Darf die Fortpflanzungsmedizin alles, was technisch möglich ist? Wo sollen oder dürfen ihr aus gesellschaftlichen oder moralischen Gründen Schranken gesetzt werden? Die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt konnte sich darüber nicht einigen. Eine Mehrheit sprach sich dafür aus, deutlich über bestehende Grenzen hinauszugehen, eine Minderheit war dagegen. Der Grazer Moraltheologe Walter Schaupp war bei der Minderheit.

Hans Baumgartner


Woher kam der Anstoß, dass sich die Bioethikkommission neu mit dem Fortpflanzungsmedizingesetz beschäftigte? Gab es da einen Reparatur- oder dringenden Nachholbedarf?
Schaupp: Im Bundeskanzleramt gab es offensichtlich die Meinung, dass es auf Grund der internationalen medizinischen und rechtlichen Entwicklung notwendig sei, das bestehende Fortpflanzungsmedizingesetz aus dem Jahr 2000 (Novelle 2004) zu überdenken. Es war bald klar, dass es dabei darum geht, bestehende  Beschränkungen zu überprüfen und gegebenenfalls abzubauen. Eine rechtliche Notwendigkeit gab es dazu keine, da sowohl der Verfassungsgerichtshof als auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die österreichischen Bestimmungen (z. B. bei der Eizellenspende) als zulässig bestätigt haben.

Die Kommission konnte sich auf keine gemeinsame Stellungnahme einigen. Es gibt ein Mehrheitsvotum (15 Mitglieder) und ein Minderheitsvotum (6) und Stimmenthaltungen (4). Wie kam es dazu?
Dahinter stehen auch – über einzelne Sachfragen hinausgehende – allgemeine grundlegende  Auffassungsunterschiede. Ein erster Punkt war, dass einige von uns den Eindruck hatten, dass die Mehrheit in der Kommission die Reproduktionsmedizin (In-vitro-Fertilisation, Insemination etc.) zu optimistisch sieht als „die Lösung“ für unerfüllte Kinderwünsche. Wir wollten, dass die damit zusammenhängenden grundlegenden Fragen, wie die gesundheitlichen Risiken oder die Ursachen für die Zunahme der Unfruchtbarkeit von Frauen, auch näher in den Blick genommen werden und in das Votum der Kommission einfließen. Das aber wurde von der Mehrheit ausgeblendet, es ging ihr in erster Linie darum, Gründe zu finden, um Beschränkungen abzubauen, wie das in vielen Ländern schon geschehen ist.

Und wo spießte es sich noch?
Ein weiterer Punkt war, dass wir den Eindruck hatten, dass die Mehrheit die Kommission die Tatsache, dass es in der Gesellschaft unterschiedliche Standpunkte über Fragen wie Familienpolitik, Abtreibung oder die Selektion von Embryonen gibt, in den Debatten und in ihrer Argumentation zu wenig ernst genommen hat. Man hat sich viel mehr sehr stark auf rechtliche Überlegungen zurückgezogen, im dem Sinne, was muss der Staat unbedingt verbieten, um gravierende Schäden zu verhindern. Um es konkret zu machen: Sind Kinder von lesbischen Paaren so massiv in ihrer Entwicklung beeinträchtigt, dass man deswegen künstliche Befruchtungen für diese Partnerschaften unbedingt untersagen muss?  Unsere Ansicht war, dass es einer Ethikkommission durchaus gut anstünde, positive Perspektiven, in welche Richtung sich eine Gesellschaft entwickeln soll und welche gesetzlichen Regelungen in diesem Zusammenhang vernünftig wären, aufzuzeigen. Und schließlich gab es in der Kommission auch tiefgehende Auffassungsunterschiede darüber, welchen „moralischen Status“ der frühe Embryo bzw. das vorgeburtliche Leben insgesamt hat. Ist z. B. der in-vitro gezeugte Frühembryo bloß ein wertvolles biologisches Rohmaterial, oder hat er bereits Teil an der Würde und am Schutz, der menschlichem
Leben zusteht?

Die Debatte, ab wann frühe Embryonen menschliches Leben mit einer moralischen „Eigenqualität“ sind, gibt es ja seit längerem. Verschieben sich da die Grenzen zunehmend? 
Ich habe den Eindruck, dass es hier gerade durch die Fortpflanzungsmedizin zu einer Grenzverschiebung gekommen ist. Für viele, auch im Medizinbetrieb, ist der Embryo vor seiner Einpflanzung in den Mutterleib kaum mehr als ein Zellhaufen, mit dem man zwar sorgfältig umgehen muss, der aber kein eigenständiges Lebensrecht, keine eigenständige Würde hat, sondern über den dann die Eltern oder Mediziner verfügen können. In Österreich besteht zwar derzeit noch die Regelung, dass nur so viele Eizellen befruchtet werden dürfen, als auch eingesetzt werden. Aber trotzdem werden Embryonen für spätere Versuche eingefroren – und wenn sie nicht mehr gebraucht werden, nach einer gewissen Zeit „entsorgt“. Die Verwendung für  Forschungszwecke ist noch verboten.

Die Kommissionsmehrheit empfiehlt, die Präimplantationsdiagnostik in bestimmten Fällen zuzulassen. Sie lehnen das ab. Warum?
Bei der PID geht es darum, dass Frühembryonen vor ihrer Einpflanzung genetisch untersucht und – je nach dem Ergebnis – für die Fortpflanzung benutzt werden oder nicht. Das stellt uns zunächst vor die generelle Frage, wie wir zu frühen Embryonen als Teilhabende am menschlichen Leben stehen. Wenn wir dazu positiv stehen, wer gibt uns dann das Recht zu sagen, dieser Embryo darf leben und jener nicht.  Wenn wir die PID zulassen, dann muss uns klar sein, dass wir dadurch – zumindest manche – Eltern in schwerste innere Konflikte stürzen. Wie soll sich ein Paar entscheiden, wenn es z. B. bereits mehrere Fehlgeburten hatte oder ein schwerstbehindertes Kind, das dann gestorben ist. Wir haben das Problem ja heute schon bei der Pränataldiagnostik. Soll eine Frau die Untersuchung machen lassen – und was tut sie dann bei einem Befund „Down Syndrom“.

Für welche Fälle will die Kommissionsmehrheit die PID zulassen?
Es wurden drei Indikationen für die Anwendung der PID vorgeschlagen: Bei Paaren mit einem hohen Risiko, dass Kinder schwerwiegende „Erbkrankheiten“ bekommen könnten; bei Paaren, bei denen bereits viele In-vitro-Versuche fehlgeschlagen haben, wobei es  Studien gibt, dass dadurch die Erfolgsquote nicht deutlich gesteigert werden kann; und schließlich zur Zeugung von sogenannten „Rettungskindern“, die das passende Erbmaterial haben, um einem kranken Geschwister zu helfen. Das schwierigste ethische Abwägungsproblem stellt sich bei den sogenannten „Risikopaaren“. Ich möchte das mögliche Leid von Eltern und Kindern nicht kleinreden, im Gegenteil – aber wir müssen uns gerade bei diesen seltenen, schweren Erbkrankheiten auch fragen, ob wir hier in der Forschung etc. genug tun, weil damit ja wenig zu verdienen ist, oder ob wir nicht den scheinbar einfacheren Weg gehen, und die Krankheit und das Leid dadurch verhindern wollen, dass wir einen Menschen, der damit behaftet ist, einfach auslöschen.

Ein Argument der Befürworter der PID ist, dass dadurch spätere Abtreibungen behinderter Kinder verhindert werden könnten. Gilt das?
Wenn ich davon ausgehe, dass eine Frau auf jeden Fall abtreiben wird, wenn ein Kind behindert ist, dann ist die Auslöschung des Embryos vor Beginn der Schwangerschaft vermutlich für alle Beteiligten das geringere Übel. Aber kann ich ein neues Unrecht mit einem bestehenden Übel, nämlich dass in Österreich behinderte Kinder bis knapp vor der Geburt abgetrieben werden dürfen, rechtfertigen? Ich sehe die Gefahr, dass durch die immer umfassenderen genetischen Diagnosetechniken die Fälle, wo sie auch angewandt werden, sich nicht wirklich begrenzen lassen, und dass der Druck auf Ärzte (Schadenersatzklagen) und Frauen steigt, sie auch anzuwenden. Schon jetzt werden bis zu 90 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom nicht mehr ge-boren, obwohl diese in der Regel durchaus ein sehr glückliches Leben führen könnten. Das hat viel mit Angst, mangelnder Beratung und Hilfe und Druck zu tun, aber auch damit, dass allmählich das Gefühl dafür verlorengeht, das Leben auch anzunehmen, wie es ist.