26. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A, 28. September 2014. Wort zum Sonntag von Andreas Liebl.

Weder das reine Lippenbekenntnis noch die bloße Zugehörigkeit zur „richtigen“ Religion sind entscheidend. Den Weg der Gerechtigkeit zu gehen bedeutet auch bei Jesus, „den Willen des Vaters zu tun“. Sehr deutlich und mahnend sind die Worte Ezechiels und Jesu – wie sollte auch Gott ein eindeutig schuldhaftes Verhalten eines Menschen ignorieren (und dazu gehört eben auch „Ja, Herr“ zu sagen, es aber beim bloßen Reden zu belassen). Flehend fragt Gott sein geliebtes Volk: „Warum wollt ihr sterben?“ (Ez 33,11b) Für jeden Menschen, zu jeder Zeit und bedingungslos ist die Umkehr zu Gott möglich. 

Evangelium
Matthäus  21,28–32

Was meint Ihr? Ein Mann hatte zwei Söhne. Er ging zum ersten und sagte: Mein Sohn, geh und arbeite heute im Weinberg! Er antwortete: Ja, Herr!, ging aber nicht. Da wandte er sich an den zweiten Sohn und sagte zu ihm dasselbe. Dieser antwortete: Ich will nicht. Später aber reute es ihn, und er ging doch. Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt?

Sie antworteten: Der zweite. Da sagte Jesus zu ihnen: Amen, das sage ich euch: Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr. Denn Johannes ist gekommen, um euch den Weg der Gerechtigkeit zu zeigen, und ihr habt ihm nicht geglaubt. Ihr habt es gesehen und doch habt ihr nicht bereut und ihm nicht geglaubt.

1. Lesung
Ezechiel  18,25–28

Ihr aber sagt: Das Verhalten des Herrn ist nicht richtig. Hört doch, ihr vom Haus Israel; Mein Verhalten soll nicht richtig sein? Nein, euer Verhalten ist nicht richtig. Wenn der Gerechte sein rechtschaffenes Leben aufgibt und Unrecht tut, muss er dafür sterben. Wegen des Unrechts, das er getan hat, wird er sterben. Wenn sich der Schuldige von dem Unrecht abwendet, das er begangen hat, und nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird er sein Leben bewahren. Wenn er alle Vergehen, deren er sich schuldig gemacht hat, einsieht und umkehrt, wird er bestimmt am Leben bleiben. Er wird nicht sterben.

2. Lesung
Philipper  2,1–11

Wenn es Ermahnung in Christus gibt, Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes, herzliche Zuneigung und Erbarmen, dann macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig, dass ihr nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen. Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu, und jeder Mund bekennt: „Jesus Christus ist der Herr“ – zur Ehre Gottes des Vaters.

WORT ZUM SONNTAG

Andreas LieblAndreas Liebl
ist Koordinator der Gefangenen-Seelsorge
der Diözese Innsbruck und Religionslehrer an der
Tiroler Fachberufsschule für Holztechnik in Absam.
Den Autor erreichen Sie unter
sonntag@kirchenzeitung.at


„Pharisäer“ sind immer die anderen, nicht ich!

Die Ezechiellesung mag in einer Pfarre lesbar sein, aber ist sie in dieser Deutlichkeit in einer Gefängniskapelle lesbar? Wäre das nicht unmenschlich? Mir wird hier ganz schwindlig. Produziert diese Einteilung nicht zwei Gruppen – auf der einen Seite die Gerechten, oder die Selbstgerechten, und auf der anderen Seite die, denen die Schuldfrage in dieser Deutlichkeit nicht zugemutet werden kann? „Wegen des Unrechts, das er getan hat, wird er sterben.“ Zu krass für die Ohren von Schuldbeladenen? Was meint ihr?

In der Innsbrucker Gefängniskapelle lese ich vor einiger Zeit das Evangelium von der Sünderin, die Jesus im Haus eines Pharisäers die Füße salbt und mit den Haaren trocknet (Lk 7,36–50). Ich spreche über Vergebung, die Liebe, die Sünderin, offene Haare – noch heute im Orient etwas Anrüchiges, möglicherweise eine Prostituierte. Ich sehe vom Ambo aus, wie in der letzten Reihe der Kapelle eine sehr rothaarige Frau liebevoll von ihrer Nachbarin in den Arm genommen wird, Tränen kullern. Nun wird mir, im Innsbrucker Gottesdienst hinter Gittern, der Beruf dieser Frau klar. Alle meine Worte kommen mir ob der Realität hohl und leer vor, und in meiner Rolle bekomme ich großen Respekt!

Wo ist mein Standpunkt in dieser Erzählung? Wie oft bin ich in der Rolle des Selbstgerechten, wie oft in der Funktion eines Ideologen ... wenn ich etwa genau weiß, welche Reform die Kirche braucht, wenn ich Entscheidungsträger kritisiere, wenn ich weiß, wie Liturgie ganz genau abzulaufen hat. Welche moralische Norm richtig ist, bei einem Menschen, dessen Ja eigentlich ein Nein ist?
Unser Meditationsbild (siehe rechts oben) ist ein Auftragswerk zu den Schriftstellen. Ich hatte die Häftlinge gebeten, ihre Gedanken künstlerisch auszudrücken. Drei Augen hat der Häftling gezeichnet, das des Zöllners, des Schriftgelehrten und der Dirne, verwoben im feurigen Gewirr des Lebens. Mit welchen Augen sehe ich die Welt und meine Mitmenschen – was meint ihr?

Zum Weiterdenken
Jetzt und gleich in den Weinberg gehen ...

(aus dem KirchenBlatt Nr. 39 vom 25. September 2014)