Eine Gemeinschaft, in der keiner Fragen stellt, niemand Zweifel laut ausspricht und alle scheinbar einer Meinung sind – klingt doch verdächtig nach Grabesruhe. Es braucht Menschen wie den Thomas. Menschen, die kritisch hinterfragen. Menschen, die Verletzungen sehen können oder, wenn nötig, auch den Finger auf die Wunde legen.

2. Sonntag der Osterzeit / Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit – Lesejahr C, 3. April 2016
Wort zum Sonntag von Pfr. Erich Baldauf

Evangelium
Johannes  20,19–31

Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert. 
Thomas, genannt Didymus (Zwilling), einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.

Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder versammelt, und Thomas war dabei. Die Türen waren verschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus – hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.

1. Lesung
Apostelgeschichte  5,12–16

Durch die Hände der Apostel geschahen viele Zeichen und Wunder im Volk. Alle kamen einmütig in der Halle Salomos zusammen. Von den Übrigen wagte niemand, sich ihnen anzuschließen; aber das Volk schätzte sie hoch. Immer mehr wurden im Glauben zum Herrn geführt, Scharen von Männern und Frauen. Selbst die Kranken trug man auf die Straßen hinaus und legte sie auf Betten und Bahren, damit, wenn Petrus vorüberkam, wenigstens
sein Schatten auf einen von ihnen fiel. Auch aus den Nachbarstädten Jerusalems strömten die Leute zusammen und brachten Kranke und von unreinen Geistern Geplagte mit. Und alle wurden geheilt.

2. Lesung
Offenbarung  1,9–11a.12–13.17–19

Ich, euer Bruder Johannes, der wie ihr bedrängt ist, der mit euch an der Königsherrschaft teilhat und mit euch in Jesus standhaft ausharrt, ich war auf
der Insel Patmos um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses für Jesus. Am Tag des Herrn wurde ich vom Geist ergriffen und hörte hinter mir eine Stimme, laut wie eine Posaune. Sie sprach: Schreib das, was du siehst, in ein Buch, und schick es an die sieben Gemeinden [...]. Da wandte ich mich um, weil ich sehen wollte, wer zu mir sprach. Als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der wie ein Mensch aussah; er war bekleidet mit einem Gewand, das bis auf die Füße reichte, und um die Brust trug er einen Gürtel aus Gold. [...] Als ich ihn sah, fiel ich wie tot vor seinen Füßen nieder. Er aber legte seine rechte Hand auf mich und sagte: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch nun lebe ich in alle Ewigkeit, und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt. Schreib auf, was du gesehen hast: was ist und was danach geschehen wird.

Wort zum Sonntag

Wort zum Sonntag April 2016Erich Baldauf
Dekan und Moderator Seelsorgeraum Dornbirn,
Obmann des Vereins „Freunde Kaplan Bonetti Sozialwerke“
und geistlicher Assistent im „Werk der Frohbotschaft“.
Den Autor erreichen Sie unter

Wunden verbinden
Thomas ist nicht dabei, als den Jüngern an ­Ostern der Auferstandene begegnet. Erst eine Woche später, als wieder alle beisammen sind, begegnet er IHM. Der Glaube an die Auferstehung wächst in der Gemeinschaft, bei gemeinsamem Gebet und Erfahrungsaustausch. Mir ist dieser Thomas sympathisch. Er ist kein oberflächlicher Typ. Er will es wissen und will der Sache auf den Grund gehen.

Eine Glaubensgemeinschaft braucht solche Menschen, die kritisch hinterfragen und die die Wunden der Zeit sehen, vielleicht sogar mit ihren Fingern greifen wollen. Ohne dieses Auf-den-Grund-Gehen werden religiöse Gespräche oberflächlich-frömmelnd, realitätsfremd. Ohne diese Bereitschaft des Hinterfragens neigt der Glaube zum Fundamentalismus, weil er kein vernünftiges Fundament hat. Anders dagegen Thomas, der die Wunden sehen, sogar berühren will. Wir erleben oft das Gegenteil, dass nämlich die Wunden nicht gesehen werden wollen. Verwundete Menschen wissen, was es heißt, wenn die zugefügten Wunden nicht gesehen werden wollen: Die Opfer von Verleumdung, Vergewaltigung, Missbrauch oder die Opfer von Krieg und Verfolgung? Dieses Nicht-sehen-Wollen verletzt erst recht und verhindert ein Leben in Würde. Wer zugefügte Wunden ernsthaft ­sehen will, kann nicht zur Tagesordnung übergehen. Das Sehen verändert die Beziehung.

Was hilft Thomas, die Wunden zu sehen? Der Auferstandene begegnet ihm zuerst mit dem Wunsch: Friede sei mit euch! Dann zeigt er die Wunden. Er zeigt sie ohne Vorwürfe und ohne Anklage. Der Auferstandene macht sich sogar nochmals in der Bereitschaft des Hineingreifen-Lassens verletzlich. Thomas tut es nicht, sondern antwortet: Mein Herr und mein Gott! Wunden, die normalerweise eine trennende Wirkung haben, beginnen hier zu verbinden, schenken der Beziehung Tiefe. Sie werden österlich.

Zum Weiterdenken
Es gibt keine Beziehung ohne Verletzungen. Wenn die Wunden ohne Vorwürfe gezeigt werden und sie mit Achtung gesehen werden, bergen sie die Chance, dass sie einer Beziehung neue Tiefe schenken.

Du bist mein Gott,
dir will ich danken;
mein Gott, dich will ich rühmen.
Dankt dem Herrn, denn er ist gütig,
denn seine Huld währt ewig. 

Antwortpsalm, aus Psalm 118

nach oben

 (aus dem KirchenBlatt Nr. 12/13 vom 24./31. März 2016)