Man kann es drehen und wenden wie man will, aber: Vorarlberg ist ein Land der Einwanderer - und das nicht erst seit heute. Römer, Kelten, Alemannen... sie alle brachten neue Einflüsse ins Land. Und was liegt nach einer Einwanderung am nächsten? Richtig, die Integration.

TIES-Studie liefert Einblick in den Integrationsprozess der zweiten Generation.

Simone Rinner

„Integration“ ist eines der wichtigsten Schlagworte unserer Zeit, das zwar gerne in den Mund genommen wird, dessen Definition aber nicht immer ganz klar ist. Laut dem Nationalen Aktionsplan für Integration ist Integration ein „wechselseitiger Prozess, der von gegenseitiger Wertschätzung und Respekt geprägt ist (...)“. Soweit die Theorie. In der Praxis spielen eine ganze Reihe an Indikatoren und Rahmenbedingungen eine Rolle für einen erfolgreichen Integrationsprozess, hielt Dr. Eva Grabherr von „okay.zusammen leben“ anlässlich der Präsentation von „TIES“ fest.

TIES ist ein Akronym
Es steht für „The Integration of the European Second-Generation“ und ist ein internationales Forschungsprojekt zur Integration der zweiten Generation von Zugewanderten, an dem außer sieben anderen Ländern auch Österreich teilgenommen hat. Neben Wien und Linz hat sich Vorarlberg als ländliche Region beteiligt und so erstmalig einen Blick auf den Verlauf des Integrationsprozesses der ab den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts aus verschiedenen Ländern Zugewanderten ermöglicht.

750 Befragte in Vorarlberg
Konkret bedeutet das, dass jeweils 250 Vertreter/innen der 2. Generation türkischstämmiger und aus dem ehemaligen Jugoslawien stammender Zuwanderer und Zuwanderinnen sowie 250 Personen österreichischer Herkunft als Vergleichsgruppe befragt wurden. Evaluiert wurden verschiedene gesellschaftlich relevante Bereiche wie Diskriminierung, politische Partizipation, soziales Beziehungsnetzwerk oder Zugehörigkeit. Im Rahmen der zweiten Veranstaltung von „Zweiheimisch als Normalität“ wurden nun die TIES-Ergebnisse zum Thema „Arbeitsmarktintegration und Religiosität“ im Pförtnerhaus in Feldkirch präsentiert.

Wichtige Bildung
Dr. Simon Burtscher-Mathis führte die Bildung und Arbeitsmarktintegration als zentrale Indikatoren für die strukturelle Eingliederung an und stellte fest, dass alle drei Gruppen gut im Arbeitsmarkt integriert sind - wenn auch in verschiedenen Segmenten. Bildung ist eine zentrale Erklärungsgröße für den Unterschied zwischen den Gruppen. Nicht das Herkunftsland, sondern das Bildungsniveau auf Basis der sozialen Herkunft ist zentral, um einen guten Job zu finden. Um Integration zu fördern, müssen die ungleichen Startbedingungen ausgeglichen, einem frühen Schulabbruch entgegengewirkt und eine bessere Vorbereitung und Begleitung auf den Übergang von der Schule zum Arbeitsmarkt initiiert werden, resümierte Burtscher-Mathis.

Bist du „religiös“?
Einen Blick auf die kulturelle Dimension der Integration in Form von Religion und Religiosität warf im Anschluss Eva Grabherr und setzte dabei die Schwerpunkte „Verbundenheit, religiöse Praxis und Haltungen“. Alle Befragten sind mehrheitlich religiös aufgewachsen. Wenig überraschend gaben 95% der Vergleichsgruppe und 98% der 2. Generation türkischstämmiger Zuwanderer an, katholisch bzw. muslimisch erzogen worden zu sein. Interessanterweise erklärten zwar fast 90% der 2. Generation türkischer Herkunft aber nur 50% der Vergleichsgruppe, auch derzeit noch religiös zu sein.

Fasten, beten und Gotteshäuser
Auch bezüglich der religiösen Praxis sind zwischen den Gruppen Unterschiede erkennbar. Während das religiöse Fasten wie der Fastenmonat Ramadan oder die Speisengebote Halal bei den muslimisch Befragten der 2. Generation mit 57% eine wichtige Rolle spielen, gaben 67% der Christen an, nie (40%) oder nur teilweise (27%) zu fasten. Bezüglich der Häufigkeit der Gebete und der Besuche von Gottesdiensten sind die Unterschiede zwar gering - sie haben für Christen aber eine größere Bedeutung. Oder wie es Grabherr formuliert: „Auffallend ist, dass die christlich sozialisierten Gruppen, die sich aktuell als religiös beschreiben, deutlich seltener nie beten als die Muslime/innen.“

Religionsverbunden
Selbst bei der Stärke der Identifikation mit der eigenen Religion zeigen sich Unterschiede: 90% der muslimisch Befragten der 2. Generation sehen die religiöse Identität als wichtigen Teil von sich selbst, bei der Gruppe ohne und mit ex-jugoslawischem Migrationshintergrund sind es ca. 50 % der Befragten. Bezüglich der Frage, ob Religion in Politik und Gesellschaft präsent sein sollte, sind sich alle drei Gruppen mit jeweils knapp 60% einig: nein.

USA - Europa

Einblicke in die internationale TIES-Studie, die zwischen 2007 und 2008 in 15 europäischen Städten durchgeführt wurde, ermöglichte Dr. Fenella Fleischmann von der Universität Leiden (Niederlande). Sie hielt fest, dass das US-amerikanische Modell der Religion als Brücke zur Integration für Europa nicht sehr plausibel ist. Religion wird bei uns als wichtiger Bestandteil der Herkunftskultur gesehen und ist unabhängig von der Orientierung bis hin zur Kultur des Wohnlandes. Zwar wird in Europa die Religion noch als Teil der nationalen Identität begriffen - „das wird aber langsam hinterfragt“, so Fleischmann.

Die Ergebnisse der TIES-Studie zum Nachlesen:
www.okay-line.at/ties-papiere

ZUR SACHE

Zweiheimisch als Normalität

Im Jahr 2003 begannen die Vorbereitungen für ein „international vergleichendes Forschungsprojekt“, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat. TIES - ein Akronym für „The Integration of the European Second Generation“ befasst sich mit den Nachkommen von Migrant/innen - der so genannten „zweiten Generation“ - aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien und Marokko - und ihrer Integration. Die „zweite Generation“ umfasst dabei jenen Personenkreis, der im Einwanderungsland der Eltern geboren ist und dort seine gesamte Schulerziehung erhalten hat.

10.000 Befragte. Durchgeführt wurde die Studie in acht europäischen Ländern: Österreich, Belgien, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Spanien, Schweden und Schweiz. Im Mittelpunkt von TIES steht das Thema „Integration“, wobei sowohl die wirtschaftliche und soziale Situation als auch Bildung und Identität der zweiten Generation analysiert werden. 10.000 Menschen zwischen 18 und 35 Jahren wurden dabei per Zufallsstichprobe in face-to-face Interviews befragt.

Zielgerichtete Maßnahmen. Für Österreich wurden dabei in Wien, Linz und Vorarlberg jeweils 250 Vertreter/innen der 2. Generation türkischstämmiger und aus dem ehemaligen Jugoslawien stammender Zuwanderer und Zuwanderinnen sowie 250 Personen österreichischer Herkunft als Vergleichsgruppe interviewt. Diese Daten und ihre Analyse ermöglichen nicht nur ein besseres Verständnis von Integrationsprozessen in Europa, sondern können auch zur Entwicklung zielgerichteter Maßnahmen auf allen politischen Ebenen beitragen.

TERMIN:

Do 13. Juni 2013, 14 - 17 Uhr, dritte Präsentation der TIES-Studie, Löwensaal, Hohenems.