes entreißt. 

Wort zum Sonntag

Martin MayrMartin Mayr
Theologe und Diakon aus Windischgarsten, verheiratet, vier Kinder. Seit 1991 Entwicklungshelfer in Brasilien, koordiniert diözesane Entwicklungsarbeit in Barreiras.
Den Autor erreichen Sie unter
sonntag@kirchenzeitung.at

Weg. Wahrheit. Leben

„Unsere Religion ist so kompliziert“, meinte mein 2012 verstorbener Freund Hans Linsmaier,der in Wels und Umgebung Alteisen und Holzpaletten entsorgte, um Projekte gegen die Wassernot in der nordostbrasilianischen Diözese Ruy Barbosa zu finanzieren. Karl Rahner – einer, der viel und nicht immer einfach über unsere Religion schrieb – gibt ihm da recht: „Ist es nicht so, (…) daß die einzelnen dogmatischen Aussagen unseres Glaubens (…) viel zu weit auseinander liegen, daß wir gleichsam den Eindruck haben, in einer unendlich komplizierten Welt von Aussagen, Dogmen und Vorschriften zu leben? In Wirklichkeit aber ist es so: Gott ist Mensch – und darum ist die Gottesliebe Menschenliebe und umgekehrt.“

Gott und die Menschen zu lieben, das sei alles, sagt Jesus auf die Frage nach dem wichtigsten Gebot. So einfach ist das. „Zu verstehen schon, zu leben nicht“, meint da Zefinha in unserer Bibelrunde, eine Kleinbäuerin mit beiden Beinen auf dem Boden. „Wie kannst Du Gott lieben, den Du nicht siehst, wenn Du den Bruder, den Du siehst, nicht liebst?“, kommt Schwester Rosa die berühmte Frage aus dem ersten Johannesbrief in den Sinn. „Also dreht sich alles um die Liebe zu den Mitmenschen. Versuchen können wir es; lernen vielleicht auch“, antwortet die vorsichtige Zefinha. Claudionor schaltet sich ein: „Darum spricht Jesus von Nachfolge. Wir lernen von Jesus, wenn wir ihm nachgehen. Vom Nachschauen allein bleiben wir ratlos zurück.“ Nun geht es nicht mehr um Wissen und Können, nun geht es um den Weg. Gott lieben und den Nächsten wie sich selbst, einigen wir uns in der Bibelrunde, ist weniger eine Haltung als vielmehr eine Bewegung. „Caminhar“ – „den Weg gehen“ ist für uns Christen so bestimmend wie für Vögel das Fliegen, für Fische das Schwimmen. Es ist ein Weg, den das Licht unseres auferstandenen Bruders und Gottes ausleuchtet. Selbst wo wir meinen, im Dunkeln zu tappen: Hier ist es unsere Sehnsucht nach dem Licht des Auferstandenen, die uns am Weg der Wahrheit und der Liebe weiterführt.

Zum Weiterdenken
Lieben wir unser eigenes Gottesverständnis, oder lieben wir den lebendigen Gott? (J. B. Metz)

10envolvimento – den Weg Jesu gehen

,10envolvimento‘ – gesprochen ,desenvolvimento‘ – bedeutet Entwicklung. Gleichzeitig spielt das Wort auf die brasilianischen Schulnoten an, da ist eine 10 die beste Note.
Gute Entwicklungsarbeit zielt ab auf umfassende Wirkung hinsichtlich Armutsbekämpfung, Förderung der Demokratie und Umweltschutz; und das ist unser Anspruch bei 10envolvimento. Wir bringen uns ein in die demokratie-, sozial- und umweltpolitische Gestaltung der Region um Barreiras: mit Vorschlägen, Kritik, Bürger/innen-Beratung und Modellprojekten.
Dom Ricardo Weberberger, damaliger austro-brasilianischer Diözesanbischof von Barreiras, gründete 10envolvimento mit Unterstützung der österreichischen EZA-Organisation HORIZONT 3000.   

Martin Mayr