5. Fastensonntag - Lesejahr A, 6. April 2014. Wort zum Sonntag von Pfr. Franz Wöckinger.

Ein findiger Pfarrer war Jesus offenbar nicht. Sonst hätte er dem eben auferweckten Lazarus sicher mehrere Ehrenämter angeboten, damit er sich wenigstens eines aussuche. Nicht einmal als Apostel hat er ihn ausgeschickt. Er hat ihn nicht eingespannt. Dass Jesus den toten Lazarus ins Leben zurückruft, tut er nicht nur für Lazarus selbst. Es ist ein Zeichen für alle, die dieses Evangelium hören: „Denn ich will, dass ihr glaubt.“

Evangelium
Johannes  11,1–45

Ein Mann war krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf, in dem Maria und ihre Schwester Marta wohnten. Maria ist die, die den Herrn mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar abgetrocknet hat; deren Bruder Lazarus war krank. Daher sandten die Schwestern Jesus die Nachricht: Herr, dein Freund ist krank. Als Jesus das hörte, sagte er: Diese Krankheit wird nicht zum Tod führen, sondern dient der Verherrlichung Gottes: Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden. Denn Jesus liebte Marta, ihre Schwester und Lazarus. Als er hörte, dass Lazarus krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt. Danach sagte er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen. Die Jünger entgegneten ihm: Rabbi, eben noch wollten dich die Juden steinigen, und du gehst wieder dorthin? Jesus antwortete: Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht umhergeht, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist. So sprach er.

Dann sagte er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, schläft; aber ich gehe hin, um ihn aufzuwecken. Da sagten die Jünger zu ihm: Herr, wenn er schläft, dann wird er gesund werden. Jesus hatte aber von seinem Tod gesprochen, während sie meinten, er spreche von dem gewöhnlichen Schlaf. Darauf sagte ihnen Jesus unverhüllt: Lazarus ist gestorben. Und ich freue mich für euch, dass ich nicht dort war; denn ich will, dass ihr glaubt. Doch wir wollen zu ihm gehen. Da sagte Thomas, genannt Didymus – Zwilling –, zu den anderen Jüngern: Dann lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben.

Als Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen. Betanien war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt. Viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie wegen ihres Bruders zu trösten. Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus. Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.

Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag. Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das? Marta antwortete ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.

Nach diesen Worten ging sie weg, rief heimlich ihre Schwester Maria und sagte zu ihr: Der Meister ist da und lässt dich rufen. Als Maria das hörte, stand sie sofort auf und ging zu ihm. Denn Jesus war noch nicht in das Dorf gekommen; er war noch dort, wo ihn Marta getroffen hatte. Die Juden, die bei Maria im Haus waren und sie trösteten, sahen, dass sie plötzlich aufstand und hinausging. Da folgten sie ihr, weil sie meinten, sie gehe zum Grab, um dort zu weinen. Als Maria dorthin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen und sagte zu ihm: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren, war er im Innersten erregt und erschüttert. Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? Sie antworteten ihm: Herr, komm und sieh!

Da weinte Jesus. Die Juden sagten: Seht, wie lieb er ihn hatte! Einige aber sagten: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb? Da wurde Jesus wiederum innerlich erregt, und er ging zum Grab. Es war eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war. Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! Marta, die Schwester des Verstorbenen, entgegnete ihm: Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag. Jesus sagte zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?

Da nahmen sie den Stein weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herum steht, habe ich es gesagt; denn sie sollen glauben, dass du mich gesandt hast. Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden, und lasst ihn weggehen! Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn. 

WORT ZUM SONNTAG

Franz WöckingerFranz Wöckinger
ist Pfarrer in St. Georgen
an der Gusen, Oberösterreich.
Den Autor erreichen Sie unter
sonntag@kirchenzeitung.at

... und lasst ihn weggehen

Die Gelegenheit wäre günstig gewesen. Lazarus, eben erst von Jesus aus dem Grab ins Leben zurückgeholt, hätte sehr dankbar sein müssen. Ein fleißiger Pfarrer hätte diesen Moment genützt. Er hätte dem auferweckten Lazarus gleich mehrere Ehrenämter vorgeschlagen, damit dieser sich eines davon aussuchte. Einen derartigen Eifer lässt Jesus missen. Er hat Lazarus nicht eingespannt. Nicht einmal gefragt hat er ihn, ob er ihn nun als Apostel aussenden dürfe. Er hat nur zur herumstehenden Menge gesagt: „Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen!“
Unmittelbar bevor im Hohen Rat der Entschluss gefällt wird, Jesus zu töten, öffnet der Evangelist mit dem Bericht von der Auferweckung des Lazarus unseren Blick schon auf Ostern. Noch bevor Johannes vom Leiden und Sterben Jesu schreibt, schildert er schon, wie souverän Jesus dem Tod alle Macht wegnimmt.
Dass Jesus den bereits toten Lazarus ins Leben zurückruft, tut er nicht nur für Lazarus selbst. Er setzt dieses Zeichen vor allem für uns. Und er legt seine Absicht gleich offen auf den Tisch: „Denn ich will, dass ihr glaubt.“ „Glauben“ bedeutet im Johannesevangelium „vom Tod ins Leben hinübergehen“.

Zwei Einsichten locken mich zum Glauben:
Zum einen: Glaube ist zunächst nicht ein Festhalten an sicheren Wahrheiten, sondern eine lebendige Freundschaft mit Jesus. „Ich bin die Auferstehung und das Leben“, sagt er. Auferstehung ist dann nicht die Wiederbelebung eines Leichnams, sondern die Begegnung eines Menschen mit Jesus.
Zum anderen: Glaube schafft keine lähmende Abhängigkeit. Die Verbundenheit mit Jesus befreit und ermächtigt. „Lasst ihn weggehen!“, bittet er für seinen Freund Lazarus. Wem äußere Fesseln gelöst sind und wem innere Zwänge abgestreift werden, kann sich umso liebender und geduldiger auf andere einlassen und umso verbindlicher Gemeinschaft mittragen.

Zum Weiterdenken

„Glauben“ heißt im Sinne Jesu vielleicht noch treffender „Vertrauen“. Freier als wenn ich mich an etwas festhalte, glaube und vertraue ich, wenn ich mich auf jemanden verlasse. 

ganz liebe gewordener

mensch
lehrer
der vergessenen kunst des kindseins
gottestraumtänzer
über dem abgrund
aus nachtangst
deine worte wirken wunder und legen
unter den trümmern der lebensgeschichte
verschüttete sehnsucht frei
von heiliger unruhe
erfüllt
wanderer
über grenzen hinaus
zugleich bei
den kleinsten daheim
du glaubst nicht
an den tod
angstgräben näherst
du dich vertrauen
erweckend
was du berührst
wird zu leben