Wenn sich der Beginn der Reformation heuer zum 500. Mal jährt, steht auch Martin Luthers Zeit als Mönch und Priester im Blick der Ökumene. Obwohl er sich später kritisch dazu geäußert hat, gehört auch die klösterlichen Erfahrungen Luthers zur Vorgeschichte der Reformation.

Tränen fließen, als der Jusstudent Martin Luther (damals eigentlich noch Luder) in den frühen Morgenstunden des 15. Juli 1505 an die Pforte des Klosters der Augustiner-Eremiten in Erfurt klopfte: Studienkollegen, mit denen er ein „Abschiedmahl“ gefeiert hat, begleiten den angehenden Klosterbruder. Der Schritt des 22-Jährigen ist ein Bruch mit einem an Sinnen reichen Studentenleben, aber auch mit dem Willen seines Vaters. Der Bergwerksunternehmer hat sich gewünscht, dass Martin den sozialen Aufstieg der Familie als Jurist fortsetzt.

Doch bei einem Gewitter knapp vor Erfurt hat der Sohn der heiligen Anna gelobt, ein Mönch zu werden. Im Hintergrund wird man vermuten müssen, dass er mit dem vom Vater vorgezeichneten Lebensweg – Verheiratung inklusive – nicht einverstanden ist. Außerdem beschäftigen ihn Glaubensfragen.

Zu den Aufgaben des Klosterbruders gehören aber zunächst auch das Reinigen der Latrinen und das Betteln. Die Reformation wird später versuchen, durch organisierte Unterstützung das Betteln unnötig zu machen. Luthers Kloster in Erfurt ist Teil des Ordenszweigs mit der strengen Auslegung der Augustinusregel. Doch jenseits davon kann man vermuten, dass er die Erfurter Augustiner-Eremiten auch aus intellektuellen Gründen wählte: Sie sind mit der Universität verbunden, haben eine große Bibliothek und jeder Novize bekommt zur täglichen Lektüre eine Bibel – in jener Zeit alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Die Reformation wird mit Luther die Bibel später wieder ins Zentrum rücken.

Gnade

Im Orden erkennt man früh die Begabung Luthers: Er wird 1507 im Erfurter Dom zum Priester geweiht und danach zum Theologiestudium bestimmt – noch ist das Studium keine Voraussetzung für die Weihe. Am 2. Mai 1507 feiert er seine erste Messe in der Klosterkirche. Aus Furcht, so wird er später berichten, will er bei der Wandlung fast vom Altar weglaufen. Tatsächlich hat der junge Mönch Angst vor Gott: Welcher Mensch kann vor der Gerechtigkeit Gottes bestehen, fragt er sich. Gebet und Bußübungen verschaffen ihm keine Erleichterung. Den von Rom und dem Mainzer Erzbischof Albrecht betriebenen Ablassverkauf wird er auch scharf ablehnen. Sein Beichtvater Johann von Staupitz, der Generalvikar der deutschen Ordensprovinz, kann ihn nicht völlig von seiner Angst erlösen. Aber er weist Luther auf Jesus als gekreuzigten Erlöser hin. Dazu kommt die Lektüre der Gnadenlehre des heiligen Augustinus. Sie ist dann einer der Anstöße für Luthers späterer Lehre, dass der Christ allein durch den Glauben gerecht wird.

Förderung

Johann von Staupitz ist mehr als Luthers Seelsorger: Er ist sein Förderer, vertraut ihm Aufgaben im Orden an, empfiehlt ihm, das Doktorat der Theologie zu erwerben und letztlich ist es Staupitz‘ Bibelprofessur, die Luther 1512/13 in Wittenberg übernehmen wird. Staupitz wechselt später zu den Benediktinern und wird Abt von St. Peter in Salzburg. Mit ihm zu tun hat auch Luthers Romreise, die wahrscheinlich im Herbst 1510 beginnt: Staupitz‘ Gegner im Orden haben andere Reformpläne und wollen, dass die Leitung in Rom in ihrem Sinne entscheidet. Luther und ein Ordensbruder machen sich daher zu Fuß auf den Weg über die Alpen. Luthers negative Äußerungen über Rom nach der Reformation müssen nicht eins zu eins alle Erfahrungen des Mönchs widerspiegeln. Aber dass es in Rom ein Problem mit dem kirchlichen Leben gibt, sehen auch andere Beobachter, insbesondere nördlich der Alpen.

Die Kritik des Reformators Luther wird auch das Mönchtum treffen. Seine Jahre im Kloster wird er als zwar an sich falschen, aber lehrreichen und gerade deshalb im weiteren Verlauf gnadenhaften Weg beschreiben. Die Erfahrungen, die er mitnimmt, sind sicher nicht nur negativ. Organisieren lernt Luther zum Beispiel durch Aufgaben im Orden, nicht zuletzt als Aufseher für elf Klöster. Auch die persönliche Loslösung aus dem Mönchsleben dauert für Luther lange: Er steht nicht nur am Reichstag vor dem Kaiser im Mönchsgewand, als er seine Lehre verteidigt. Auch nach seinem „Exil“ als Junker Jörg auf der Wartburg 1521/22 schlüpft er in den Habit zurück.

Reformator in der Kutte

Theologisch hat der Reformator zu diesem Zeitpunkt schon die Mönchsgelübde in Texten deutlich kritisiert, doch er selbst trägt in der Öffentlichkeit das Ordenskleid noch bis Oktober 1524, wenn auch ohne Tonsur, also mit nicht rasiertem Haupthaar. Entgegen den bösen Behauptungen mancher seiner Gegner lebt Luther auch noch mehrere Jahre nach dem Beginn der Reformation zölibatär. Das ändert erst seine Hochzeit mit der ehemaligen Zisterzienserin Katharina von Bora im Jahr 1525. Aus dem „Kloster“ zieht Luther übrigens nie aus: Das Gebäude des Wittenberger Augustinerklosters blieb sein Heim bis zu seinem Tod.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 34 vom 24. August 2017)