Am kommenden Dienstag ist Prof. Walter Ötsch bei den Werkstattgesprächen in Bludenz zu Gast. Das KirchenBlatt sprach vorab mit dem Leiter des Instituts für die Gesamtanalyse der Wirtschaft (ICAE) an der Johannes-Kepler-Universität Linz.

Michael Willam / Dietmar Steinmair

Prof. Walter ÖtschProf. Walter Ötsch,
Johannes Kepler-Universität Linz:

„Die Politik auf der EU-Ebene ist immer noch
handlungsmächtig und handlungsfähig.“

Die ganze Welt blickte in diesen Tagen nach Deutschland, als der Verfassungsgerichtshof über die Rechtmäßigkeit des Euro-Rettungsschirms „ESM“ zu entscheiden hatte. Die Entscheidung fiel zugunsten des ESM. Ist der der Euro jetzt gerettet?

Der Euro ist nicht in Gefahr, jedenfalls nicht unmittelbar; einzelne Staaten haben Probleme, sich zu finanzieren. Die Rettungsmanöver sind von einer Denkweise getragen, in der man sich keine Gedanken über ein Investitionsprogramm macht. Flexibilisierung und weitere Deregulierung bringen kein Wachstum. Die Schuldenbremsen zerstören Wachstum, wodurch die Staatschuldenquote weiter steigen kann, das nächste Sparpaket wird notwendig: ein fataler Kreislauf nach unten. Die Gefahr ist jetzt eine Rezession in ganz Europa - politisch gemacht - und ein Abbau des Sozialstaates.

Wir leben in einer Welt, in der die globalen Konzerne die Spielregeln zu diktieren scheinen. Welchen Handlungsspielraum hat die Politik auf nationaler und internationaler Ebene überhaupt noch?
Die Politik - nicht die eines kleinen Landes, aber auf der EU-Ebene - ist immer noch handlungsmächtig und handlungsfähig. Sie kann aber eine Politik verfolgen, bei der sie sich  „den Finanzmärkten“ und Ratingagenturen (die im Eigentum der größten Finanzinstitute stehen) unterwirft. Dafür ist eine Denkweise verantwortlich, in der man z.B. von „dem Markt“ oder „den Märkten“ spricht, - als ob das anonyme Mächte wären, gegen die man nichts ausrichten kann. Die Spielregeln, in deren Rahmen große Konzerne agieren, sind von der Politik gemacht und von der Politik veränderbar. Man müsste es nur wollen.

Der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit in vielen europäischen Ländern ist besorgniserregend. Was sind für Sie die Ursachen dieser Entwicklungen, was die Folgen dieser Situation?
Die Jugendararbeitslosigkeit in den Südländern ist deshalb so hoch, weil diese Länder einem absurden Spardikatat unterworfen sind, ohne dass gleichzeitig eine Wachstumstrategie verfolgt wird.
Die Explosion der Arbeitslosigkeit war vermeidbar. Ökonomisch ist diese Politik eine Katastrophe, sie bringt das Elend aus Afrika in den Süden Europas. Die Gefahren, die hier mittelfristig für politische Systeme lauern, sind unabsehbar.

Sie sprechen angesichts der gegenwärtigen globalen politischen und wirtschaftlichen Situation von „postdemokratischen“ Verhältnissen, die sich einstellen. Was meinen Sie damit und was wäre für Sie der Weg in eine bessere und gerechtere Zukunft?
Postdemokratie bedeutet, dass der institutionelle Rahmen der Demokratie erhalten bleibt, aber die Demokratie in ihrer Substanz ausgehöhlt wird. Weitreichende Beschlüsse mit Milliardensummen fallen in verborgenen Gremien, zu denen die Öffentlichkeit keinen Zugang hat.
Auf der anderen Seite gibt es eine wachsende Politisierung und viele Initiativen, die den Finanzkapitalismus (z.B. Schattenbanken und Steuer- und Regulierungsoasen) radikal reformieren wollen und eine Redemokratisierung anstreben. Diese Kräfte soll man unterstützen.

Werkstattgespräch

Di 25. September, 20 Uhr, Remise Bludenz, Am Raiffeisenplatz 1

Politiker/innen scheinen weltweit mehr denn je am Gängelband der Finanz-Jongleure und Konzerne zu hängen - und das Volk fühlt sich betrogen, nicht gehört und nicht verstanden. Korruptionsskandaleund die Krise wichtiger EU-Staatshaushalte liefern massiven sozialen Sprengstoff. Kann die Politik noch gegensteuern? Gibt es Wege in eine neue, gerechtere Demokratie?

Vortrag von Walter Ötsch (Leiter des Instituts für die Gesamtanalyse der Wirtschaft an der Johannes-Kepler-Universität Linz)

Einführung: Michael Willam, Ethikcenter Katholische Kirche Vorarlberg;
Moderation: Jutta Berger