Sich für eigene Schwächen niederzumachen ist das Volksleiden Nummer 1 – meint Sr. Melanie Wolfers. Eben hat sie ein Buch darüber geschrieben: „Freunde fürs Leben“. Freundschaft mit sich selbst sieht sie als eine der wichtigsten Freundschaften im Leben. Im nächsten Jahr wird Sr. Melanie Wolfers unsere Leserinnen und Leser durch die Fastenzeit begleiten.

Interview: Matthäus Fellinger

Mögen Sie sich – und wenn ja: Warum?
Melanie Wolfers: Auf diese Frage zu antworten fällt mir viel schwerer, als wenn Sie mich fragen würden, ob ich etwas an mir nicht leiden kann. Und damit sind wir mitten im Thema! Zur Kunst, mit sich selbst befreundet zu sein, gehört, das eigene Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Dass man sich freuen kann an dem, was mir gelingt und was mir an Schönem und Gutem gegeben ist. Zu Ihrer Frage: Ja, ich kann mich an mir und meinem Leben dankbar freuen. Natürlich nicht ständig und auch nicht in jeder Hinsicht. Aber doch. 

Gehen Sie sich selbst manchmal aus dem Weg?
Wolfers: Natürlich! Manchmal kann es ziemlich anstrengend sein, man selbst zu sein. Dann gibt es so beliebte Ausweichmanöver wie: sich in Arbeit ertränken, in die Weiten des Internets flüchten, einen über den Durst trinken oder shoppen gehen. Als ob uns die Wahrheit unseres Lebens nicht einholen könnte, solange wir keine Zeit haben.

Gottes- und Nächstenliebe stehen hoch im Kurs. Eigenliebe wird oft schief angesehen. Zu Recht?
Wolfers:  „Liebe Gott aus ganzem Herzen. Und liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, beantwortet Jesus die Frage nach dem wichtigsten Gebot. Doch die Selbstliebe wurde oft als Egoismus  verdächtigt und abgelehnt. In der Tat: Es gibt eine hartnäckige Tendenz in unserer Seele, am eigenen Ich kleben zu bleiben und sich als Nabel der Welt zu begreifen. Aber meine Erfahrung ist: Mindestens ebenso verbreitet ist, dass Menschen sich ablehnen. Dass sie sich nicht bejahen können und äußerst ausbeuterisch mit ihrem eigenen Körper umgehen. Erlöstes Leben hat ganz viel damit zu tun, dass ich wirklich glauben kann: Ich bin geliebt. Ich darf die sein, die ich bin.

Wie pflegen Sie Ihre Freundschaft zu sich?
Wolfers: Mein Ordensleben bietet mir ­einen hilfreichen Rahmen, um bei mir und bei Gott einzuchecken. Zu meinem Lebensrhythmus gehören das gemeinsame tägliche Gebet, eine halbe Stunde persönliche Betrachtung und ein abendlicher Rückblick auf den Tag. Einmal im Monat ein Wochenende im Schweigen, fern aller Medien, Arbeit und Gespräche, und jährliche Exerzitien.

Was würden wir gewinnen durch eine gute Selbst-Beziehung?
Wolfers: Sie selbst sind der Mensch, mit dem Sie vom ersten bis zum letzten Atemzug zusammenleben! Daher gehört es zum Wichtigsten im Leben, eine gute Selbst-Beziehung zu pflegen. Dann können wir uns Schwächen eingestehen, ohne uns dabei schlecht oder zu klein geraten zu fühlen. Dann besinnen wir uns auf unsere Stärken und auf das, was uns wirklich wichtig ist. Wir werden heimisch im eigenen Leben.

„Bis der Tod euch scheidet“, geloben Eheleute. Bricht der Tod Beziehung und Freundschaft?
Wolfers: Einen geliebten Menschen zu verlieren, hinterlässt ein Loch in der Welt. Das tut unsagbar weh! Zugleich gehört zur Mitte unseres Glaubens die Hoffnung: Unsere Geschichte mit den Verstorbenen ist nicht zu Ende. Nicht der Tod, sondern Leben und Liebe haben das letzte Wort. 

Was bedeuten Ihnen verstorbene Freund/innen?
Wolfers: Gott sei Dank habe ich noch keinen Freund oder eine Freundin durch den Tod verloren. Doch mein Vater ist vor über 13 Jahren gestorben. Ich bin gewiss: Er lebt in Gott. Und uns allen gilt: „In Ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,28). Manchmal spüre ich eine große innige Nähe und Verbundenheit mit meinem Vater. 

Cover-Freunde-f-LebenBuchtipp

Melanie Wolfers. Freunde fürs Leben.
Von der Kunst, mit sich selbst befreundet zu sein.

Verlag Adeo 2016, 224 Seiten, € 16,99.