Das Interesse an Kirche nimmt dramatisch ab. Trotzdem ist ein Kirchenereignis wie der Papstrücktritt das Medienereignis schlechthin. Haben Papst und Kirche wirklich so wenig miteinander zu tun?

Matthäus Fellinger

Die Distanz der Menschen zur Kirche ist in allen gesellschaftlichen Milieus drastisch größer geworden. Das weist die im Jänner ver­öffentlichte  neue „Sinus-Milieustudie“ aus. Im Auftrag der deutschen Bischofskonferenz hat die Münchner Medien-Dienstleistungsgellschaft erforschen lassen, was den Deutschen die Kirche bedeutet. Die Ergebnisse alarmieren: Selbst in konservativen und traditionellen Milieus sei es inzwischen zu einer „Erosion kirchlicher Autorität“ gekommen. Der Umgang der Verantwortlichen mit dem Thema Missbrauch an Kindern durch Kleriker und Ordensleute, dazu pastorale Maßnahmen wie  die Zusammenlegung von Gemeinden in große pastorale Einheiten, haben den ohnehin schon gegebenen Vertrauensverlust in die Kirche noch einmal verstärkt. Schon eine erste Studie hatte 2005 solche besorgniserregende Zahlen ergeben.

Gigantisches Echo
Trotzdem: Ein Kirchen­ereignis wie der Papstrücktritt löst ein Echo a­us, das seinesgleichen in den letzten Jahren sucht. Keinem anderen Vorkommnis haben Zeitungen in jüngerer Vergangenheit so viele Seiten gewidmet wie eben diesem Rücktritt Benedikts XVI. vom Papstamt. So lange wird nun vermutlich weiterberichtet, spekuliert und abgehandelt, bis die Welt auch den neuen Papst hinreichend kennengelernt hat. Die Welt befindet sich im Papstfieber, während der Organismus Kirche krankt.

Die Könige und die Demokratie
Worauf gründet das Interesse an der Frage, wer der katholischen Kirche als Papst vorsteht, wenn das Interesse an Kirche selbst im Schwinden ist? Es erinnert an die Königshäuser Europas. Weder Briten noch Niederländer, nicht Norweger oder Schweden stellen ihre Königinnen und Könige infrage. Hineinregieren lassen sie sich von diesen aber nicht. Ihre Befugnisse beschränken sich auf einen protokollarischen Status, ansonsten gilt Demokratie. Der Papst ist im Moment die Trumpfkarte der Medien – und „sticht“ Königshäuser und jedes politische Ereignis klar aus.

Wenn Kirche berührt

Für die Linzer Pastoraltheologin Hildegard Wustmans ist der Vergleich zutreffend: Doch das Interesse an Kirche und das Interesse am Papst, das sind für sie zwei ganz verschiedene paar Schuhe. Der Papst berührt mit seinem Rücktritt Menschen emotional. Wie auch Demokraten das Schicksal des niederländischen Prinzen Friso, der vor einem Jahr von einer Lawine verschüttet wurde und seither im Koma liegt, berührt, so berührt sie auch der Papst – und zwar als Mensch, der sagt: „Ich kann nicht mehr.“ Kirche hingegen berührt sonst Menschen kaum. Und darüber gelte es nachzudenken. 

Hildegard WustmansUnif. Prof. Dr. Hildegard Wustmans
"Der Papst berührt als Mensch, der sagt:
Ich kann nicht mehr. Kirche hingegen berührt Menschen kaum."

In der Moderne angekommen
Trotzdem ortet die Theologin einen spannenden Vorgang, der sich jetzt abspielt und an dem wohl die „Medienleute“ interessiert sind, weil es um Macht geht: „Mit seinem Rücktritt ist der Papst in der Moderne angekommen“, und jeder künftige Papst werde sich dieser Frage stellen müssen. Benedikt XVI. hat damit das Papstamt verändert.
Für Wustmans ist mit dem Rücktritt auch das Eingeständnis eines gescheiterten Programms für das Pontifikat verbunden. Es werde sich erweisen müssen, ob mit seiner Entscheidung zum Amtsverzicht etwas Neues aufbrechen kann, oder ob zukünftig der Papst zum Vorsitzenden des Kardinalskollegiums herabgestuft wird. Er würde dann repräsentieren, aber im Grunde keine Macht mehr haben. So wie heutige Königinnen und Könige.

Reiz des Fremden
Günter WassilowskyDr. Günther Wassilowsky (Bild links),
Professor für Kirchengeschichte in Linz, sieht im „Reiz des Fremden“ die Faszinationskraft des Papstamtes mitbegründet. „Die päpstliche Welt ist voller Relikte aus vergangenen Zeiten: Monarchie, Zeremoniell, Sakralität und so weiter – das fasziniert!“, vermutet er. Dazu kommt der Vorteil globaler Medienpräsenz, perfekter Inszenierung und „professioneller Selbstdarstellung“ – Dinge also, die vor Ort gelebte Kirche nicht hat. „Diese Eventkultur zieht Menschen an“, meint Wassilowsky. „Der Mensch sucht nach personalen Ikonen, religiösen Superstars, Heroen – gerade dann, wenn die Systeme so anonym und kalt sind.“

Bodenarbeit
Indes geht die mühsame „Bodennarbeit“ in der Kirche weiter. Ob nicht doch dort ihre wirklich sensationelle Stärke liegt: bei den Millionen, die sich vor Ort um Menschen kümmern?