29. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) vom 16. Oktober 2011. Wort zum Sonntag von Dietram Stipsits.

Einen anderen erwarten sie, einen aus ihren eigenen Reihen. Aber es ist Kyros, der Perserkönig, der sich als Werkzeug Gottes erweist. Gott ist ein Gott, der „ent-grenzt“. Wenn es darum geht, Menschen von ihren Lebenslasten zu befreien – dann gilt Gottes Einladung, die eigenen subjektiven Grenzen zu erweitern und mutig zu handeln.

1. Lesung
Jesaja 45, 1. 4–6

So spricht der Herr zu Kyrus, seinem Gesalbten, den er an der rechten Hand gefasst hat, um ihm die Völker zu unterwerfen, um die Könige zu entwaffnen, um ihm die Türen zu öffnen und kein Tor verschlossen zu halten: [. . .] Um meines Knechtes Jakob willen, um Israels, meines Erwählten willen, habe ich dich bei deinem Namen gerufen; ich habe dir einen Ehrennamen gegeben, ohne dass du mich kanntest. Ich bin der Herr, und sonst niemand; außer mir gibt es keinen Gott. Ich habe dir den Gürtel angelegt, ohne dass du mich kanntest, damit man vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang erkennt, dass es außer mir keinen Gott gibt. Ich bin der Herr und sonst niemand.

2. Lesung
1 Thessalonicher 1, 1–5b

Paulus, Silvanus und Timotheus an die Gemeinde von Thessalonich, die in Gott, dem Vater, und in Jesus Christus, dem Herrn, ist: Gnade sei mit euch und Friede. Wir danken Gott für euch alle, sooft wir in unseren Gebeten an euch denken; unablässig erinnern wir uns vor Gott, unserem Vater, an das Werk eures Glaubens, an die Opferbereitschaft eurer Liebe und
an die Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus, unseren Herrn.
Wir wissen, von Gott geliebte Brüder, dass ihr erwählt seid. Denn wir haben euch das Evangelium nicht nur mit Worten verkündet, sondern auch mit Macht und dem Heiligen Geist und mit voller Gewissheit.

Evangelium
Matthäus 22, 15–21

Damals kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen. Sie veranlassten ihre Jünger, zusammen mit den Anhängern des Herodes zu ihm zu gehen und zu sagen: Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen; denn du siehst nicht auf die Person. Sag uns also: Ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen, oder nicht? Jesus aber erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum stellt ihr mir eine Falle? Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denar hin. Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten: Des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!

Wort zum Sonntag

Stipsits

 

Dietmar Stipsits
ist Pfarrer in Bad Tatzmannsdorf (seit Sept. 2003),  seit Sept. 2011 auch Pfarrer in Bernstein und Mariasdorf (insgesamt 3 Pfarren und 16 Filialgemeinden).
Den Autor erreichen Sie unter sonntag@kirchenzeitung.at

Ein Ungläubiger im Auftrag Gottes

Schon sehr spannend finde ich, was im 45. Kapitel bei Jesaja nachzulesen ist. Der Perserkönig Kyrus, ein Heide also, wird von Gott berufen, dem Volk Israel Rettung zu verschaffen. Die im Exil in Babylon lebenden Israeliten erwarteten sicherlich einen „Erwählten“ aus ihren eigenen Reihen, der ihnen die Freiheit und damit die Rückkehr in das Land Israel ermöglichen würde. Doch der Gott Israels findet ganz andere Wege dafür.
Der nicht an JHWH glaubende persische König Kyrus ist es, der die Israeliten aus der babylonischen Gefangenschaft zurückkehren lässt in ihr Heimatland und sich dafür einsetzt, dass der zerstörte Tempel in Jerusalem wieder neu aufgebaut wird. König Kyrus’ Anliegen ist es, dass die Völker in seinem Reich ihre vielfältigen Religionen ausüben und dabei im friedlichen Miteinander besorgt sind um das eigene Wohl und das der Nachbarn. In dieser Haltung des Königs Kyrus sah das Volk Israel einen Fingerzeig Gottes: Kyrus ist der „Messias“, der Gesalbte Gottes, das Mensch gewordene Heil der Israeliten.

Für mich wird hier ein Gott beschrieben, der durch Generationen hindurch tradierte religiöse Grenzen aufbricht; ein Gott, der sich nicht in gewohnten, fundamentalistischen Schablonen festlegen lässt. Vielmehr sagt Jesaja: Überall dort, wo sich Befreiung ereignet, wirkt Gott. Wo Menschen befreit werden von Unterdrü-ckung und Benachteiligung, von Depressionen und Ausweglosigkeit, dort ist Gott am Wirken – unabhängig davon, ob dabei von Menschen aufgestellte Religionsgebote und -verbote
eingehalten werden oder nicht.
Gott ist ein Gott, der ,ent-grenzt‘ und uns einlädt, unsere subjektiven Grenzen zu erweitern, wenn es darum geht, Menschen von Lebenslasten zu befreien – ohne dabei auf „gläubig“ oder „ungläubig“ zu achten. Ist Jesaja nicht höchst aktuell mit seiner Botschaft für die derzeitige Situation in unserer Kirche?

Zum Weiterdenken
Erleben Menschen in meiner Lebensumwelt durch mich Befreiung?